Dokumentarfotografie hilft dabei, Geschichte „aufzuschreiben“ und soziale Situationen zu zeigen.
Diese Fotos von mir zeigen soziale Kämpfe und soziales Leben rund um Remscheid und Solingen von 1999 bis 2009. Es ist die Zeit des Sozialabbaus, politisch gewollt, durch SPD und Grüne beschleunigt und durch die EU gefördert. Angst statt Arbeit und immer weniger gute Arbeit waren an der Tagesordnung.
Das Buch von Jean Lopez, Nicolas Aubin, Vincent Bernard und Nicolas Guillerat ist eine fast unerschöpfliche Quelle, um die Zeit und die Ereignisse strukturell zu verstehen.
„Über den Zweiten Weltkrieg sind mehr Bücher erschienen, als Stunden seit seinem Ende vergangen sind. Doch diese Papierflut ist noch gar nichts gegen den Ozean an Daten, den die Institutionen erzeugt haben…“
Die Allianz hat Auschwitz versichert. Deshalb forderte sie, daß im Vernichtungslager ein Feuerlöschbecken gebaut wurde. Dieses Feuerlöschbecken konnte auch als Schwimmbad genutzt werden und ist als Foto nun in dem Buch Auschwitz – Fall Of The Modern Age zu sehen. „Auschwitz – Fall of the Modern Age von Tomasz Lewandowski“ weiterlesen →
Jede Gruppe macht ihre Geschichte selbst und schafft sich dafür Erinnerungen durch Texte und Bilder. Bei uns waren die letzten ihrer Art Will Durant und Otto Zierer, die eine Weltgeschichte geschrieben haben.
„Die Beelitzer Heilstätten und die verbotene Stadt in Wünsdorf“ lautet der Untertitel des Buches aus dem Mitteldeutschen Verlag. Hier präsentiert die Autorin ein gut gemachtes Fotobuch und ein Geschichtsbuch mit Geschichten und eine Dokumentation in einem Einband. „Auf den Spuren der Erinnerung von Lara Morri“ weiterlesen →
„Die Historie entwirft ein Geschichtsbild, eine Doktrin. Sie definiert, wie es gewesen sei. Die persönliche Geschichte protestiert häufig dagegen. Vielstimmig ruft sie: Das kann nicht sein, das war nicht alles, ich habe es anders erlebt.
Wer hat recht? Beide. Wenn sie aufeinander hören.
1976 erschien eines der wichtigsten Bücher der DDR-Literatur, Christa Wolfs „Kindheitsmuster“. Das Buch brach ein Tabu. Es fragte: Ist es erlaubt, sich einer glücklichen Kindheit im Nazi-Deutschalnd zu erinnern, obwohl man weiß, welche unfassbaren Verbrechen das NS-Regime begangen hat? Die Antwort lautete: Ja, es ist erlaubt und als Individualerfahrung vielfach wahr. Als Epochenurteil wäre es eine Lüge.“
Diese Sätze sind von Christoph Dieckmann aus der Einleitung des Buches EAST, Zu Protokoll For the Record, herausgegeben von Frank-Heinrich Müller im Auftrag der VNG – Verbundnetz Gas Aktiengesellschaft Leipzig.
„EAST – Zu Protokoll“ ist eine multiperspektivische Chronik des Herbstes 1989, die nicht auf die Repräsentation historischer Ereignisse abzielt.
Dieses Beispiel ist so aktuell, weil wir knapp zehn Jahre später diese historischen Diskussionen und Bewertungen mitten in der politischen Kampfarena haben. Insofern kann dieses Projekt helfen, historisches Denken anzuregen.
„In vormodernen Zeiten, nehmen wir das 18. Jahrhundert, hat ein Mensch während seines gesamten Lebens nur einige wenige Abbildungen, z.B. in Kirchen oder auf Münzen, vor Augen gehabt. Die Zirkulation von Bildern war sehr gering.“
Dieser Satz von Jochen Lingnau aus dem Sammelband Bildmaschinen und Erfahrung der BILDO Akademie von 1990 verweist auf einen wesentlichen Unterschied zwischen früher und heute.
Wie viele Bilder / Fotos sehen Sie heute täglich? Wie viele dieser Bilder sehen nur sie und die Menschen um sie herum und wie viele sehen auch viele andere Menschen? Welche Bilder sehen heute die meisten Menschen?
Damit sind wir mittendrin in den Veränderungen, die auch unser Handeln bestimmen. Früher war die wirkliche Welt um uns herum die Grundlage unseres Handelns, heute nehmen wir die Fotos, die wir sehen als Grundlage für Handlungen und Entscheidungen.
Die wirkliche und die scheinbare (simuliert bzw. virtuelle) Welt sind kaum noch gegeneinander abgrenzbar.
Eine kapitalistische Gesellschaft (nicht zu verwechseln mit Demokratie) braucht eine Kultur, die auf Bildern beruht. Diese Bilder sind erforderlich, um ununterbrochen zu unterhalten und das Kaufverhalten zu beeinflussen und zu stimulieren. Kameras definieren Wirklichkeit auf zweierlei Art, als Spektakel für die Massen und als Herrschaftsinstrument für die Führer.
Die letzten drei Sätze sind sinngemäß von Susan Sontag und dann kommt noch ein Satz danach:
„Social change is replaced by a change of images.“
Ein Blick auf die Wirklichkeit jenseits vieler Medien und Politiker
Wer vom Rhein kommt muß quer durch Deutschland. Aber zur Grenze nach Österreich ist es weiter. Hinter Dresden kommt die Oberlausitz. Medial wirkt sie fast vergessen.
Wenn überhaupt kennt man die Gegend durch die Überschwemmungen mit Namen wie Pirna vor der Oberlausitz, Bad Muskau und dem Fürst-Pückler-Park, der 2010 unter Wasser stand oder Bautzen und Görlitz und dem Einsetzen für deutsch sein dürfen im Zeitalter des Merkeltilismus.
Man glaubt sich in einer vergessenen Welt bis man hinkommt. Dann kommt das große Staunen. So modern und schön und dabei überschaubar ist es fast nirgendwo im Westen. Hier erlebt man das schöne neue Deutschland, das vielleicht in 30 Jahren auch im Westen zu finden ist. Hier ist es noch überschaubar und führt vielleicht deshalb auch zu einem klaren Urteil.
Wenn es um die Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen geht, dann kann der „Wessi“ – falls es ihn noch gibt – hier sehen, wie das neue, moderne und schöne Deutschland aussieht, wenn es um Infrastruktur und Architektur geht.
Ich verstehe, daß die Menschen hier nicht so enden wollen wie zunehmend in Westgebieten.
Wir können froh sein, daß wir so mit dem Soli unsere Kultur sichtbar und in den verschiedenen Epochen restauriert erhalten und erlebbar gemacht haben. Im Westen wurde dies ja vielfach schon aufgegeben.
Nun stellt die Gegenwart neue Fragen.
Als ich in Löbau war, erlebte ich eine großartige Parklandschaft, die fast nur von Asylbewerbern genutzt wurde. Sichtlich genossen sie die Vollpension und die großartige Landschaft. (Man könnte natürlich auch schreiben ist es nicht wunderbar, daß wir den Schutzsuchenden unsere wunderbar restaurierten Landschaften sorgenfrei und sicher zur Nutzung überlassen, damit sie ungestört Familienplanung betreiben können. Oder man könnte fragen, wieso eigentlich Asylsuchende hier Kinder produzieren dürfen, die sie nicht selbst finanzieren?)
Asylanten geniessen den Landschaftspark in Löbau
Die Oberlausitz ist eines der besten Stücke, die das heutige Deutschland zu bieten hat. Wer dort hinreist bemerkt, daß Niederländer, US-Amerikaner und Asiaten ebenso wie Polen, Tschechen, Ungarn, Slowaken etc. sich z.B. in Bautzen wie selbstverständlich wohl fühlen und die Spuren deutscher Kultur besuchen und hier international problemlos miteinander gelebt wird. So entdeckt man bei genauem Hinsehen dann auch viele Asylbewerber, die freudig hier ihre Kultur ungestört leben.
Bautzen mit einer hinreissend schönen Innenstadt
Von Bautzen aus ist der nördliche Teil der Oberlausitz so flach wie die Lüneburger Heide. Es ist ein sehr eingegrenztes Territorium, das jenseits guter Straßen fast unzugänglich ist, weil es sich entweder um Militärisches Sperrgebiet oder Biosphärengebiete handelt, die kaum betreten werden können. Die Orte dazwischen nach vielen Kilometern Fahrt sind wie Rastplätze in diesem riesigen flachen Gebiet. So ist das Gebiet eigentlich auch gut kontrollierbar.
Der Fürst Pückler Park in Bad Muskau hat mich sehr enttäuscht. Dort entwickelt sich gerade eine Art Verstümmelungskultur. Alte Bäume werden immer wieder beschnitten, aber man sieht nicht, wo die neue Parklandschaft wächst.
Verstümmelungskultur im Fürst-Pückler-Park in Bad Muskau
Das kenne ich von einem kleineren aber ähnlichen Park anders. Dabei denke ich an Schloss Dyk bei Mönchengladbach.
Wenn man durch diese Gegend in der Oberlausitz weiterfährt, sollte man Hoyerswerda nicht verpassen. Ich habe dort in der sog. Neustadt nur rechteckige große Gebäude gesehen. So stelle ich mir eine unwirkliche Stadt ohne lebenswertes Umfeld vor – so ganz anders als der freundliche Ort für die Asylbewerber in Löbau.
Hoyerswerda, rechteckige Skyline
Daß die Straßen hier im Osten besser sind versteht sich fast von selbst, da sie viel neuer und nicht so schlecht geflickt sind. Hier scheint man darauf zu achten, daß es hält…
Schöne Strassen in der Oberlausitz
Wer hier ist, der spürt, was es bedeutet, deutsch zu sein, der sieht auch deutsche Kultur und das ist wunderbar.
Ein Besuch in Kamenz, dem Geburtsort von Lessing, führt uns zur Ringparabel, die deutlich macht, daß für die Sharia in unserer Kultur und Religion kein Platz ist.
Lessingmuseum in Kamenz
Aber das ist ein anderes Kapitel. Wir leben ja gerade im Zeitalter des Merkeltilismus, einer besonderen Form der Politik jenseits von Eid, Volk und Verfassung.
Es fällt auf, daß unglaublich viele arabische Frauen Kinderwagen schieben. Das gehört wohl zum neuen Merkeltilismus, bei dem der Staat diese Form des Lebens ohne Arbeit für nichtdeutsche Staatsangehörige fördert.
In Zittau gibt es einen Laden für syrische Lebensmittel. Direkt gegenüber ist ein Laden mit frei verkäuflichen Schusswaffen. Ich fand das sehr bemerkenswert und plakativ, anderen fällt es vielleicht gar nicht auf.
Görlitz erinnerte mich an Stadtteile von Leipzig aber nicht an Deutschlands schönste Stadt. Über 4000 Baudenkmäler erinnern eher an eine Patchworklandschaft aber nicht an eine lebendige schöne Stadt. Die Altstadt hat einige renovierte Ecken aber danach gibt es viele Strassenschluchten mit wenig attraktiver Perspektive. Aber viele Menschen sind wohl fasziniert davon, es ist eben Ansichtssache.
Man darf nicht vergessen, daß man nach der Wende in Ostdeutschland Eigentum kaufen konnte und der Staat es zu 100% in zehn Jahren zurückerstattete. So wurden viele Gebäude renoviert und mancher glaubt jetzt noch einen dicken Reibach machen zu können darüber hinaus.
Das Thema Asylanten und Verarmung von fleissigen Deutschen war hier überall zu finden sobald die arbeitenden oder arbeitslos gewordenen Menschen den Mund öffneten. Bei fast jedem Gespräch landete ich nach kurzer Zeit mittendrin ohne selbst damit anzufangen. Aber ich sprach nur mit Fußgängern und Fahrradfahrern. Überall flackerte der Hass, wenn erzählt wird, wie Deutsche beim Jobcenter schikaniert werden mit der Verarmungsregel und entwürdigender Jobsuche und Asylanten selbstverständlich materiell mit Deutschen gleichgesetzt werden und nicht arbeiten müssen, weil sie ja nicht deutsch können oder aus einer Hirten- und Sammlerkultur kommen.
Die Gewinner der Einheit und die bisherige Politik wollen dies wohl immer noch nicht hören, aber sie wissen es und ärgern sich darüber daß die deutschen Staatsbürger nicht länger schweigen. Thema am Rande war immer der Wählerverrat von Frauke Petry. Da sind sie nachtragend. Das war wohl auch die Vollendung des Egoismus auf Kosten aller in der Politik.
Wenn man dieses Randthema verläßt und sich der Politik zuwendet, dann zeigte sich in den Gesprächen neben der Verarmungsregel für fleissige Arbeitnehmer der zweite riesige Konstruktionsfehler der Agenda 2010: die materielle Gleichsetzung von Asylanten mit Deutschen und das leistungslose Erhalten von Geld und anderen Leistungen für alle, die hier ankommen, egal ob illegal oder legal bevor sie arbeiten. Wieso man nicht auf den Basissatz pro Jahr des Einzahlens in die Rentenversicherung 2% draufzahlt, also z.B. nach 20 Jahren 40% Aufschlag, um den Hass rauszunehmen, erschließt sich mir nicht. Mir erschließt sich auch nicht, wie man Menschen hier Geld, Wohnungen, Gesundheitsversorgung und noch viel mehr geben kann und dann glaubt, sie würden irgendwann dafür arbeiten, wenn sie es auch ohne Arbeit bekommen können, zumal fehlende Qualifikationen ja nicht sanktioniert werden.
Es ist wohl einzigartig auf der Welt, daß man hier ohne nachgewiesene Identität reinkommt und besser versorgt wird als im Heimatland und so viel erhält wie Menschen, die hier gearbeitet haben. So wird es böse enden.
Der Rechtsstaat zerbröckelt und der Hass wächst hier und anderswo.
Das sind Zeichen des Merkeltilismus, der bis in die hintersten Winkel von Deutschland dringt und eine Gegenbewegung in Gang setzt, die ihresgleichen sucht.
So dürfen wir gespannt sein, wie der Zeitgeist die sozialen Entwicklungen und die Politik bestimmt in der nächsten Zeit.
Wer deutsch sein will und deutsche Kultur mag, der ist in der Oberlausitz (noch) richtig.
„Die Frühjahrsausgabe des Forum Geschichtskultur Ruhr, vormals Forum Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur, setzt sich mit seinem Themenschwerpunkt „Kulturhauptstadt historisch“ mit den Projekten der Museen, Archive, Vereine und Initiativen im Kulturhauptstadt 2010 auseinander. Zahlreiche Akteure kommen im vorliegenden Heft mit ihren „Bilanzierungen“ zu Wort.
Zwar sei der Wandel des Ruhrgebietes zur Metropole Ruhr herausgestrichen worden, so Achim Prossek in seinem Beitrag zur Bedeutung von Geschichte im Jahr der Kulturhauptstadt, dabei sei aber der „Strukturwandel … als Erfolgsgeschichte verkauft [worden], ohne nach den mit ihm einhergehenden Verletzungen, Verlusten und Kompensationen zu fragen“. Bedient werden sollte der Mythos Ruhr, an dessen historisch-kritischer Dekonstruktion kein hervorragendes Interesse bestand.
Doch haben in Mythen verfestigte Muster der Deutung von Geschichte es an sich, dass sie in Phasen beschleunigten gesellschaftlichen Wandels ihre Bindungs- und Orientierungskraft für die Gegenwart verlieren. In diesen Kontext sind Dieter Nellens Überlegungen zur Konturierung des Begriffs „Industriekultur“ in der regionalen Geschichtspolitik zu stellen, da nach der Zeit von RUHR.2010 mit diesem Kernbegriff der Ruhrgebietsidentität das So-geworden-sein weiterhin zu klären und für die Zukunft entwicklungsfähig zu gestalten ist.“
So gehört es zu den Glücksfällen dieser Region, daß Susanne Abeck zusammen mit Studierenden ein Buch herausgegeben hat, welches diesen industriellen Flecken einen Rahmen gibt, der Blicke auf die Vergangenheit und die Gegenwart ermöglicht.
„Das Bergische Land mit seinen reizvollen Höhenzügen lädt nicht nur zum Spazierengehen und Durchatmen ein, sondern macht mit seinen knapp 60 Historischen Museen und Sammlungen auch Lust auf eine Geschichtstour. Beeindruckend ist die Vielfalt an Geschichts- und Erinnerungsorten, die von großen Industriemuseen über Regional- und Stadtmuseen hin zu zahlreichen Privatsammlungen reicht.
Zudem wartet die Museumslandschaft des Bergischen Landes mit einigen Superlativen auf: die erste Fabrik des europäischen Festlandes, die deutschlandweit größten Spezialmuseen zu Papier und Werkzeug und die weltweit größte Sammlung historischer Bestecke können hier besichtigt werden. Hinzu kommen die Menschen vor Ort, die, häufig ehrenamtlich tätig, den Museumsbesuch zu einer echten Begegnung mit der Geschichte des Bergischen Landes machen.“
Im Bergischen Land ist kein soziales oder strukturelles städteübergreifendes Band vorhanden, weder im ÖPNV noch bei Verwaltungsstrukturen. Systematisch wurschtelt jeder vor sich hin. Das Bergische Land ist ein Beispiel für die Rückkehr des deutschen Flickenteppichs aus der Zeit vor Napoleon. Es fehlen nur die Schranken. Statt Verwaltungsstrukturen und einen ÖPNV zu schaffen, der z.B. einen Großraum der bergischen Städte schafft mit der Möglichkeit für alle Bürger gut und günstig überall hin zu kommen, mauert sich jede Stadt durch eigene Fahrkarten und Gebühren eher ein. Miteinander und bürgernah sehen anders aus.
So kann die Gegenwart wie die Vergangenheit sein. Wenn es einen Mythos vom Bergischen Land gibt, dann ist es der vom Flickenteppich – und der lebt weiter.
Unsere Lebenszeit ist endlich und ein ununterbrochener Wandel. Was von unseren sozialen Entwicklungen bleibt, ist die Architektur und Symbolik im öffentlichen Raum, die erinnern soll und die Machtverhältnisse zeigen soll – Denkmäler eben.
Spätere Generationen begegnen dann diesen Zeugnissen und brauchen Wissen, um zu wissen, was es war und was es bedeutete. Die historische Einordnung ist bei der Begegnung dann der wichtigste Schritt. Daraus entsteht Erinnerungskultur. Deshalb ließen die Sieger auch oft die Säulen und Zeugnisse der Besiegten zerstören, damit man Denkmäler nicht sehen kann, um sich daran zu erinnern.
Ich entdeckte nun bei einem Ausflug in die Vergangenheit und Gegenwart der sozialen Landschaft drei visuelle Schätze, die ich fotografisch festhielt – „Denkmale“ von gestern bis zum Alltag der Gegenwart.
Diese drei Schätze aus der Erinnerungskultur möchte ich hier vorstellen.
Es handelt sich um Begegnungen von Menschen mit Überresten aus der Vergangenheit in der Gegenwart.
Foto 1
Meine Begegnung mit dem Erzengel Michael in saturnischer Form (Stein pur). Ich traf mich und wurde mit mir nicht fertig !? Die Völkerschlacht von Leipzig wäre heute wohl keine Erwähnung mehr wert, wenn nicht dieses monumentale Denkmal entstanden wäre. Und es wirkt auch fotografisch, wenn das Licht und der Moment stimmen.
Foto: M. Mahlke
Foto 2
Meine Begegnung mit der Geschichte – 2016 treffe ich auf 1946
Diese Geschichte ist Geschichte und Gegenwart. In einem alten Bürgerhaus mitten in der Stadt hat ein Erotik-Discount aufgemacht, der wirklich so aussieht. Es ist eine großartige Mischung visueller Zusammenfassung des roten Fadens, der die Menschheitsgeschichte erzählt.
Foto: M. Mahlke
So wurde meine Reise von visuellen Erlebnissen geprägt, die für mich Schlüssel sind, um die Welt damals und heute zu sehen und die durch ihre bloße Existenz heute weiter wirken – indem man sie sieht oder übersieht …
Von Napoleon über die Nachkriegszeit bis zur menschlichen Natur.
Ab hier könnte ich nun einen Roman darüber schreiben. Den überlasse ich ihrer Phantasie.
Wie in einem Roman entdeckte ich hinter einer zugewachsenen Pflanzenwand in einem alten Fabrikgebäude eine alte Plakatwand mit Anschlägen seit 1945.
Und dies im Jahre 2016!
Kurz danach war ich in einem Zeitgeschichtlichen Forum und wies darauf hin, daß man dort noch diese Originale findet. Keiner war zuständig und es bestand kein Interesse.
So dokumentiere ich dies im Rahmen von visual history und stelle es hier online. Wahrscheinlich ist das Original bald abgerissen, aber nun ist es digital gerettet.
Michael Kerstgens zeigt Fotos von 1987 bis 1993 als im Walzwerk in Hagen die letzte Schicht war und symbolisch das Ende des gesamten sozialen Konstruktes.
Und im Bergischen Land ging es dann weiter.
Ich erinnere mich noch wie heute. Am 1. September 1992 fand eine Betriebsversammlung bei einer großen Remscheider Firma statt. Dort wurde verkündet, daß das Werk aus Remscheid nach Ostdeutschland verlagert wird, weil dort quasi alles subventioniert wurde und die Löhne niedriger waren. Die Entscheidung war die unternehmerisch logische Folge politischer Vorgaben nach der Wiedervereinigung. Auf dieser Versammlung sagte ein Beschäftigter, er könne auch für die Hälfte arbeiten, wenn die Preise und Mieten sich halbieren würden. Aber das war natürlich politisch nicht gewollt. Und so kam es wie es kommen mußte.
Das war der Auftakt und danach wurde es von Jahr zu Jahr schlimmer in der Region Remscheid/Solingen/Hückeswagen etc.
Meine persönlichen Erlebnisse mit Arbeitsplatzabbau und Sozialabbau „gipfelten“ erstmalig im Kampf um das Mannesmann-Werk in Remscheid 1999 und 2000.
Dabei waren die Interessen innerhalb des Konzerns, der Betriebsräte und der IG Metall je nach Ebene und Funktion sehr unterschiedlich, oft diametral entgegengesetzt wie ich rückblickend im Laufe von Jahren in einem sozialen Puzzle zusammensetzen konnte. Aber Einzelne auch in der IG Metall setzten sich über alle Widerstände hinweg und gaben so den Kämpfenden vor Ort ihre Selbstachtung zurück, auch wenn dies das Ende ihrer Karriere war.
Mannesmann und Krupp waren eben echt mitbestimmt und deshalb ist die Verantwortung von Arbeitnehmervertretern auch eine andere gewesen als bei der Pseudomitbestimmung, die durch die zweite Stimme des Vorsitzenden immer ausgehebelt werden kann. Das Ganze hat dadurch eine andere politische Qualität. Doch dies nur am Rande.
Ich komme darauf, weil ich mich nach der Beschäftigung mit dem Buch von Michael Kerstgens so genau daran erinnere. In der Bevölkerung in Remscheid war die gleiche Solidarität wie in Rheinhausen und die Abläufe waren denen so ähnlich, daß das Buch von Michael Kerstgens bei mir alte Wunden aufgerissen hat.
Das Ganze nahm mich auch persönlich sehr mit. Und mit Mannesmann endete die Deindustrialisierung ja nicht. Es war kein Umbau es war fast nur Abbau. Die Ursachen waren rein politisch und nicht alternativlos.
Soziale Kämpfe zwischen Ruhr und Rhein entlang der Wupper.
Erwähnen möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich noch das Buch von Horst-Dieter Zinn, das online verfügbar ist. Er fotografierte damals in Hattingen bei der Schließung der Henrichshütte bis 1987 nicht die Kämpfe sondern die Menschen, die davon und darum lebten. Es ist ein wunderbares Buch geworden, ein Dokument über die soziale Landschaft in Hattingen und ein echtes Stück Erinnerungskultur mit dem desillusionierenden und dokumentierenden Titel „Eine Heimat geht bankrott“.
Damit zurück zum Bergischen Land.
Die Region vor dem Ruhrgebiet im Bergischen Land zerbröckelte industriell praktisch, weil die Politik nur öffentliche Gelder für den Strukturwandel im Ruhrgebiet bereitstellte. Die Landes- und Bundespolitiker zuckten immer nur mit den Schultern, wenn Geld für den Strukturwandel in Remscheid, Solingen und Umgebung gefordert wurde. Da kam nichts.
Dafür kamen Firmenpleiten und Verlagerungen in einem bis dahin ungeahnten Ausmaß jenseits eines Weltkrieges.
Alles endete in diesem Ausmaß ungefähr 2010 als die Agenda 2010 voll wirkte und der soziale Kahlschlag in Deutschland als asoziale Meisterleistung politisch gefeiert wurde.
Regional betrachtet sind damit wesentliche Kämpfe mit Symbolcharakter, die die Machtverhältnisse und die politisch gemachten sozialen Veränderungen und Verwerfungen zeigen, fotografisch dokumentiert und stehen als Teil des visuellen Gedächtnisses dieser Region zur Verfügung.
Nicht alles ist gedruckt aber alles ist präsent und öffentlich und zumindest meine Dokumentationen sind digital offen sichtbar.
Alle Fotos sind Kinder ihrer Zeit. Michael Kerstgens hat damals die analogen Reportagefotos in Schwarzweiß gemacht, ich habe die ersten digitalen Fotos in Farbe mit kleinen Kompaktkameras gemacht und versucht, diese schon 1999 in die Internetwelt zu tragen mit der Domain solidaritaet.de.
Heute übernehmen dies nur zum Teil soziale Netzwerke, weil diese ja auch Ausdruck von Machtverhältnissen sind.
Was sich zwischen Ruhr und Rhein getan hat ist nun mit Fotos aktualisiert verfügbar.
Die Fotos tun heute natürlich nur noch denen weh, die damals Erlebnisse hatten, die sich einprägten. Für alle anderen sind sie oft eher langweilig, weil sie Nüchternheit, Funktionalität und Industrielle Zivilisation zeigen, eben die sichtbaren Elemente einer eher unsichtbaren sozialen Landschaft, die nur bei sozialen Ereignissen mal sichtbar wird.
In Duisburg-Rheinhausen war Franz Steinkühler, in Remscheid Klaus Zwickel und Peer Steinbrück und Wolfgang Clement. Wolfgang Clement malte man sogar ein großes Porträt, weil er als Hoffnungsträger galt. Aber bei ihm hatten sich ja alle gründlich getäuscht.
Das visuelle Gedächtnis der Region ist nun besser sichtbar. Die sozialen Narben der Beteiligten und Betroffenen sind nur persönlich spürbar.
Aber ohne das Buch von Michael Kerstgens hätte ich den Blick nicht noch einmal so auf das Geschehen gelenkt und meine Bilder im Kopf herausgeholt. Sich dem zu stellen bedeutet damit zu leben.
Es gab kein Happyend.
Es ist vor Ort vorbei und es gibt neue Herausforderungen.
Das Soziale ist eben Schicksal und Chance des Menschen und wird es bleiben.
Und Macht wird nur durch Gegenmacht begrenzt, auch in Organisationen.
Die UN-Vollversammlung hat den 20. Juni zum zentralen internationalen Gedenktag für Flüchtlinge ausgerufen. Dieser Tag wird in vielen Ländern von Aktivitäten und Aktionen begleitet, um auf die besondere Situation und die Not von Millionen Menschen auf der Flucht aufmerksam zu machen.
Und nun liegt es vor mir, das Buch, das dies alles schon vor einer Generation zeigte und niemand kann sagen, er hätte es nicht früher wissen können.
„Denn der Band handelt eigentlich nicht von Einwanderern, sondern von Menschen auf der Flucht. Er wolle »die Geschichte einer in Bewegung geratenen Menschheit» erzählen, meint Salgado in seinem Vorwort. Seit Anfang der Neunziger hat er daher »Armutsflüchtlinge» an den Grenzen von USA und EU fotografiert, ethnische Flüchtlinge in Ex-Jugoslawien oder Ruanda sowie Menschen auf der »Landflucht» in den Metropolen Asiens und Lateinamerikas. Er selbst sei vor der Militärdiktatur in Brasilien nach Europa geflohen, betont der heute in Paris lebende Salgado. Daher könne er sich mit Flüchtlingen identifizieren. Seine Bilder sollen die Sensibilität für das zunehmende Elend verstärken.“
Die Neuausgabe heißt auf Deutsch Exodus, das bedeutet u.a. Auswanderung und Flucht.
Es ist ein Glücksfall, daß dieses Buch noch einmal aufgelegt wurde. Denn es war nur noch unter Sammlern zu hohen Preisen erhältlich. Damals kritisierte der Freitag das Buch wegen der Art wie Salgado fotografiert: „Wenn der westliche Betrachter den aufwendigen Bildband zur Hand nimmt, dann wird ihm in erster Linie ein hochästhetisches Panorama geboten. Nur selten fangen Salgados Bilder tatsächlich Situationen ein; es gibt kaum Dynamik. Im Mittelpunkt der Bilder stehen häufig charaktervolle Gesichter. Der überwiegende Teil der Fotos ist ganz bewusst inszeniert – eine kunstvolle Mischung aus Antlitz, Ambiente, Natur, Licht. Noch deutlicher wird diese Arbeitsweise bei den Porträts von Kindern, aus denen er einen Zusatzband gemacht hat. Salgado verwandelt das Foto zurück in ein Gemälde.“
Eine solche Kritik ist für mich absolut nicht nachvollziehbar. Und wenn aus einem Foto ein Gemälde werden sollte, welches mit Licht gemalt wurde, dann ändert dies nichts an der Kraft des Fotos sondern geht stattdessen sogar darüber hinaus. Schauen Sie selbst!
Es ist vielmehr geradezu ein fotografischer Glücksfall, daß Salgado mehr zeigt als das nackte Elend.
Seine Art der Fotografie macht das Anschauen erträglich und ermöglicht zu bleiben und sich nicht abzuwenden. Die damaligen Schwarzweiss-Fotografien ermöglichen eine nüchterne Distanz und die Fotos selbst sind dokumentierend und nicht ästhetisierend. Das Foto auf S. 127 mit den schlafenden Flüchtlingen ist eher schockierend. Denn wer sich mit Fotos beschäftigt erinnert sich an die Leichenberge im KZ der vergasten toten Menschen und assoziiert diese eher mit den schlafenden Frauen und Kindern auf diesem Foto. Und damit bin ich noch nicht bei den realen Leichenbergen wie die, die man auf S. 193 sehen kann.
Je mehr ich die Fotos von Salgado betrachte und mit heutigen Fotos vergleiche, desto mehr stört mich die Farbe an vielen Flüchtlingsfotos von heute, die oft den Menschen auf den Fotos ihre dominierende Aussage nehmen und durch Farbenpracht ersetzen.
Das Buch Exodus ist ein prächtiges Buch, das Geschichte und Gegenwart vermengt und zeigt, daß die Gegenwart von heute die Geschichte von morgen ist. Und so ist es auch mit den Fotos. Die Fotos von heute erzählen die Geschichte von morgen.
Salgado war damals (sechs Jahre bis 1999) dort wo Flucht und Vertreibung waren. Er sammelte als Einzelperson weltweit Eindrücke. Das ist noch nicht lange her. Wir waren 1999 und 2000 alle schon dabei. Aber wenn über Flucht und Vertreibung gesprochen wurde, wen interessierte das? Nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Welt feierte der Neoliberalismus und fraß alle sozialen Strukturen, die er kriegen konnte. Und eine der Folgen in unserer Zeit ist die Zunahme von Flucht und Vertreibung.
Immer mehr Menschen kommen aus „gescheiterten Staaten“ zu uns wie Sebastiao Salgado heute zu Recht erklärt.
Und weil er diesen Weitblick hat, schrieb er schon 1999: „Für mich sind diese weltweiten Völkerwanderungen eine ähnlich historische Zäsur wie der Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Lebensweise, Produktion, Kommunikation, Verstädterung und Reisegewohnheiten sind revolutionären Veränderungen unterworfen.“
Statt damals die Ästhetik von Salgados Fotos zu kritisieren, hätten die Journalisten vom Freitag sich medial mal besser mehr dafür eingesetzt, die Fluchtursachen zu bekämpfen. Das haben sie aber nicht getan wie man heute sieht.
Und deshalb ist das Buch von Salgado ein gutes Buch zur genau richtigen Zeit. Seine Fotografien ordnen die aktuellen Entwicklungen in einen historischen Kontext ein und zeigen, daß in den letzten 20 Jahren nichts besser wurde sondern stattdessen der Neoliberalismus den Verlust der Staatlichkeit ebenso verstärkt hat wie die Zunahme von Krieg, Flucht und Vertreibung.
Das Buch ist fotografisch und inhaltlich richtig gut und zeigt Zeitgeschichte mit direkten Verbindungen zur Gegenwart. Bücher können Zusammenhänge über den Tag hinaus aufzeigen. Dieses Buch kann durch seine Neuauflage sogar direkt die Tür zwischen gestern und morgen öffnen.
Insofern ist dieses Buch ein Geschichtsbuch, schreibt selbst Geschichte und fordert uns auf, mit Realismus und Weitblick demokratische und soziale Antworten zu finden auf die menschlichen Tragödien. Dazu gehört aber eben auch die Einsicht, daß die Voraussetzung die Stärkung der demokratischen Staatlichkeit ist und nicht deren Verlust durch offene Grenzen ohne Kontrolle.
Freiheit braucht einen Rahmen wie gute Fotos auch.
Das Buch ist im Taschen Verlag erschienen.
Sebastião Salgados groß angelegte Bilddokumentation Exodus ist mittlerweile ein Klassiker zum Thema Migration und Vertreibung. Mehr als sechs Jahre investierte er in den 1990ern, um auf der ganzen Welt Menschen zu porträtieren, die durch Krieg, Völkermord, Unterdrückung, Elend und Hunger gezwungen waren, ihre Heimat aufzugeben und sich auf eine Reise mit ungewissem Ausgang zu begeben. In Südamerika, auf dem Balkan, in den Slums der Megacitys Asiens, im Nahen Osten und im Herzen Afrikas traf er Menschen, die zu einem Leben verurteilt waren, das sich der kleine glückliche Teil der Menschheit, der in Wohlstand und Frieden lebt, kaum auszumalen vermag.
Weit mehr als ein Jahrzehnt ist vergangen, seit Exodus erstmals veröffentlicht wurde. Zu den größtenteils immer noch virulenten Krisenherden der 1990er sind neue hinzugetreten, zu den Millionen von heimatlosen und unbehausten Menschen von damals weitere Millionen hinzugekommen.
Im Balanceakt zwischen der Dramatik der Situation und den ästhetischen Ansprüchen an Aufbau und Komposition seiner Bilder führt Salgado uns einen Prozess globaler Verelendung vor Augen, aus dem wir uns als Akteure im globalen Zusammenspiel ökonomischer und politischer Prozesse nicht mit voyeuristischer Schaulust entziehen können. Nicht erst seit Flüchtlingsboote an den Mittelmeerküsten anlanden und Ertrunkene an den Stränden liegen.
Sebastião Salgado begann 1973 seine berufliche Karriere als Fotograf in Paris und arbeitete in der Folge für die Fotoagenturen Sygma, Gamma und Magnum Photos. Im Jahr 1994 gründete er gemeinsam mit seiner Frau Lélia die Agentur Amazonas images, die sein Werk exklusiv vertritt. Salgados fotografische Projekte wurden in zahlreichen Ausstellungen und Büchern gezeigt, darunter Other Americas (1986), Sahel, L’Homme en détresse (1986), Arbeiter (1993), Terra (1997), Migranten (2000), Kinder der Migration (2000), Africa (2007) und Genesis (2013).
Lélia Wanick Salgado studierte Architektur und Stadtplanung in Paris. Ihr Interesse für die Fotografie entdeckte sie 1970. In den 1980er-Jahren begann sie, Fotobücher zu konzipieren und zu gestalten und Ausstellungen zu organisieren, u.a. über Sebastião Salgado, darunter Genesis. Seit 1994 ist Lélia Wanick Salgado Geschäftsführerin von Amazonas images.
Leben auf der Flucht
Sebastião Salgados klassische Bildreportage zu Migration und Vertreibung
Sebastião Salgado. Exodus
Sebastião Salgado, Lélia Wanick Salgado
Hardcover mit Begleitheft, 24,8 x 33,0 cm, 432 Seiten
Die Bundeszentrale für politische Bildung bietet in ihrer Schriftenreihe immer wieder gute Bücher an, die gegen ein kleines Entgelt, aktuell 4,50€ je Exemplar, bezogen werden können. Aktuell sind dort zwei Bücher zu finden, die thematisch gut zueinander passen.
Ernst Friedrich Krieg dem Kriege liegt in einer Neuausgabe vor. Das Buch mit vielen Fotos und Texten von Kurt Tucholsky ist ein Versuch, mit Fotografien aufzuklären und Gewalt einzudämmen.
Zugleich gibt es aktuell dort ein Buch von Klaus Baberowski zum Thema Räume der Gewalt. Ihm geht es darum, „was Menschen in der Gewalt tun und wie Gewalt Menschen formt.“
Schwerpunkt sind Schilderungen aus der Nazizeit, in denen detailliert dargestellt wird, wie dein Nachbar über Nacht zum Schwein wird. Das Buch ist für mich sehr interessant als Literaturstudie und Versuch einer Antwort auf Ernst Friedrich, zumal es feststellt was wir wissen aber unsere Politik oft völlig ignoriert: „Gewalt – gestern, heute und morgen“ weiterlesen →
Dieses Originaldokument zeigt auf vielen Fotografien wie der Alltag der Wachmannschaften und Soldaten außerhalb des Konzentrationslagers Auschwitz war. Er war offenbar schön.
Schon die alten Griechen wußten, wir blicken in die Gesichter von Menschen und darunter stecken die Seelen von wilden Tieren oder grausamen Bestien – wenn man sie nur läßt.
Und wenn der berufliche Aufstieg mit Vergasen, Denunzieren und dem Verwalten dieses Quälens und Tötens von Staats wegen verbunden ist, dann macht das vielen nichts wie man in diesem Buch sieht.
Dieses Buch gibt der Banalität des Bösen nicht nur ein Gesicht sondern zeigt die Gesichter vieler Deutscher, die sich ohne Probleme darin wiederfanden. Mengele und andere KZ-Ärzte sehen wir im Bild freundlich beieinander stehen, nachdem sie Menschen schrecklich folterten und ermordeten.
Wir leben heute mit den Folgen und haben mit dem Grundgesetz ein großes Geschenk erhalten. Wer sich über diese Verfassung hinwegsetzt, läßt solche Taten wieder zu.
Wenn man den Anfängen wehren will, bedeutet dies aber, eben nicht alles zuzulassen sondern zuerst dafür zu sorgen, daß die Demokratie als Schutzraum erhalten bleibt.
Wer dann den Sozialstaat abschafft und die Grenzen niederreißt, zerstört die Demokratie und läßt zu, daß diese Verhältnisse zurückkehren können.
2007 erhielt das United States Holocaust Memorial Museum von einem ehemaligen Lieutenant Colonel der U.S. Army ein Fotoalbum, das dieser 1946 in Frankfurt ›gefunden‹ hatte. Das Album entpuppte sich schnell als Sensation. Denn es gehörte Karl Höcker, Adjutant des letzten Lagerkommandanten von Auschwitz, Richard Baer.
Die 116 Bilder zeigen SS-Personal und Besucher: bei der Jagd, bei Schießübungen, bei Freizeitaktivitäten – parallel zum Massenmord in Auschwitz zwischen Juni 1944 und Januar 1945. Abgebildet sind u. a. Richard Baer, Rudolf Höß, Josef Kramer, Franz Hößler, Otto Moll und Josef Mengele. Die Bilder geben ganz neue Hinweise auf Verbindungen und Seilschaften der SS-Größen. Und sie zeigen Verantwortliche und Ausführende des Massenmords, die hier erstmals identifizierbar werden. Der vorliegende Band publiziert das Höcker-Album vollständig auf Deutsch. Beiträge von neun internationalen Autoren erschließen das Album im Kontext der Zeit wie auch den Fall Höcker.
Die Hälfte des Buches ist mit sehr substanziellen Beiträgen gefüllt, die uns detailliert über das KZ-Leben und die nationalsozialistischen Strukturen informieren.
„Die Menschen sind unterwürfige Wesen“, schrieb Thomas Mann wenige Jahre, bevor die Auschwitzer Gaskammern ihre Tätigkeit aufnahmen, „von dem Bedürfnis geleitet, mit den Verhältnissen und Ereignissen, mit der Macht in innerer Übereinstimmung zu leben.“ Genau das taten die Deportierten in Auschwitz, wenn sie Befehle befolgten und die Selektion über sich ergehen ließen.“
Diese Worte schreibt Robert Jan van Pelt über die verkommene Welt im Vernichtungslager Auschwitz und Birkenau in dem Buch. Und wer sich mit den Texten auf das Fotoalbum „eingestimmt“ hat, spürt beim Anblick dieser Fotos die spezielle Mischung, die hier den Tod und den Alltag vermischen.
Mit Fotos sehen wir hier, wozu wir (Menschen) fähig sind, wenn man uns nur läßt. Macht wird nur durch Gegenmacht begrenzt und Massenmord ist nicht nur bei den Nazis Alltag gewesen sondern zieht sich immer weiter durch die Vergangenheit und Gegenwart.
Die Antwort darauf ist eine wehrhafte Demokratie mit klaren Werten, klaren Forderungen und klaren Grenzen.
Die Ausgestaltung ist bei uns das Grundgesetz mit einem Sozialstaat, weil nur Staatsbürger, die sozial abgesichert sind, auch bereit sind, ihr Land zu verteidigen. Dazu gehören dann auch Grenzen und gelebte Werte. Sonst erleben wir wieder die Umwertung aller Werte und wieder die Vernichtung sog. „unwerten“ Lebens, so wie dies mit religiöser oder weltanschaulicher Begründung schon fast vor unserer Haustür geschieht.
Man kann nach einem solchen Buch nicht einfach ruhig bleiben.
Hrsg. von Christophe Busch, Stefan Hördler und
Robert Jan van Pelt.
Das Höcker-Album
Auschwitz durch die Linse der SS
Mit einem Vorwort von Michael Wildt.
Verlag Philipp von Zabern – WBG
2016. Etwa 336 S. mit ca.150 s/w Abb. Register,
geb. mit SU.
Gebundener Ladenpreis: € 49,95 [D]
ISBN 978-3-8053-4958-1
„Bei der ärztlichen Untersuchung der körperlichen Eignung von Juden für den Arbeitseinsatz ist in einigen Bezirken anscheinend ein zu strenger Maßstab angelegt worden (sein Ergebnis: erheblicher Prozentsatz körperlich ungeeigneter Juden). Die Juden sind deshalb auf ihre Einsatzfähigkeit für körperliche Arbeiten erneut zu überprüfen.“
Das ist auch wissenschaftlich aufgearbeitet und erinnert sehr an mögliche Zusammenhänge mit dem Medizinischen Dienst bei der Arbeitsagentur und dem Jobcenter zur weiteren Verwendung auf dem Arbeitsmarkt und an die Begutachtung bei der Erwerbsminderungsrente.
Verfolgung ist also vielfältig und kann auf verschiedene Weise geschehen.
Wer schon mal mit Sozialversicherungen, Gutachtern oder dem Medizinischen Dienst bei Schwerbehinderung oder Rente zu tun hatte, der versteht wahrscheinlich, was ich meine. Ärzte richten sich nach den Definitionen und Vorgaben (wie im Dritten Reich) und die alte Behördenlogik kommt voll zum Einsatz:
Die Konsequenz beschreibt Köhler-Rama: „Nach früherem Recht konnte ein Rentenanspruch bereits bei einem kurz unter „vollschichtig“, z. B. sieben Stunden umfassenden Leistungsvermögen entstehen, wenn der Teilzeitarbeitsmarkt verschlossen war (konkrete Betrachtungsweise). Die „Opfergrenze“ ist damit von „vollschichtig“ auf sechs Stunden täglich herabgesenkt worden.“
Es geht hier also darum, Menschen zu Opfern zu machen im Staatsauftrag.
Selbst Naziopfer und Stalingradopfer würden heute wahrscheinlich noch zurück auf den Arbeitsmarkt geschickt, weil die Begutachtungsregelungen im Kopf und auf Papier z.T. immer noch so sind in ihrer Logik wie die Logik damals.
„In keinem anderen Land der OECD werden soviele Menschen mit (aufgrund von familiären Pflichten oder gesundheitlichen Belastungen) eingeschränkter Erwerbsfähigkeit als arbeitsfähig definiert“, schreiben die Autoren Anke Hassel und Christof Schiller in ihrem Buch „Der Fall Hartz IV“, so die taz in einem Fazit.
Es ist ein wahrer Glücksfall, daß der C.F.Müller Verlag eines der wichtigsten Bücher über die Nazizeit uns wieder zugänglich machte, zumal es auch antiquarisch kaum erhältlich war.
Das Buch ist eines der wichtigsten Bücher über diese Zeit, weil es sich nicht in der Theorie aufhält sondern genau das sammelt, was damals beschlossen, verkündet und umgesetzt wurde.
„Es wird Nationalsozialisten verboten, Lokale zu betreten, in denen Juden verkehren. Das bezieht sich nur auf Cafes und Restaurants, dagegen nicht auf Hotels.“ So fing es am 30.6.33 an.
„Beamte, Angestellte und Arbeiter haben ihre und ihres Ehepartners arische Abstammung sowie ihrer politische Zuverlässigkeit nachzuweisen, wurde am 20.8.34 beschlossen.
Die Handwerkskammer schrieb am 1.11.34: „Wir betrachten es als selbstverständlich, daß das Handwerk Juden als Lehrlinge nicht einstellt.“
Aber auch das historische Gedächtnis wurde per Gesetz gelöscht am 27.4.35: „An die für Deutschland im Weltkrieg gefallenen Juden darf nicht mehr erinnert werden.“
„Jeder Jude – und auch der nichtjüdische Ehegatte eines Juden – hat sein gesamtes in- und ausländisches Vermögen anzumelden und zu bewerten; ausgenommen sind Gegenstände zum persönlichen Gebrauch des Anmeldepflichtigen und Hausrat, der kein Luxusgegenstand ist.“
Das war am 26.4.38.
Besonders bemerkenswert ist eine Verordnung von 1939 über den Arbeitseinsatz von Juden:
„Bei der ärztlichen Untersuchung der körperlichen Eignung von Juden für den Arbeitseinsatz ist in einigen Bezirken anscheinend ein zu strenger Maßstab angelegt worden (sein Ergebnis: erheblicher Prozentsatz körperlich ungeeigneter Juden). Die Juden sind deshalb auf ihre Einsatzfähigkeit für körperliche Arbeiten erneut zu überprüfen.“
„Anordnungen hinsichtlich des Arbeitslohnes der Juden. Sie erhalten keinerlei Vergünstigungen wie die deutschen Arbeiter, z.B. Lohnzahlungen für feiertage, Lohnzuschlag für Arbeit an Feiertagen …Sterbegelder, Weihnachtsgratifikation.“ Das war am 3.6.40
„Juden sollen in Zukunft keine Zusatzscheine für Seife und keine Rasierseife erhalten. (Dadurch sollen Männer durch Bärte als Juden kenntlich gemacht werden.) Dies ist vom 26.6.41
Robert M.W.Kempner führt in das Buch ein: „Gerade dieses Buch zeigt in hervorragender Weise und erstmalig durch Aufzählung und Charakterisierung von Hunderten von antijüdischen Gesetzen, Verordnungen, Erlassen etc., daß das Dritte Reich kein Doppelstaat war… Die Bedeutung dieser Vorschriften ist um so schwerwiegender, als ihre Auswirkungen weder vor Gerichten, noch in sonstiger Weise mit Rechtsmitteln angefochten werden konnten – abgesehen von seltenen Ausnahmen.“
Und das Buch ist selbst schon ein geschichtliches Dokument.
Adalbert Rückerl war lange der Leiter der zentralen Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen. Er schreibt damals in dem Buch, daß die Mehrheit der Deutschen von den Verbrechen im Osten nichts gewußt hat.
Das ist ja spätestens seit der Wehrmachtsausstellung in ein anderes Licht gerückt worden.
Als ich 18 Jahre war, zeigte mir mein damaliger Mentor Dr. S. Middelhaufe, der von den Nazis verfolgt wurde und nach dem 2. Weltkrieg die Polizei in NRW mit aufbaute, ein Buch. Dieses Buch enthielt fast alle Vorschriften und Gesetze gegen die jüdische Bevölkerung. Er sagte zu mir, Michael, den Geist und den Charakter eines Systems kann man am besten durch seine Vorschriften und Gesetze zeigen.
Es war das Buch über das ich gerade schreibe in der ersten Auflage, schmaler und mit einem blauen Halbleinenrücken.
Dieses Buch enthält die Gesetze, die es Menschen ermöglichten, aus anderen Menschen Untermenschen zu machen, ihnen ihre Würde zu nehmen, sie zu vernichten und sie völlig aus dem öffentlichen Leben auszuschließen.
Die Vernichtung der sozialen und der physischen Existenz in jeder Beziehung war das Ziel und das ist in diesem Buch besser dokumentiert als irgendwo sonst, weil es die Nazilogik sichtbar macht, die dem Menschen per Gesetz erlaubt mit anderen Menschen alles zu machen – ohne Konsequenzen, wenn nur die Anwendung stimmt.
Wer verstehen will, wie schnell ein Staat verändert werden kann, der sollte dieses Buch lesen. Es zeigt wie „legitimistische Bürokraten“ alles mitmachen – und das gilt bis heute.
Das Sonderrecht für die Juden im NS-Staat
Eine Sammlung der gesetzlichen Maßnahmen und Richtlinien – Inhalt und Bedeutung
Joseph Walk † (Hrsg.), Daniel Cil Brecher, Robert M. W. Kempner, und weitere
ISBN 978-3-8114-3734-0
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