Veröffentlicht in Zeitgeschichte

Verfolgung zwischen gestern und heute

In dem Buch über das Sonderrecht für Juden im NS-Staat ist folgende Verordnung zu finden von 1939 über den Arbeitseinsatz von Juden:

„Bei der ärztlichen Untersuchung der körperlichen Eignung von Juden für den Arbeitseinsatz ist in einigen Bezirken anscheinend ein zu strenger Maßstab angelegt worden (sein Ergebnis: erheblicher Prozentsatz körperlich ungeeigneter Juden). Die Juden sind deshalb auf ihre Einsatzfähigkeit für körperliche Arbeiten erneut zu überprüfen.“

Das ist auch wissenschaftlich aufgearbeitet und erinnert sehr an mögliche Zusammenhänge mit dem Medizinischen Dienst bei der Arbeitsagentur und dem Jobcenter zur weiteren Verwendung auf dem Arbeitsmarkt und an die Begutachtung bei der Erwerbsminderungsrente.

Verfolgung ist also vielfältig und kann auf verschiedene Weise geschehen.

Wer schon mal mit Sozialversicherungen, Gutachtern oder dem Medizinischen Dienst bei Schwerbehinderung oder Rente zu tun hatte, der versteht wahrscheinlich, was ich meine. Ärzte richten sich nach den Definitionen und Vorgaben (wie im Dritten Reich) und die alte Behördenlogik kommt voll zum Einsatz:

Der abstrakte Verweis in der Rentenversicherung ist so ein Fall:

Die Konsequenz beschreibt Köhler-Rama: „Nach früherem Recht konnte ein Rentenanspruch bereits bei einem kurz unter „vollschichtig“, z. B. sieben Stunden umfassenden Leistungsvermögen entstehen, wenn der Teilzeitarbeitsmarkt verschlossen war (konkrete Betrachtungsweise). Die „Opfergrenze“ ist damit von „vollschichtig“ auf sechs Stunden täglich herabgesenkt worden.“

Es geht hier also darum, Menschen zu Opfern zu machen im Staatsauftrag.

Selbst Naziopfer und Stalingradopfer würden heute wahrscheinlich noch zurück auf den Arbeitsmarkt geschickt, weil die Begutachtungsregelungen im Kopf und auf Papier z.T. immer noch so sind in ihrer Logik wie die Logik damals.

„In keinem anderen Land der OECD werden soviele Menschen mit (aufgrund von familiären Pflichten oder gesundheitlichen Belastungen) eingeschränkter Erwerbsfähigkeit als arbeitsfähig definiert“, schreiben die Autoren Anke Hassel und Christof Schiller in ihrem Buch „Der Fall Hartz IV“,  so die taz in einem Fazit.

Das Sonderrecht für Arbeitssuchende im Hartz 4 – Staat ist auch so ein Fall, der gerade in Deutschland aktuell ist.

Das gipfelt im staatlich gestalteten Altersrassismus bis zum Psychoterror für die geburtenstarken Jahrgänge.

Wenn man den Blick nicht senkt, dann sieht man die Schatten von damals im Handeln von heute.

Paradoxerweise sind die neuen Rechten die Anhänger des Neoliberalismus wie er in der Agenda 2010 zu finden ist (CDU, SPD, Linke, Grüne, FDP).