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Erinnerungskultur und Geschichtsbewußtsein im Zeitalter des Visual Man

Ich gebe zu die Überschrift ist groß.

Aber das ist nicht schlimm, weil die großen Dinge immer klein anfangen.

Betrachtet man die aktuelle Erinnerungskultur,  dann habe ich dazu einige Anmerkungen:

 

Wie funktioniert heute Erinnerungskultur?

Wir leben im Zeitalter des Visual Man.

Der Historiker Gerhard Paul hat dies sehr ausführlich dargestellt.

Zudem können wir uns eigentlich nirgendwo selbst ein Bild von der Lage machen.

Deshalb sind wir auf die Bilder der Anderen angewiesen.

Schon hier beginnt es, denn es kommt auf die Bilder an, die uns gezeigt werden.

„Die Präsentation des Weltgeschehens, wie sie sich in den Massenmedien vollzieht, ist dabei stets als das Resultat eines journalistischen Bearbeitungsprozesses einzuordnen, der bestimmten Regeln folgt und eine bestimmte Interpretation der Ereignisse nahelegt.“

So schreiben es Felix Beer, Klaus Sachs-Hombach und Schamma Schahadat in ihrem Buch Krieg und Konflikt in den Medien.

Und sie fügen hinzu: „Umso wichtiger ist es, mediale Kriegsberichterstattung nicht unreflektiert als Wahrheit anzuerkennen… nehmen die Medien hier doch neben der reinen Informationsfunktion zusätzlich auch eine Gedächtnisfunktion ein: So fußt das Wissen der jüngeren Generation über bewaffnete Konflikte … häufig zum großen Teil auf medialen Darstellungen.“

Diese wenigen Sätze haben es in sich und geben eine ungeheuer starke Wahrheit wieder: unsere Entscheidungen heute, unsere Erinnerungen und unsere Einordnungen sind von medial geprägten Bildern einer Sekundärwelt geprägt und eben nicht mehr von der selbst erlebten Tatsächlichkeit von Ereignissen.

Damit sind wir bei der Erinnerungskultur und dem Geschichtsbewußtsein.

 

Unser Geschichtsbewußtsein ist von medialen Inszenierungen geprägt und unsere Erinnerungskultur auch.

Daraus ergeben sich Fragen, wenn man sich seines eigenen Verstandes bedienen will.

  • Was in den Medien weggelassen wurde haben wir nicht gesehen.
  • Was unbeachtet blieb, wurde nicht aufgezeichnet.
  • Was gezeigt wurde bestimmten die Mächtigen.

Das sind drei der Wesensmerkmale, die unser Geschichtsbewußtsein bestimmen.

 

Erinnerungskultur und Geschichtsbewußtsein

Was unterscheidet Erinnerungskultur von Geschichtsbewußtsein? Schauen wir mal in ein Lexikon.

Dort lesen wir: sie ist „noch wenig festgelegt, wie sich an unterschiedlichen Verwendungskontexten ablesen lässt. Hockerts traut dem Begriff lediglich zu, „als lockerer Sammelbegriff für die Gesamtheit des nicht spezifisch wissenschaftlichen Gebrauchs der Geschichte in der Öffentlichkeit” dienen zu können.[3] Selbst die Verwendung im Singular oder Plural gehorcht keinem festen Schema und ist keineswegs immer inhaltlich begründet.“

Wenn Erinnerungskultur der Gebrauch der Geschichte in der Öffentlichkeit ist, dann ist das Geschichtsbewußtsein das, was wir im Kopf zur eigenen Geschichte jenseits der eigenen Person im sozial-staatlichen Zusammenhang haben und Identität ist der Teil, der unsere eigene Person mit diesem Denken verschmelzen läßt. Damit ist mit ungenauen Worten eine relativ genaue Richtung aufgezeigt.

Fazit: es kommt auf die Bilder an, die da sind und die, die nicht da sind – und auf den Gebrauch.

So lassen sich dann die Aussagen und das Denken der Menschen erklären.

 

Der Verlust der Vergangenheit führt zum Verlust des weiten Blicks

Erinnerungskultur ist immer da und wenn es die Kultur der Erinnerungslosen ist.

Da müssen es dann aber Bilder aus der Gegenwart sein, weil die Erinnerungskultur heute eine Bildkultur ist.

 

Wenn Erinnerungskultur aber wichtig ist, um zu wissen, wo man herkommt und zu wissen, wo man hin will, dann spielen Bilder von gestern und vorgestern eine ganz andere Rolle.

 

Erinnerungskultur ist die Königsklasse der Selbstdarstellung

Erinnerungskultur ist letztlich ja auch die Königsklasse der Selbstdarstellung, so wie Geschichte immer von den Siegern geschrieben wurde.

Erinnerungskultur ist sogar mit entscheidend, um Einfluß auf Entscheidungen zu nehmen.

 

Bilder in der Erinnerungskultur

Heute sind Fotos entscheidend.

Aber nicht irgendwelche Fotos sondern dokumentierende, wenn es um Erinnerungen und Zusammenhänge gehen soll.

Die Mächtigen lassen sich ablichten und bezahlen gut dafür.

Sie malen auch die Bilder, die uns Wahrheiten verkünden sollen, im Zweifel mit Umfragen, die uns die Sätze schon in die Köpfe bringen sollen.

Und die ohne Macht, die Ohnmächtigen?

Erinnerungskultur kann auch den Namenlosen ein Gesicht geben und sie als Teil des lebenden Gedächtnisses festhalten und eben auch zeigen.

Genau dann wird die sozial dokumentierende Fotografie wichtig.

Gerade das Fotografieren der unbeachteten Realität im öffentlichen Raum und im privaten Unternehmen oder bei Ereignissen in Organisationen (nicht zu verwechseln mit Arbeitnehmerkontrolle) gibt dem bald danach Vergessenen ein Gesicht und eine Chance zur Erinnerung und Einordnung.

Daher hat sozialdokumentarische Fotografie neu gedacht neben dem Engagement in der alten Sichtweise heute auch die Chance, das festzuhalten, was eine gewisse Zeit oder einen gewissen Ort oder eine gewisse Gruppe zu einer gewissen Zeit auszeichnet.

Ich glaube sogar, daß es auch für Unternehmenskultur wichtiger wird. Denn die Bücher, die als Hochglanz rauskommen, sind in den Archiven etwas später das Letzte, was gesucht und genutzt wird. Aber das, was in einem Unternehmen ablief, gerade auch in digitalen Zeiten, an den Schnittpunkten und bei den Problemfeldern zu visualisieren, ist nicht nur spannend sondern führt auch dazu, daß Geschichten erzählt werden, die visuell auch später noch genutzt werden, sogar nach unserem Tod.

Davon gibt es ganz wenig und das ist eben etwas anderes als eine gedruckte Powerpoint-Präsentation. Es ist das Festhalten des Lebendigen auf einer Reihe von toten Fotos, die zusammen wieder eine Geschichte lebendig werden lassen.

Das geht, wenn man will.

Aber dazu braucht man mehr als einen Fotografen oder Journalisten, eher einen populärwissenschaftlich und historisch orientierten fotografisch dokumentierenden Publizisten.

Wenn ihnen dieser Artikel gefallen hat, dann fragen Sie sich doch mal, ob und wie bei Ihnen im Unternehmen oder ihrer sozialen Organisation mit Erinnerungskultur umgegangen wird und ob sie Botschaften haben, die weiter und länger wirken sollen, jenseits von PR und einen dauerhaften digitalen Rahmen erhalten sollen.

Bis dann!

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