Veröffentlicht in Alle, Essay, Morgen

8 Milliarden Menschen

„An diesem 15. November wird die Zahl der Menschen auf unserer Erde die acht-Milliarden-Grenze überschritten haben: ein Zuwachs um eine weitere Milliarde Menschen in etwas mehr als einem Jahrzehnt.“ Das notierte man bei dw.

Es ist völlig klar: wenn die Menschen nichts dagegen tun, wird die Menschheit dies nicht überleben.

Wir werden uns zu Tode ficken. „8 Milliarden Menschen“ weiterlesen

Veröffentlicht in Essay

Persönliche Erinnerungskultur und die Rolle der Fotografie heute

Fragen

Wenn ein Haus leergeräumt wird, finden sich oft an den Wänden und in den Schubladen alte Fotos, die keiner mehr will. Diese Fotos hatten für die Besitzer aber einen persönlichen Erinnerungswert.

Wenn heute ein Unternehmen seine Geschichte aufarbeiten will, dann wird ein Historikerbüro beauftragt, das die vorgefundenen Materialien sichtet und daraus ein Buch, eine Webseite oder sonst etwas macht.

Wenn früher ein Foto ausreichte, um die gesamte Kindheit darzustellen und heute allein von dem Baby mehr digitale Fotos auf Handys existieren als je zuvor, was macht man dann damit in zehn Jahren?

Wenn Unternehmen heute zwar Videoüberwachung haben aber Produktion und Verlagerung just in time nur noch die Funktion betonen, welche Rolle spielt dabei dann die Erinnerung?

Diese vier W-Absätze mögen der Einstimmung dienen, um mich dem Thema zu nähern. „Persönliche Erinnerungskultur und die Rolle der Fotografie heute“ weiterlesen

Veröffentlicht in Alle, Bergisches, Essay

Bergisches Protokoll oder hinter dem medialen und digitalen Nebel ist immer noch die Klassengesellschaft

Nach dem Ende des Sozialismus galt Marx als überholt, weil Menschen nun mal den Widerspruch leben – obwohl auch die Umstände mitentscheiden.

Marx steht u.a. für folgende Aussage: „Die Kritik der Religion endet mit der Lehre, daß der Mensch das höchste Wesen für den Menschen sei, also mit dem kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist. Verhältnisse, die man nicht besser schildern kann als durch den Ausruf eines Franzosen bei einer projektierten Hundesteuer: Arme Hunde! Man will euch wie Menschen behandeln! “

Und Freiheit? „Bergisches Protokoll oder hinter dem medialen und digitalen Nebel ist immer noch die Klassengesellschaft“ weiterlesen

Veröffentlicht in Alle, Essay

Visual History – Übergänge und Zwischenzeiten zwischen DDR und BRD in der Dokumentarfotografie

In den letzten Jahren sind einige Bücher zur DDR und BRD erschienen, die sich mit der Zerstörung alter Strukturen und der Zeit danach beschäftigen zwischen Versprechen und Einhalten. Es ist immer Dokumentarfotografie als soziale Fotografie und/oder politische Fotografie, je nach dem, wie man im Kopf mit welcher Intention trennt. „Visual History – Übergänge und Zwischenzeiten zwischen DDR und BRD in der Dokumentarfotografie“ weiterlesen

Veröffentlicht in Alle, Essay, Zeitgeschichte

Die Dokumentation sozialer Wunden – Dokumentarfotografie in Deutschland regional fokussiert

Dokumentarfotografie ist ein weites Feld.

Für mich geht es im Kern darum sozial reale und oft regional oder überregional relevante Ereignisse und Situationen  festzuhalten, die später in der Summe  Entwicklungen zeigen. Was relevant war, kann man nur aus dem beurteilen, was man weiß und sieht. Deshalb ist das Dokumentieren so wichtig – Belegbarkeit setzt Dokumentierbarkeit voraus. Und soziale Ereignisse und Abläufe sind mit Fotos z.T. gut dokumentierbar. „Die Dokumentation sozialer Wunden – Dokumentarfotografie in Deutschland regional fokussiert“ weiterlesen

Veröffentlicht in Alle, Essay

Dokumentarfotografie als Arbeitsweise für Historiker – Berufung statt Beruf

Ähnliche Erfahrungen bei Sebastiao Salgado und Michael Mahlke

Mein Beispiel

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung.

Ein besonderes Erlebnis hatte ich kurz nach dem Fall der Mauer. „Dokumentarfotografie als Arbeitsweise für Historiker – Berufung statt Beruf“ weiterlesen

Veröffentlicht in Essay, Heute

Als Chronist unterwegs – 20 Jahre digitale Lebenszeit als analoger Mensch

Es gehört zu meinem Leben, daß ich aus der analogen Welt komme und nun in der digitalen Welt lebe.

Ich bin aufgewachsen mit Büchern – ohne Computer, ohne Telefon, ohne Taschenrechner.

Das hat mich geprägt und deshalb schreibe ich auch heute noch, wenn ich kann. „Als Chronist unterwegs – 20 Jahre digitale Lebenszeit als analoger Mensch“ weiterlesen

Veröffentlicht in Damals, Essay, Heute

Von der Weltgeschichte zur Geschichte der Welt

Kultur und Erbe

Jede Gruppe macht ihre Geschichte selbst und schafft sich dafür Erinnerungen durch Texte und Bilder. Bei uns waren die letzten ihrer Art Will Durant und Otto Zierer, die eine Weltgeschichte geschrieben haben.

Kultur ist nicht angeboren sondern wird jeder Generation weitergegeben durch Bildung und Erziehung. Ein einmaliger Bruch kann das Ende der jeweiligen Gruppe bedeuten. „Von der Weltgeschichte zur Geschichte der Welt“ weiterlesen

Veröffentlicht in Alle, Essay

Armut, Ausgrenzung, Aggression

“Kritiker wenden an dieser Stelle für gewöhnlich ein, der Begriff Armut sei für Länder wie Deutschland irreführend. Anders als in Kolkata oder Lagos lebten Menschen hierzulande nicht in der Gosse oder stürben auf offener Straße… Aber zum einen stimmt das nicht…. Zum anderen ist der Bezugsrahmen für die hiesigen Armen nicht Kolkata oder Lagos – sondern Remscheid, Leipzig oder Bremerhaven.”

So schreibt es Jörg Schindler in seinem Buch Die Rüpelrepublik. „Armut, Ausgrenzung, Aggression“ weiterlesen

Veröffentlicht in Alle, Essay, Europa, Zeitgeschichte

Die Oberlausitz im Merkeltilismus – Zeitgeist im neuen Deutschland

Die Anschauung ist die Grundlage jeder Erkenntnis

Ein Blick auf die Wirklichkeit jenseits vieler Medien und Politiker

Wer vom Rhein kommt muß quer durch Deutschland. Aber zur Grenze nach Österreich ist es weiter. Hinter Dresden kommt die Oberlausitz. Medial wirkt sie fast vergessen.

Wenn überhaupt kennt man die Gegend durch die Überschwemmungen mit Namen wie Pirna vor der Oberlausitz, Bad Muskau und dem Fürst-Pückler-Park, der 2010 unter Wasser stand oder Bautzen und Görlitz und dem Einsetzen für deutsch sein dürfen im Zeitalter des Merkeltilismus.

Man glaubt sich in einer vergessenen Welt bis man hinkommt. Dann kommt das große Staunen. So modern und schön und dabei überschaubar ist es fast nirgendwo im Westen. Hier erlebt man das schöne neue Deutschland, das vielleicht in 30 Jahren auch im Westen zu finden ist. Hier ist es noch überschaubar und führt vielleicht deshalb auch zu einem klaren Urteil.

Wenn es um die Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen geht, dann kann der „Wessi“ – falls es ihn noch gibt – hier sehen, wie das neue, moderne und schöne Deutschland aussieht, wenn es um Infrastruktur und Architektur geht.

Ich verstehe, daß die Menschen hier nicht so enden wollen wie zunehmend in Westgebieten.

Wir können froh sein, daß wir so mit dem Soli unsere Kultur sichtbar und in den verschiedenen Epochen restauriert erhalten und erlebbar gemacht haben. Im Westen wurde dies ja vielfach schon aufgegeben.

Nun stellt die Gegenwart neue Fragen.

Als ich in Löbau war, erlebte ich eine großartige Parklandschaft, die fast nur von Asylbewerbern genutzt wurde. Sichtlich genossen sie die Vollpension und die großartige Landschaft. (Man könnte natürlich auch schreiben ist es nicht wunderbar, daß wir den Schutzsuchenden unsere wunderbar restaurierten Landschaften sorgenfrei und sicher zur Nutzung überlassen, damit sie ungestört Familienplanung betreiben können. Oder man könnte fragen, wieso eigentlich Asylsuchende hier Kinder produzieren dürfen, die sie nicht selbst finanzieren?)

Asylanten geniessen den Landschaftspark in Löbau

Die Oberlausitz ist eines der besten Stücke, die das heutige Deutschland zu bieten hat. Wer dort hinreist bemerkt, daß Niederländer, US-Amerikaner und Asiaten ebenso wie Polen, Tschechen, Ungarn, Slowaken etc. sich z.B. in Bautzen wie selbstverständlich wohl fühlen und die Spuren deutscher Kultur besuchen und hier international problemlos miteinander gelebt wird. So entdeckt man bei genauem Hinsehen dann auch viele Asylbewerber, die freudig hier ihre Kultur ungestört leben.

Bautzen mit einer hinreissend schönen Innenstadt

Von Bautzen aus ist der nördliche Teil der Oberlausitz so flach wie die Lüneburger Heide. Es ist ein sehr eingegrenztes Territorium, das jenseits guter Straßen fast unzugänglich ist, weil es sich entweder um Militärisches Sperrgebiet oder Biosphärengebiete handelt, die kaum betreten werden können. Die Orte dazwischen nach vielen Kilometern Fahrt sind wie Rastplätze in diesem riesigen flachen Gebiet. So ist das Gebiet eigentlich auch gut kontrollierbar.

Der Fürst Pückler Park in Bad Muskau hat mich sehr enttäuscht. Dort entwickelt sich gerade eine Art Verstümmelungskultur. Alte Bäume werden immer wieder beschnitten, aber man sieht nicht, wo die neue Parklandschaft wächst.

Verstümmelungskultur im Fürst-Pückler-Park in Bad Muskau

Das kenne ich von einem kleineren aber ähnlichen Park anders. Dabei denke ich an Schloss Dyk bei Mönchengladbach.

Wenn man durch diese Gegend in der Oberlausitz weiterfährt, sollte man Hoyerswerda nicht verpassen. Ich habe dort in der sog. Neustadt nur rechteckige große Gebäude gesehen. So stelle ich mir eine unwirkliche Stadt ohne lebenswertes Umfeld vor – so ganz anders als der freundliche Ort für die Asylbewerber in Löbau.

Hoyerswerda, rechteckige Skyline

Daß die Straßen hier im Osten besser sind versteht sich fast von selbst, da sie viel neuer und nicht so schlecht geflickt sind. Hier scheint man darauf zu achten, daß es hält…

Schöne Strassen in der Oberlausitz

Wer hier ist, der spürt, was es bedeutet, deutsch zu sein, der sieht auch deutsche Kultur und das ist wunderbar.

Ein Besuch in Kamenz, dem Geburtsort von Lessing, führt uns zur Ringparabel, die deutlich macht, daß für die Sharia in unserer Kultur und Religion kein Platz ist.

Lessingmuseum in Kamenz

Aber das ist ein anderes Kapitel. Wir leben ja gerade im  Zeitalter des Merkeltilismus, einer besonderen Form der Politik jenseits von Eid, Volk und Verfassung.

Es fällt auf, daß unglaublich viele arabische Frauen Kinderwagen schieben. Das gehört wohl zum neuen Merkeltilismus, bei dem der Staat diese Form des Lebens ohne Arbeit für nichtdeutsche Staatsangehörige fördert.

In Zittau gibt es einen Laden für syrische Lebensmittel. Direkt gegenüber ist ein Laden mit frei verkäuflichen Schusswaffen. Ich fand das sehr bemerkenswert und plakativ, anderen fällt es vielleicht gar nicht auf.

Görlitz erinnerte mich an Stadtteile von Leipzig aber nicht an Deutschlands schönste Stadt. Über 4000 Baudenkmäler erinnern eher an eine Patchworklandschaft aber nicht an eine lebendige schöne Stadt. Die Altstadt hat einige renovierte Ecken aber danach gibt es viele Strassenschluchten mit wenig attraktiver Perspektive. Aber viele Menschen sind wohl fasziniert davon, es ist eben Ansichtssache.

Man darf nicht vergessen, daß man nach der Wende in Ostdeutschland Eigentum kaufen konnte und der Staat es zu 100% in zehn Jahren zurückerstattete. So wurden viele Gebäude renoviert und mancher glaubt jetzt noch einen dicken Reibach machen zu können darüber hinaus.

Das Thema Asylanten und Verarmung von fleissigen Deutschen war hier überall zu finden sobald die arbeitenden oder arbeitslos gewordenen Menschen den Mund öffneten. Bei fast jedem Gespräch landete ich nach kurzer Zeit mittendrin ohne selbst damit anzufangen. Aber ich sprach nur mit Fußgängern und Fahrradfahrern. Überall flackerte der Hass, wenn erzählt wird, wie Deutsche beim Jobcenter schikaniert werden mit der Verarmungsregel und entwürdigender Jobsuche und Asylanten selbstverständlich materiell mit Deutschen gleichgesetzt werden und nicht arbeiten müssen, weil sie ja nicht deutsch können oder aus einer Hirten- und Sammlerkultur kommen.

Die Gewinner der Einheit und die bisherige Politik wollen dies wohl immer noch nicht hören, aber sie wissen es und ärgern sich darüber daß die deutschen Staatsbürger nicht länger schweigen. Thema am Rande war immer der Wählerverrat von Frauke Petry. Da sind sie nachtragend. Das war wohl auch die Vollendung des Egoismus auf Kosten aller in der Politik.

Wenn man dieses Randthema verläßt und sich der Politik zuwendet, dann zeigte sich in den Gesprächen neben der Verarmungsregel für fleissige Arbeitnehmer der zweite riesige Konstruktionsfehler der Agenda 2010: die materielle Gleichsetzung von Asylanten mit Deutschen und das leistungslose Erhalten von Geld und anderen Leistungen für alle, die hier ankommen, egal ob illegal oder legal bevor sie arbeiten. Wieso man nicht auf den Basissatz pro Jahr des Einzahlens in die Rentenversicherung 2% draufzahlt, also z.B. nach 20 Jahren 40% Aufschlag, um den Hass rauszunehmen, erschließt sich mir nicht. Mir erschließt sich auch nicht, wie man Menschen hier Geld, Wohnungen, Gesundheitsversorgung und noch viel mehr geben kann und dann glaubt, sie würden irgendwann dafür arbeiten, wenn sie es auch ohne Arbeit bekommen können, zumal fehlende Qualifikationen ja nicht sanktioniert werden.

Es ist wohl einzigartig auf der Welt, daß man hier ohne nachgewiesene Identität reinkommt und besser versorgt wird als im Heimatland und so viel erhält wie Menschen, die hier gearbeitet haben. So wird es böse enden.

Der Rechtsstaat zerbröckelt und der Hass wächst hier und anderswo.

Das sind Zeichen des Merkeltilismus, der bis in die hintersten Winkel von Deutschland dringt und eine Gegenbewegung in Gang setzt, die ihresgleichen sucht.

So dürfen wir gespannt sein, wie der Zeitgeist die sozialen Entwicklungen und die Politik bestimmt in der nächsten Zeit.

Wer deutsch sein will und deutsche Kultur mag, der ist in der Oberlausitz (noch) richtig.

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Ohne Grenze geht es nicht – Asyl als Ausrede für Armutsflucht oder wenn Köln zu Kalkutta bzw. München zu Mumbai wird

Das Gelände ist total vermint. Jedes Wort kann als rechts oder links ausgelegt werden. Entweder man schweigt oder schreibt einfach frisch das auf, was bewegt. Wer es falsch verstehen will, der wird es tun und wer den Sinn und die Sorgen darin sehen will, der blickt dorthin. Hier geht es auch nicht um Religionskriege. Das ist ein anderes Thema, auch wenn es z.T. dazugehört. „Ohne Grenze geht es nicht – Asyl als Ausrede für Armutsflucht oder wenn Köln zu Kalkutta bzw. München zu Mumbai wird“ weiterlesen

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Die Vergessenen und die vergessene Fotografie

Der Buchautor Édouard Louis schrieb auf spiegel.de über seine Kindheitserlebnisse:

„Marine Le Pen sei die einzige, die von uns, von „den kleinen Leuten“ spräche, erklärten sie und machten sich auf ins Wahllokal. Alle anderen Kandidaten würden uns ignorieren.

Das Gefühl der Unsichtbarkeit war das zentrale Element unseres Lebens, war allgegenwärtig und eine Obsession. Kein Tag verging, an dem meine Mutter nicht sagte: „Für uns, die kleinen Leute, interessiert sich niemand. Schon gar nicht die großen Tiere.“ Wenn sie Politiker im Fernsehen sah, schimpfte sie: „Die sind doch alle gleich! Die denken doch nur an sich.

Meine Eltern fühlten sich von der Linken verraten. War die Verteidigung der Schwachen in der Gesellschaft nicht deren Sache gewesen? „Aber heute sind sie alle gleich, links wie rechts“, kommentierten sie, was sie als unnormal empfanden. In diesem „aber“ steckte ihre ganze Enttäuschung und das Gefühl der Verlassenheit, das an ihnen nagte.

Worte wie Hunger, Elend, Ungleichheit, Leiden, Schmerz, Erschöpfung kamen in den Erklärungen der Linken tatsächlich nicht mehr vor. …Kurz nach meinem zwanzigsten Geburtstag schickte ich das Manuskript meines ersten Romans an einen großen Pariser Verlag. In Das Ende von Eddy beschrieb ich jene Welt meiner Kindheit, die Armut und die Ausgrenzung, die ich erlebt hatte. Schon nach gut zwei Wochen erhielt ich Antwort: Sie könnten den Roman nicht veröffentlichen, teilte man mir mit. Das Elend, von dem ich berichtete, hätten wir vor hundert Jahren hinter uns gelassen, die Leser würden nicht glauben, was ich erzählte. Ein solches Buch kaufe keiner, hieß es.“

Dieses Erlebnis habe ich bis heute.

Die Welt aus der ich komme und die ich immer noch erlebe, kommt um mich herum überhaupt nicht vor in der öffentlichen Diskussion.

Und die wachsende Anzahl der Vergessenen trifft nun die Schutzsuchenden, die hier sofort leben können wie Einheimische ohne jemals etwas geleistet zu haben oder leisten zu müssen und mancher fragt sich, welchen Wert noch Staat, Fleiß und Grundgesetz haben.

Denn wer für seine Familie als schutzsuchende Asylanten sofort rechnerisch monatlich über 4000 Euro netto erhält, welchen Ansporn sollte der haben, hier arbeitend mitzumachen?

Echte Sanktionen gibt es nicht, Ausweisung gibt es nicht, Bedingungen für das Bleiben gibt es nicht – aber viel Geld und lebenslange Leistungen, die Inländern bei Arbeitslosigkeit erst nach der Anwendung der Verarmungsregel von Hartz 4 zustehen.

Migrationsforscher warnen fast verzweifelnd vor den Folgen und fragen sich, wo man hier ist. Akzeptanz bedeutet nämlich, daß die aufnehmende Bevölkerung dies annimmt und nicht ablehnt. Dazu würde aber gehören Migranten und Asylanten rechtlich anders zu stellen so daß z.B. Migranten und Asylanten mehr Steuern zahlen müssen und weniger Sozialleistungen erhalten als die, die hier geboren sind und hier gearbeitet haben (wie das in klassischen Einwanderungsländern auch ist und dort auch für Asylberechtigte gilt und übrigens das Erlernen der Sprache zwingende Voraussetzung für das Bleiberecht ist und es dafür nix gibt statt nur Abzüge).

Das geht ohne Probleme, denn es sind zwei paar Schuhe. Man muß sich verdienen dabei sein zu dürfen und nicht erst einmal alles ohne Arbeit erhalten auf Kosten der Einheimischen, denen man seit Jahren immer mehr wegnimmt. Das bedeutet Akzeptanz.

Einfach zu regeln wäre dies mit einer Basissicherung für Asylsuchende, die nach erfolgreicher Integration länger gewährt wird und in den Arbeitsmarkt führen muß und einer echten höheren Grundsicherung (die mehr als das Existenzminimum abdeckt) für arbeitslose Inländer, also Menschen, die hier gearbeitet haben, die je nach Anzahl der sozialversichert gearbeiteten Jahre aufgestockt wird und Erspartes nicht anrechnet und bei der Rente mitzählt. So einfach geht das Grundgesetz und so einfach baut man Hass ab.

Aber es ist wohl politisch anders gewollt: Hartz4 stabilisiert die wachsende Ungerechtigkeit und die vorhandenen Machtverhältnisse, weil das Volk mehr kontrolliert wird als in der DDR und natürlich bei den Nazis.

Man vergaß wohl bewußt die, die diese Gesellschaft tragen oder vor der Arbeitslosigkeit getragen haben.

Stattdessen wird über die berichtet, die sich tragen lassen und es wird mit viel Geld alles getan, um ja keine Debatte über die zu führen, die dies alles tragen und ertragen.

Dabei müßten die, die hier gearbeitet haben, belohnt werden und nicht bestraft werden.

Insofern handelt es sich um bewußt „vergessene“ Fotografie, die nicht zeigt, was bei vielen Millionen von Staatsbürgern hier real an sozialer Armut durch materielle Armut vorherrscht.

Die in Deutschland aus sicheren EU-Ländern angekommenen Asylanten wurden und werden hier aber gerne fotografiert und exponiert ausgestellt, die vergessenen Inländer werden so gut wie nie fotografiert. Die betteln dafür u.a. in der Elberfelder City.

Und sie werden z.T. sogar beschimpft, wenn sie nun die wählen, die sie als Einzige ansprechen und ihnen Hoffnung geben.

Was für eine Zeit!

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Was bedeutet Generationengerechtigkeit, wenn du Anfang 50 bist?

Seit mehr als 15 Jahren höre ich Politiker über Generationengerechtigkeit sprechen. Damals war ich Mitte 30. Da erklärte mir ein Gewerkschafter der IG Metall, Walter Riester, man müsse nun mehr für die private Rente tun und viele Leistungen der Rentenversicherung müssten aus Solidarität mit der jüngeren Generation verringert werden.

Dann führte die rot-grüne Bundesregierung ein, daß die Jahrgänge ab 1961 keinen Bestandsschutz mehr in der Berufsunfähigkeit haben.

Danach wurde der Wert des Rentenpunktes abgesenkt.

Dann wurden mir und vielen anderen mehr als 20 Jahre nach dem Studium und dem Abitur rückwirkend die rentensteigernden Jahre der Qualifizierung aberkannt, insgesamt 8 Jahre. „Was bedeutet Generationengerechtigkeit, wenn du Anfang 50 bist?“ weiterlesen

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Generationenwechsel – neue Elemente im Zeitgeist

„Ich hatte so eine schöne Jugend. Ich mußte zu Hause nicht waschen und nicht putzen. Das Essen wurde für mich gekocht und wir konnten in Urlaub fahren. Jetzt bin ich Mitte zwanzig und soll selbst putzen und kochen? Nein Danke, da würde ich mich ja verschlechtern.“

Solche Gespräche habe ich nun schon öfter gehört. Oder ein anderer Fall.

Nie Hausarbeit gemacht oder ernsthafte Lebenserfahrungen außer zu Hause und direkt nach dem Abitur auf der Gesamtschule zur Universität, um Lehrer zu werden. Da waren sie 18. Jetzt sind sie 24 und Lehrer in der Schule. Was für LehrerInnen sind das und was vermitteln sie? Genau das, was sie wissen und an Erfahrungen und Einstellungen gesammelt haben.

Das ist die neue Gegenwart und die neue soziale Wirklichkeit, die Deutschland vereinnahmt.

Soziale Defizite in der grundlegenden Lebenspraxis sind eben kein alleiniges Phänomen demenzkranker Menschen, die am Lebensende ihren Alltag nicht mehr strukturieren können. Das setzt schon in der Beurteilung voraus, daß dies vorher gelernt und über viele Jahre umgesetzt worden wäre. Heute ist es anders.

Heute ist es bei vielen jungen Menschen oft (nicht immer) so, daß unabhängig vom Ausbildungsgrad nicht einmal mehr die grundlegegenden sozialen Arbeitsweisen ausgeprägt und eingeübt wurden, die für eine eigentständige Lebensplanung erforderlich wären.

Das breitet sich aus.

Und nun?

Nun weiß ich, welche Dienstleistungen wachsen und warum es so schwer ist, eine Küche zu benutzen. Man muß sie ja hinterher sauber machen.

Das Soziale boomt, weil fast nichts mehr von dem, was vor 30 Jahren noch selbstverständlich im sozialen Wachsen war, heute eingeübt wird.

Von wem auch? Wenn Lehrer so sind wie hier beschrieben – und davon kenne ich nun einige – dann wird das Ergebnis die logische Fortsetzung dieser Sozialisation sein.

Damit ist aber kein Staat mehr zu machen.

Und die Demokratie hat sich deshalb auch so entwickelt wie sie sich entwickelt hat.

Die Demokratie wird zu einem Dienstleister. Da paßt natürlich Dienst an der Waffe und am Volk im Zivildienst nicht mehr.

Aber wer dient hier wem und wofür?

So ist man als Zeitgenosse dabei und kann es sogar analysieren, aber ändern kann man es nicht – lediglich sich selbst in ein Verhältnis zur Zeit und diesen Beobachtungen stellen.

Die neue Elite schickt daher ihre Kinder auf Eliteschulen und die Sozialdemokraten und Grünen machen mit ihrer Bildungspolitik so weiter. Denn die meisten sind ja Lehrer geworden und dann in die Politik gegangen.

Rückblickend war das Bildungssystem in der DDR in der Summe besser. Aber da lernte man ja schon in der Schule auch die Hausarbeit und mußte sich in Gruppen einbringen.

So ist manches heute anders aber nicht besser.

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Nach der Wende: Die langsame Abschaffung der Industriegesellschaft und der Aufbau der Dienergesellschaft

Deutschland ist auf dem Weg vom Land der Denker zum Land der Diener zu werden. Dienen für kleines Geld in Sozialberufen und dienen für etwas mehr Geld als Architekt oder Ingenieur. Aber die wenigen deutschen Ingenieure werden langsam von den Massen asiatischer und indischer intelligenter Diener abgelöst. Das sehen wir gerade.

Man könnte auch sagen, Deutschland ist auf dem Weg von der Hardwaregesellschaft zu einer Softwaregesellschaft zu werden. In meiner persönlichen Lebenszeit ist mir dies vor allem an den Entwicklungen nach der Wende 1989 deutlich geworden. Bis dahin dominierte die Industrie fast überall.

Doch dann ging es los:

  • Zunächst wurden systematisch ostdeutsche Industriekombinate und Produktionsbetriebe zerschlagen und geschlossen. Ich habe damals selbst erlebt wie westdeutsche Unternehmen systematisch ostdeutsche Konkurrenz „übernahmen“ um sie zu schließen. Da die DDR viele Produkte für Westdeutschland produzierte ging es meistens nicht um Wettbewebsfähigkeit der ostdeutschen Unternehmen sondern um das Ausschalten ostdeutscher Konkurrenz, um die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Im Ergebnis wurde der Osten fast komplett deindustrialisiert.
  • Der Aufbau in Ostdeutschland erfolgte dann durch die Verlagerung westdeutscher Unternehmen nach Ostdeutschland mit staatlicher Förderung. Parallel dazu wurde das Sozialsystem umgebaut. Alle bisherigen guten sozialen Sicherungen wurden gekappt, um mit Billigarbeit und Niedriglöhnen durch Zeitarbeit und Befristungen die Menschen in neue entfremdete Arbeit zu zwingen.
  • Da zeitgleich immer mehr produzierende Industrie in das Ausland verlagert wurde, waren die neuen Arbeitsplätze dort, wo keine produzierende Industrie mehr war: im Dienstleistungssektor von der Altenpflege über das Sicherheitsgewerbe bis zum Service. Das geht so bis heute.

Dies alles geschah unter der Ideologie des Neoliberalismus. Dieser sagt vor allem, daß die Mächtigen möglichst alles ohne Regeln und Fesseln machen dürfen und dann wird alles gut.

Das Ergebnis sehen wir.

Wir leben in dieser neuen Zeit, die darauf wartet, daß ihr nie die Luft ausgeht.

In dieser Zeit sind neue Menschen geboren worden, die glauben, diese Situation sei normal. Es ist ihre erlebte Normalität, aber für eine Demokratie wie ich sie kenne ist dies nicht normal sondern abnormal. Wenn man aber das Abnormale für normal hält, ist das Normale abnormal.

Die Würde des Menschen wird sogar vom Bundesverfassungsgericht unter den Tisch fallen gelassen wie man am Beispiel Hartz 4 sieht, wo schon längst klar und eindeutig hätte eingeschritten werden müssen.

Unsere Demokratie beruht auf dem Grundgesetz und dieses sagt eindeutig, daß eine echte soziale Absicherung die Voraussetzung für demokratische Teilhabe ist und kein würdeloses Verarmungssystem für fleißige Inländer, das für nie hier gearbeitete Zugezogene sich als Segen entpuppt, weil sie hier mit vielen Kindern mehr erhalten ohne Arbeit als in ihren Heimatländern mit Arbeit. Dafür werden Menschen, die hier gearbeitet haben, erst in Armut gezwungen bevor ihnen geholfen wird. Näheres dazu hier.

Und so ergibt sich auch, daß wir hier aktuell parallele Generationen von Menschen haben, die völlig unterschiedlich denken gelernt haben. Die jüngeren Menschen denken eher nur noch gegenwartsbezogen, weil man ihnen die Zukunft durch Zeitarbeit und Drohungen wie lebenslanges Arbeiten mental und materiell nehmen will. Die Älteren ab 45 kennen noch die Welt, wie sie sein kann, wenn weniger die Gier und mehr die Vernunft regiert.

Veränderungen wären leicht möglich, wenn man den Reichen so viel wegnimmt wie den Arbeitenden und den Armen jeden Monat.

Und die Ideologie geht ja weiter. Während in den nordischen Ländern selbstverständlich über 60 Prozent vom Einkommen für den Sozialstaat ausgegeben werden und man davon auch profitiert, schreit man hier schon, wenn die Rentenversicherung auf 25% steigen würde. Warum man dann keine Spekulationssteuer umsetzt und Vermögen höher besteuert, mindestens so hoch wie Arbeitslohn, zeigt, daß es sich um dieselben Menschen handelt, die Armut lieber haben als etwas abzugeben obwohl dann diese Gesellschaft viel besser für die Bürger wäre und gerechter und sozialer. Aber in den nordischen Ländern gibt es auch keine so asozialen Regeln wie Hartz4 mit der Verarmungsregel für Lebensältere und es gibt im Alter eine umfassende Versorgung für jeden, egal wie viel man vorher verdient hat.

Das geht alles und ist sogar legal und gewollt.

Aber wer will das schon?

So machen die Menschen ihre Geschichte selbst, auch wenn sie nichts machen.

Macht wohl nichts?

 

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Wir sind dabei – Historisches Denken im Zeitalter digitaler Gegenwart am Beispiel der Epoche des Industriezeitalters

Eine Skizze

Als Goethe mit einigen Soldaten während der Französischen Revolution nach Frankreich reiste, bestand die gesamte Reise nur aus schlechtem Wetter und keinerlei Kampf. Irgendwann saßen die Soldaten zusammen, verschimmeltes Brot war auch dabei und fragten sich, wieso sie überhaupt hier waren.

Und Goethe antwortete laut seiner Campagne in Frankreich: „Ihr aber könnt sagen, ihr seid dabei gewesen!“

Wie auch immer es genau war, es war eine Zeit, die später als Epoche abgegrenzt wurde.

Und genau so ist es heute. „Wir sind dabei – Historisches Denken im Zeitalter digitaler Gegenwart am Beispiel der Epoche des Industriezeitalters“ weiterlesen

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Wann wird Zeit zur Geschichte?

In Köln ist gerade eine Ausstellung zum Thema Innere Sicherheit. Die Kuratoren haben dort extra Informationen zu Themen wie RAF eingefügt, weil dies heute viele junge Menschen nicht mehr wissen.

Das ist eines von vielen Beispielen. Ich bin nun über 50 und erlebe wie vieles von dem, was ich aktuell in meinem Bewußtsein trage und was mich bei meinem Handeln und Urteilen begleitet, bei vielen anderen Menschen überhaupt keine Rolle spielt. „Wann wird Zeit zur Geschichte?“ weiterlesen

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Digitaler Textismus – Immer mehr Menschen produzieren immer mehr Texte

Ob es jemals eine Epoche gab in der so viele Texte zur Verfügung standen?

Im deutschsprachigen Raum beobachte ich den digitalen Akademismus: immer mehr Akademiker produzieren immer mehr Texte. Das ist auch logisch. Um die eigene Arbeit zu dokumentieren und zu legitimieren sind Texte wesentlich und wenn es beruflich nicht so läuft sollten Texte natürlich Aufmerksamkeit verschaffen. Und so gibt es immer mehr Gründe für noch mehr Texte. Und erweitert um Nicht-Akademiker bzw. Lebenspraktiker lande ich beim digitalen Textismus.

So ersäuft man in der Masse, wenn man sich nicht freischwimmt.

Wenn ich nur ein paar von denen nehme, die schon filtern und ordnen neben den unzähligen anderen Blogs und darauf schaue

dann wird deutlich, daß nur mit gezielter Suche und knallharter Auswahl ein echter Informationsgewinn noch möglich ist.

Die Auswahl bzw. das auswählende Lesen nehmen immer mehr Zeit in Anspruch.

Umgekehrt gilt, um einen relativ kurzen und lesbaren Artikel zu schreiben (wie hier), ist der Aufwand ziemlich hoch.

Hinzu kommen die vielen einzelnen und guten Blogbeiträge  an unendlich vielen Stellen im Netz und wer mehrere Sprachen kann, der hat noch viel mehr Auswahl, wobei google und bing immer die Vorauswahl treffen.

Von Videos ganz zu schweigen ….

So ist der Fachmann derjenige, der von immer weniger immer mehr weiß, bis er von nichts alles weiß:

„Habe nun, ach! Philosophie,
Juristerei und Medizin,
Und leider auch Theologie
Durchaus studiert, mit heißem Bemühn.
Da steh ich nun, ich armer Tor!
Und bin so klug als wie zuvor;
Heiße Magister, heiße Doktor gar …“

Es bleibt beim Einblick und der Einsicht: Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!

 

Veröffentlicht in Essay, Zeitgeschichte

Soziale Kämpfe im Ruhrgebiet und im Bergischen Land zwischen 1987 und 2010

Es hat knapp dreißig Jahre gedauert bis die Fotos von Michael Kerstgens über den Stahlarbeiterstreik in Duisburg-Rheinhausen 1987 als Buch erschienen sind. Dieses Buch wurde u.a. durch die Hans-Böckler-Stiftung gefördert. Es ist ein gutes Buch geworden und es erinnert mich an meine eigenen Erlebnisse.

Michael Kerstgens zeigt Fotos von 1987 bis 1993 als im Walzwerk in Hagen die letzte Schicht war und symbolisch das Ende des gesamten sozialen Konstruktes.

Und im Bergischen Land ging es dann weiter.

Ich erinnere mich noch wie heute. Am 1. September 1992 fand eine Betriebsversammlung bei  einer großen Remscheider Firma statt. Dort wurde verkündet, daß das Werk aus Remscheid nach Ostdeutschland verlagert wird, weil dort quasi alles subventioniert wurde und die Löhne niedriger waren. Die Entscheidung war die unternehmerisch logische Folge politischer Vorgaben nach der Wiedervereinigung. Auf dieser Versammlung sagte ein Beschäftigter, er könne auch für die Hälfte arbeiten, wenn die Preise und Mieten sich halbieren würden. Aber das war natürlich politisch nicht gewollt. Und so kam es wie es kommen mußte.

Das war der Auftakt und danach wurde es von Jahr zu Jahr schlimmer in der Region Remscheid/Solingen/Hückeswagen etc.

Meine persönlichen Erlebnisse mit Arbeitsplatzabbau und Sozialabbau „gipfelten“ erstmalig im Kampf um das Mannesmann-Werk in Remscheid 1999 und 2000.

Dabei waren die Interessen innerhalb des Konzerns, der Betriebsräte und der IG Metall je nach Ebene und Funktion sehr unterschiedlich, oft diametral entgegengesetzt wie ich rückblickend im Laufe von Jahren in einem sozialen Puzzle zusammensetzen konnte. Aber Einzelne auch in der IG Metall setzten sich über alle Widerstände hinweg und gaben so den Kämpfenden vor Ort ihre Selbstachtung  zurück, auch wenn dies das Ende ihrer Karriere war.

Mannesmann und Krupp waren eben echt mitbestimmt und deshalb ist die Verantwortung von Arbeitnehmervertretern auch eine andere gewesen als bei der Pseudomitbestimmung, die durch die zweite Stimme des Vorsitzenden immer ausgehebelt werden kann. Das Ganze hat dadurch eine andere politische Qualität. Doch dies nur am Rande.

Ich komme darauf, weil ich mich nach der Beschäftigung mit dem Buch von Michael Kerstgens so genau daran erinnere. In der Bevölkerung in Remscheid war die gleiche Solidarität wie in Rheinhausen und die Abläufe waren denen so ähnlich, daß das Buch von Michael Kerstgens bei mir alte Wunden aufgerissen hat.

Das Ganze nahm mich auch persönlich sehr mit. Und mit Mannesmann endete die Deindustrialisierung ja nicht. Es war kein Umbau es war fast nur Abbau. Die Ursachen waren rein politisch und nicht alternativlos.

So ist meine digitale Dokumentation über den Kampf um Mannesmann in Remscheid 1999/2000 die logische Fortsetzung der gedruckten Dokumentation über den Kampf in Duisburg-Rheinhausen 1987/1988. 

Soziale Kämpfe zwischen Ruhr und Rhein entlang der Wupper.

Erwähnen möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich noch das Buch von Horst-Dieter Zinn, das online verfügbar ist. Er fotografierte damals in Hattingen bei der Schließung der Henrichshütte bis 1987 nicht die Kämpfe sondern die Menschen, die davon und darum lebten. Es ist ein wunderbares Buch geworden, ein Dokument über die soziale Landschaft in Hattingen und ein echtes Stück Erinnerungskultur mit dem desillusionierenden und dokumentierenden Titel „Eine Heimat geht bankrott“.

Damit zurück zum Bergischen Land.

Die Region vor dem Ruhrgebiet im Bergischen Land zerbröckelte industriell praktisch, weil die Politik nur öffentliche Gelder für den Strukturwandel im Ruhrgebiet bereitstellte. Die Landes- und Bundespolitiker zuckten immer nur mit den Schultern, wenn Geld für den Strukturwandel in Remscheid, Solingen und Umgebung gefordert wurde. Da kam nichts.

Dafür kamen Firmenpleiten und Verlagerungen in einem bis dahin ungeahnten Ausmaß jenseits eines Weltkrieges.

Auch das dokumentierte ich fotografisch mit Beispielen unter dem Titel 15 Blicke auf das Arbeitsleben bis zu dem Versuch, die Agenda 2010 mit der Rente ab 67 zu verhindern, die den Arbeitnehmern dann den Rest gab.

Alles endete in diesem Ausmaß ungefähr 2010 als die Agenda 2010 voll wirkte und der soziale Kahlschlag in Deutschland als asoziale Meisterleistung politisch gefeiert wurde.

Regional betrachtet sind damit wesentliche Kämpfe mit Symbolcharakter, die die Machtverhältnisse und die politisch gemachten sozialen Veränderungen und Verwerfungen zeigen, fotografisch dokumentiert und stehen als Teil des visuellen Gedächtnisses dieser Region zur Verfügung.

Nicht alles ist gedruckt aber alles ist präsent und öffentlich und zumindest meine Dokumentationen sind digital offen sichtbar.

Alle Fotos sind Kinder ihrer Zeit. Michael Kerstgens hat damals die analogen Reportagefotos in Schwarzweiß gemacht, ich habe die ersten digitalen Fotos in Farbe mit kleinen Kompaktkameras gemacht und versucht, diese schon 1999 in die Internetwelt zu tragen mit der Domain solidaritaet.de.

Heute übernehmen dies nur zum Teil soziale Netzwerke, weil diese ja auch Ausdruck von Machtverhältnissen sind.

Was sich zwischen Ruhr und Rhein getan hat ist nun mit Fotos aktualisiert verfügbar.

Die Fotos tun heute natürlich nur noch denen weh, die damals Erlebnisse hatten, die sich einprägten. Für alle anderen sind sie oft eher langweilig, weil sie Nüchternheit, Funktionalität und Industrielle Zivilisation zeigen, eben die sichtbaren Elemente einer eher unsichtbaren sozialen Landschaft, die nur bei sozialen Ereignissen mal sichtbar wird.

In Duisburg-Rheinhausen war Franz Steinkühler, in Remscheid Klaus Zwickel und Peer Steinbrück und Wolfgang Clement. Wolfgang Clement malte man sogar ein großes Porträt, weil er als Hoffnungsträger galt. Aber bei ihm hatten sich ja alle gründlich getäuscht.

Das visuelle Gedächtnis der Region ist nun besser sichtbar. Die sozialen Narben der Beteiligten und Betroffenen sind nur persönlich spürbar.

Aber ohne das Buch von Michael Kerstgens hätte ich den Blick nicht noch einmal so auf das Geschehen gelenkt und meine Bilder im Kopf herausgeholt. Sich dem zu stellen bedeutet damit zu leben.

Es gab kein Happyend.

Es ist vor Ort vorbei und es gibt neue Herausforderungen.

Das Soziale ist eben Schicksal und Chance des Menschen und wird es bleiben.

Und Macht wird nur durch Gegenmacht begrenzt, auch in Organisationen.

Das bleibt.