Veröffentlicht in Essay, Heute

Als Chronist unterwegs – 20 Jahre digitale Lebenszeit als analoger Mensch

Es gehört zu meinem Leben, daß ich aus der analogen Welt komme und nun in der digitalen Welt lebe.

Ich bin aufgewachsen mit Büchern – ohne Computer, ohne Telefon, ohne Taschenrechner.

Das hat mich geprägt und deshalb schreibe ich auch heute noch, wenn ich kann.

Einige Generationen nach mir fing der Übergang in die schreiblose Zeit an, mit Videokassetten und CDs.

Mit Texten auf DOS-Computern fing es bei mir an.

Damals programmierte ich Lernprogramme wie Historix und Memorix und danach Anderes mit Turbo Pascal und Turbo Basic, später mit Cobol und dann mit dem Autorensystem Trainbow.

Informatik als Studienfach gab es da so noch nicht.

Als die ersten Internetadressen aufkamen, mußte man sich zwischen com/net/org entscheiden, pro Domain ca. 200 DM pro Jahr.

Eine meiner ältesten Domains ist www. mahlke.com, die erstmals 1999 bei archive.org archiviert wurde.

Im Jahr 2000 wurde dann die Domain www.solidaritaet.de archiviert. Da war ich schon mittendrin in den sozialen Kämpfen nach dem Ende der kommunistischen Welt und dem Fressen der sozialen Welt bei uns durch den Kapitalismus in Form der neoliberalen Lehre, die vor allem bei SPD, Grünen, FDP, CDU und CSU Priorität hatten.

Umweltschutz spielte auch damals kaum eine Rolle und den Grünen ging es da fast nie um einen Sozialstaat wie er heute noch in Österreich oder Dänemark oder den Niederlanden ist und bei uns nicht mehr, sondern immer um ihre persönliche soziale Absicherung.

Weil ich damals merkte, daß man diese sozialen Kämpfe und den Untergang einer sozialen Welt nicht mit Worten darstellen kann, kam ich zur Fotografie.

Damals probierte ich Solidarität über das Internet aus. Was heute geht, ging damals nicht. Aber es ist bis heute online und da kann man sehen, was technisch damals möglich war.

Ich hatte damals eine Sony DSC-F505V.

Die war nicht mal schlecht aber im Gegensatz zu heute natürlich nicht leistungsfähig genug.

Die digitale Dokumentation damit um das Mannesmann-Werk in Remscheid ist bis heute noch online.  Es war eine der ersten digitalen Dokumentationen, Dokumentarfotografie pur.

Damals hatten Computermonitore allerdings noch eine wesentlich geringer Auflösung und es waren DOS-Computer.

Das war 2000/20001 und findet sich hier verlinkt.

Das ist Geschichte live.

1999 bis 2019 sind 20 Jahre digitale Lebenszeit.

Es folgte in der parallelen Welt der Versuch, digital mit Fotos zu dokumentieren.

Dies ist alles auf dokumentarfotografie.de zu finden.

Vielfach sind meine  Fotos und Texte die einzigen Dokumente aus diesen vielen Situationen und dieser Zeit. Ich habe die Menschen immer gemocht, die mit mir zusammen für Arbeit und Brot kämpften und ich wollte an sie erinnern. Das habe ich getan so gut es ging.

Was bedeutet dies im Rückblick?

Relevanz und Reflexion sind große Wörter.

Wenn ich die soziale Wirkung sehe, dann hatte ich keine. Es gab weder eine Fotoausstellung noch Veranstaltungen, geschweige denn politische Veränderungen, außer daß es noch schlechter wurde mit der Agenda2010 und Arbeitnehmer heute zu arbeitslosen Armen werden.

Was mir persönlich bleibt, ist die Funktion des Chronisten, der soziale Ereignisse und Themen aufzeichnete, die sonst so nicht zu finden sind.

Aber eben digital.

Es handelt sich also nicht um Bücher sondern um Blogs und Webseiten mit dokumentierender Funktion. Und die sind weg, wenn ich den Blog abschalte.

Das ist digital.

Da kann man nur hoffen, daß die Deutsche Nationalbibliothek ihrer Sicherungsfunktion nachkommt. Analog wären Bücher entstanden, die zumindest in Bibliotheken zu finden wären. Digital kann jeder bei Interesse darauf zugreifen, sofort und uneingeschränkt, solange der Blog online ist.

Wenn ich die persönliche Wirkung sehe, dann ist dies alles eine gute Möglichkeit gewesen, um meine eigene Lebenszeit ununterbrochen zu reflektieren und zu relativieren durch visuelle Distanzen und Dokumentationen.

Wie man an diesem Artikel sieht, lebe ich in beiden Welten. Ich finde ein Video „anstatt“ über das, was ich hier aufschreibe, nicht tief genug, aber Fotos als Ergänzung zu meinen Texten sehr wichtig.

Ein Beispiel.

Sie sehen nachfolgend ein Sammelfoto mit einigen Fotos aus dieser Zeit:

So war das.

Oben rechts darin sehen Sie ein Foto, auf dem links ein Megaphon zu sehen ist und rechts einige Arbeitnehmer. Das Megaphon wird von einem Geschäftsführer gehalten, der gerade die Werksschließung verkünden will. Ich hatte nur eine kleine Lumix dabei. Hätte ich damit nicht ein Foto gemacht, wäre dieser Moment ungesehen vorbei. Jetzt sind die Gesichter und die Augen und ihre Aussagen dauerhaft sichtbar. Ich halte dieses Foto für ein besonders gutes Zeitdokument, aber es hat nie jemand interessiert.

So ist die Welt und das muß ich genau so akzeptieren.

Kann man 20 Jahre Lebenszeit in digitalen Zeiten in Worte fassen? Ich habe hier einige Refexionen aus meiner Sicht in Worte gefaßt. Soziale und persönliche Entwicklungen konnte ich damit widerspiegeln und festhalten, wofür auch immer. Geld habe ich in keinem Fall erhalten sondern alles mit kleinem Einkommen selbst bezahlt.

Wer unter 35 ist, der kennt dies alles hier nicht aus eigener Anschauung, sondern ist aufgewachsen in der digitalen Welt danach, die wir heute sehen.

Vielleicht findet dieser Text seine Leserinnen und Leser.

Es waren auf jeden Fall 20 Jahre Lebenszeit, analog und digital und heute war der Tag, um darüber feuilletonistisch zu schreiben.