Dokumentarfotografie ist ein weites Feld.
Für mich geht es im Kern darum sozial reale und oft regional oder überregional relevante Ereignisse und Situationen festzuhalten, die später in der Summe Entwicklungen zeigen. Was relevant war, kann man nur aus dem beurteilen, was man weiß und sieht. Deshalb ist das Dokumentieren so wichtig – Belegbarkeit setzt Dokumentierbarkeit voraus. Und soziale Ereignisse und Abläufe sind mit Fotos z.T. gut dokumentierbar.
Der gesammelte Zeitgeist ergibt dann in der zeitlichen Abfolge die Chronik von der Gegenwart in die Geschichte.
Als ich mein erstes Buch über die Geschichte der Arbeiterbewegung im Raum Remscheid/Solingen schrieb, saß ich vorher über ein Jahr im Archiv. Da waren fast nur Unterlagen von Sozialkassen aus dem 19. Jahrhundert und ein paar Polizeiberichte, aus denen ich indirekt etwas über die Versammlungen der Arbeitenden erfuhr, die sich gegen ihre schlechte soziale Lage stemmten. Mehr nicht.
Was nicht in den Akten ist ist nicht in der Welt stimmt ja nicht. Und ich habe damals schon mit Bertolt Brecht gefragt: „Cäsar schlug die Gallier. Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich?“
Das setzt sich übrigens bis heute fort. Wenn man immer mit dem materiell-sozialen Überleben beschäftigt ist, kommt man nie zu dem, was man machen will. Deshalb ist für die Herrschenden und Regierenden das Elend der Fleissigen und Ehrlichen so wichtig, weil man sie so in Schach halten kann. Der Aufstieg des kleinen Mannes ist das Berufsbeamtentum, das die herrschenden Verhältnisse absichert.
Hatte ich damals noch kleine Kompaktkameras mit schlechten Sensoren, so ist heute – 2019/2020 – das Fotografieren mit Smartphones viel einfacher. In der Industrielandschaft heute und der Neuausrichtung unserer Gesellschaft sind Dokumentarfotos noch wichtiger geworden. Dazu gehört das zu fotografieren, was sichtbar ist und vielleicht eine soziale Relevanz hat.
Ich sehe soziale Relevanz enger und meine damit zuerst Auswirkungen politischer Entscheidungen. Deshalb habe ich z.B. auch den Kampf vor Ort gegen die Rente mit 67 fotografiert und die Propagandakampagnen der Regierenden hier vor Ort.
Aber es gibt auch andere Elemente des Zeitgeistes so wie sie z.B. bei Martin Parr zu sehen sind. Jeder kann das an seiner Stelle umsetzen in den sozialen Zusammenhängen, in denen er/sie ist.
Ich habe mich damals entschlossen, regional in meinem sozialen Umfeld das fotografisch aufzuzeichnen, was textlich nicht ging und was sonst keiner so gesehen hat. Außer mir hat dies alles auch fast niemand interessiert.
Als ich die Fotos nun zusammenstellte, zeigte sich ein Panorama sozialer Wunden bei arbeitenden Staatsbürgern in der Industrie in der Region Solingen Remscheid, das viel seelisches und körperliches Leid, Tod und Verderben gebracht hat.
Ursache waren politische Entscheidungen, die ich an anderer Stelle ausgeführt habe.
Mein Schicksal war meine Doppelrolle als Akteur einerseits und Dokumentarist andererseits.
Verdrängt, verleugnet und verleumdet – so war bisher der Umgang mit dem, was ich in diesen Fotos zeige. Deshalb kann ich nur empfehlen lieber den erotischen Akt als die nackte Armut zu fotografieren.
Armut ist nur ein Thema, wenn es um Asyl geht, aber nicht, wenn es um das Arbeitsleben und die Armut von Arbeitnehmern bis ins Alter geht.
Es sind eben soziale Wunden und Ansprechen der Dinge bedeutet fast immer Ablehnung, weil die Wunden bei den Arbeitnehmern bis ins Alter lebenslang weh tun und die anderen Akteure nicht an ihre Abscheulichkeiten erinnert werden wollen.
So bleiben die Fotos brisant bis sie irgendwann einfach übriggeblieben sind und keine soziale Bedeutung mehr haben außer als Dokumente in der Geschichtsschreibung zu dienen.
Exakt das habe ich schon einmal erlebt beim Umgang mit meinem Buch über den Nationalsozialismus und den Umgang mit der Zeit an sich.
Und so hoffe ich mit diesem Text dieses Thema abrundend abzuschließen und dem Archiv die weitere Verwendung für die Erinnerungskultur zu ermöglichen.
Zumindest konnte ich dokumentieren, daß die Menschen bewußt in soziale Not getrieben wurden und soziale Kämpfe ohne Verbündete in der Politik zum Scheitern verurteillt sind, wenn man keine Revolution will sondern nur die Rückkehr sozialer Gerechtigkeit.