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Warum sich Geschichte wiederholt und wie Zeitgeist entsteht

„Zumal ist die Anpreisung eines so völlig werthlosen, ja, durchaus verderblichen Kopfes, wie Hegel, als des ersten Philosophen dieser und jeder Zeit, zuverlässig die Ursache der ganzen Degradation der Philosophie und, in Folge davon, des Verfalls der höhern Litteratur überhaupt, während der letzten 30 Jahre gewesen. Wehe der Zeit, wo, in der Philosophie, Frechheit und Unsinn Einsicht und Verstand verdrängt haben!

Denn die Früchte nehmen den Geschmack des Bodens an, auf welchem sie gewachsen sind. Was laut, öffentlich, allseitig angepriesen wird, das wird gelesen, ist also die Geistesnahrung des sich ausbildenden Geschlechts: diese aber hat aus dessen Säfte und nachher auf dessen Erzeugnisse den entschiedensten Einfluß. Daher bestimmt die herrschende Philosophie einer Zeit ihren Geist.

Herrscht nun also die Philosophie des absoluten Unsinns, gelten aus der Luft gegriffene und unter Tollhäuslergeschwätz vorgebrachte Absurditäten für große Gedanken,—nun da entsteht, nach solcher Aussaat, das saubere Geschlecht, ohne Geist, ohne Wahrheitsliebe, ohne Redlichkeit, ohne Geschmack, ohne Aufschwung zu irgend etwas Edlem, zu irgend etwas über die materiellen Interessen, zu denen auch die politischen gehören, Hinausliegendem,—wie wir es da vor uns sehn.

Hieraus ist es zu erklären, wie auf das Zeitalter, da Kant philosophirte, Goethe dichtete, Mozart komponirte, das jetzige hat folgen können, das der politischen Dichter, der noch politischeren Philosophen, der hungrigen, vom Lug und Trug der Litteratur ihr Leben fristenden Litteraten und der die Sprache muthwillig verhunzenden Tintenklexer jeder Art.—Es nennt sich, mit einem seiner selbstgemachten Worte, so charakteristisch, wie euphonisch, die Jetztzeit: ja wohl Jetztzeit, d. h. da man nur an das Jetzt denkt und keinen Blick auf die kommende und richtende Zeit zu werfen wagt. Ich wünsche ich könnte dieser Jetztzeit in einem Zauberspiegel zeigen, wie sie in den Augen der Nachwelt sich ausnehmen wird. Sie nennt inzwischen jene so eben belobte Vergangenheit die Zopfzeit. Aber an jenen Zöpfen saßen Köpfe; jetzt hingegen scheint mit dem Stengel auch die Frucht verschwunden zu seyn.“

Arthur Schopenhauer

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