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Erinnerung und Bewußtsein

„Die vollkommene Besonnenheit nämlich beruht auf dem deutlichen Bewußtseyn der Vergangenheit und der eventuellen Zukunft als solcher und im Zusammenhange mit der Gegenwart.

Das hiezu erforderte eigentliche Gedächtniß ist daher eine geordnete, zusammenhängende, denkende Rückerinnerung:[72] eine solche aber ist nur möglich mittelst allgemeiner Begriffe, deren Hülfe sogar das ganz Individuelle bedarf, um in seiner Ordnung und Verkettung zurückgerufen zu werden.

Denn die unübersehbare Menge gleichartiger und ähnlicher Dinge und Begebenheiten, in unserm Lebenslauf, läßt nicht unmittelbar eine anschauliche und individuelle Rückerinnerung jedes Einzelnen zu, als für welche weder die Kräfte der umfassendesten Erinnerungsfähigkeit, noch unsere Zeit ausreichen würde: daher kann dies Alles nur aufbewahrt werden mittelst Subsumtion unter allgemeine Begriffe und daraus entstehende Zurückführung auf verhältnißmäßig wenige Sätze, mittelst welcher wir sodann eine geordnete und genügende Uebersicht unserer Vergangenheit beständig zu Gebote haben.

Bloß einzelne Scenen der Vergangenheit können wir uns anschaulich vergegenwärtigen; aber der seitdem verflossenen Zeit und ihres Inhalts sind wir uns bloß in abstracto bewußt, mittelst Begriffen von Dingen und Zahlen, welche nun Tage und Jahre, nebst deren Inhalt, vertreten.

Das Erinnerungsvermögen der Thiere hingegen ist, wie ihr gesammter Intellekt, auf das Anschauliche beschränkt und besteht zunächst bloß darin, daß ein wiederkehrender Eindruck sich als bereits dagewesen ankündigt, indem die gegenwärtige Anschauung die Spur einer frühem auffrischt: ihre Erinnerung ist daher stets durch das jetzt wirklich Gegenwärtige vermittelt.

Dieses regt aber eben deshalb die Empfindung und Stimmung, welche die frühere Erscheinung hervorgebracht hatte, wieder an. Demnach erkennt der Hund die Bekannten, unterscheidet Freunde und Feinde, findet den ein Mal zurückgelegten Weg, die schon besuchten Häuser, leicht wieder, und wird durch den Anblick des Tellers, oder den des Stocks, sogleich in die entsprechende Stimmung versetzt.

Auf der Benutzung dieses anschauenden Erinnerungsvermögens und der bei den Thieren überaus starken Macht der Gewohnheit beruhen alle Arten der Abrichtung: diese ist daher von der menschlichen Erziehung gerade so verschieden, wie Anschauen von Denken.

Auch wir sind, in einzelnen Fällen, wo das eigentliche Gedächtniß seinen Dienst versagt, auf jene bloß anschauende Rückerinnerung beschränkt, wodurch wir den Unterschied Beider aus eigener Erfahrung ermessen können; z.B. beim Anblick einer Person, die uns bekannt vorkommt, ohne daß wir uns erinnern, wann und wo wir sie gesehn haben; desgleichen, wann wir einen[73] Ort betreten, an welchem wir in früher Kindheit, also bei noch unentwickelter Vernunft, gewesen, solches daher ganz vergessen haben, jetzt aber doch den Eindruck des Gegenwärtigen als eines bereits Dagewesenen empfinden. Dieser Art sind alle Erinnerungen der Thiere.“

Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung II

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Der Wenzelnberg als Beispiel für die Erinnerungsarbeit und die Begegnung mit der Gegenwart

Foto: Michael Mahlke
Foto: Michael Mahlke

Voltaire brachte es auf den Punkt als er sagte, eigentlich sei Geschichte die Lüge auf die man sich geeinigt habe.

Und auch wir wissen heute oft nicht, was wie war. Aber wenn wir wissen, wo man uns belogen oder etwas vorenthalten hat, dann ist dies immer eine Sternstunde der Geschichtsschreibung, weil sie dokumentiert, was geschehen ist und die Frage stellt, worauf man zukünftig aufpassen sollte.

Es ist der Versuch, der Geschichte Handlungskompetenz in der Geschichtsschreibung zuzuweisen. Das ist allerdings durch die Geschichtslosigkeit der meisten Politiker und ihrer Entscheidungen dann meistens doch nicht möglich.

Und dennoch gibt es dabei Dinge, die wichtig sind, weil es neben der Geschichtsschreibung etwas gibt, an das sich Menschen erinnern als Zeitgenossen oder in der Nachwelt. Es sind Erlebnisse und Erzählungen davon und darüber.

„Was man als kollektives Gedächtnis bezeichnet, ist kein Erinnern, sondern ein Sicheinigen – darauf, daß dieses wichtig sein, daß sich eine Geschichte so und nicht anders zugetragen habe, samt den Bildern, mit deren Hilfe die Geschichte in unseren Köpfen befestigt wird…. Aber Fotos, die das Leiden und das Martyrium eines Volkes vor Augen führen, erinnern nicht bloß an Tod, Scheitern und Erniedrigung. Sie beschwören auch das Wunder des Überlebens. Wer den Fortbestand der Erinnerung sichern will, der hat es unweigerlich mit der Aufgabe zu tun, die Erinnerung ständig zu erneuern, ständig neue Erinnerungen zu schaffen – vor allem mit Hilfe eindrlicher Fotos. Die Menschen wollen ihre Erinnerungen besichtigen und auffrischen können.“

Diese Gedanken von Susan Sontag zeigen, da kommt die Fotografie ins Spiel. Fotos sind Bilder, die in die Köpfe kommen. Und Menschen erinnern sich mehr an Bilder als an Worte.

Bilder sagen manchmal mehr als tausend Worte. Und Bilder erzeugen Gefühle, erinnern daran, erneuern sie und erweitern das Gespürte.

Wie macht man dies sichtbar? Susan Sontag verweist in diesem Zusammenhang auf Gedenkmuseen als Erinnerungsstätten. Aber dort wo sie schon sind dürfen sie ebenfalls nicht vergessen werden.

Ein solcher Ort ist der Wenzelnberg mit der Wenzelnbergschlucht bei Langenfeld. Es ist ein Beispiel von sehr vielen.

Wie geht man damit fotografisch um?

1. Vergangenheit

Foto: Michael Mahlke
Foto: Michael Mahlke

2. Erinnerung

Foto: Michael Mahlke
Foto: Michael Mahlke

3. Gedenken

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4. Gegenwart – Flagge zeigen

Foto: Michael Mahlke
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5. Zukunft

Foto: Michael Mahlke
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