Veröffentlicht in Alle, Zeitgeschichte

Die Didaktik der Fotografie und die Geschichtsdidaktik – Geschichte(n) erzählen heute

Blickt man zurück, dann war Historix bzw. der Geschichtstrainer lange Zeit das erste elektronische Geschichtslernprogramm, das eine komplette Methodik und Didaktik dabei hatte.

 

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Damals dachte ich noch mehr an Wissen als Faktenwissen in Textform. Mittlerweile hat sich die Welt geändert und immer mehr Fotos bestimmen den Zugang zum “Wissen” überhaupt.

Der LWL (Landschaftsverband Westfalen-Lippe) hat einen sogenannten didaktischen Kommentar veröffentlicht zum Thema “Wie Fotos Geschichte erzählen”. Nach Mareen Kappis geht es darum, unter Nutzung des LWL-Bildarchivs eine historische Fotoanalyse durchzuführen: “Der Lehrer selbst oder aber ein Schüler bedient das Programm. Die ganze Klasse kann sich an einer gemeinsamen Analyse beteiligen. Die Arbeitsaufträge, die das Programm bereitstellt, können im Klassengespräch oder in Einzel-, Partner- sowie Gruppenarbeit erledigt werden. Eine zweite Nutzungsmöglichkeit ist die schülerzentrierte, die mehr der Idee des entdeckenden Lernens entspricht. Dazu sind mehrere Medienarbeitsplätze nötig, im Idealfall einer für jede Schülerin und für je- den Schüler. Die Schülerinnen und Schüler arbeiten eigenständig mit dem Programm, bearbeiten die Aufgaben und halten ihre Ergebnisse in dafür vorgesehenen Eingabefenstern fest. Anschließend können Arbeits- ergebnisse im Klassengespräch ausgewertet werden. Zusätzlich sind verschiedene Ausgabeoptionen wie das Speichern der eigenen Fortschritte in einer Text- oder PDF-Datei oder aber das Ausdrucken geplant. ”

Was mir an dem Manual gefällt ist die Systematik, die zeigt, wie man ein Foto analysieren kann, um historisches Urteilsvermögen und Bildkritik aufzubauen. Es ist Didaktik pur (auch Methodik) und gut nutzbar.

Das sollte man im Blick haben, wenn man sich dem nächsten Schritt nähert.

Der WDR hat kostenlos ein Tool ins Netz gesetzt, mit dem man dynamische Fotogeschichten erzählen kann:

“Interactive Storytelling” steht für eine moderne Art, multimediale Präsentationen mit Webtechniken zu erstellen. Eine ganze Reihe von aufwendig erstellten Reportagen im Online-Journalismus sind in letzter Zeit veröffentlicht worden. Eine Einführung in das Thema mit Beispielen findet sich in diesem Artikel der Webkrauts.

In Zusammenarbeit mit dem WDR haben wir ein Tool entwickelt, welches Journalisten die Möglichkeit gibt, sich bei der Erstellung solcher Reportagen auf den Inhalt zu konzentrieren. Pageflow funktioniert dabei wie ein „Mini-CMS“, das speziell dafür ausgelegt ist, bildschirmfüllende Bilder oder Videos mit Textelementen zu einem Erzählfluss zu verschmelzen.

MULTIMEDIAL

Pageflow verbindet Videos, Bilder, Audio und Text zu interaktiven Reportagen.

RESPONSE

Reportagen werden auf Desktop-Monitoren und mobilen Endgeräten optimal dargestellt.”

Interessant ist, daß beide Tools nichts miteinander zu tun haben aber für qualitatives Arbeiten gegenseitig eigentlich unerläßlich wären.

Wer also mit Pageflow arbeitet hat in der Regel keine Ahnung von Didaktik im Bereich der Fotografie oder von Didaktik überhaupt.

Meiner Meinung nach ist die Didaktik das Scharnier zwischen den Materialien und der Aufbereitung. Pageflow ohne Didaktik (und Methodik) ist daher kaum denkbar.

Das Manual und das Tool wurden meiner Vermutung nach durch öffentlich-rechtliche Institutionen entwickelt, also wahrscheinlich mit Steuergeldern bezahlt.

Deshalb stehen sie auch kostenlos zur Verfügung.

Der Vorteil ist dabei sicherlich, daß nun jeder, der will, sich fotografisch weiterbilden kann und zugleich mit dem neuen Wissen gute Geschichten entwickeln kann.Der Nachteil ist, daß dies alles im Meer der visuellen Welt kaum auffallen wird.

Wenn es aber gelingt, die Macht der Bilder mit einem kritischen Blick wahrzunehmen, wäre viel erreicht.

Ohne nun einen umfassenden Überblick über Storytelling zu liefern möchte ich doch noch auf ein anderes Tool (Werkzeug) und andere Varianten hinweisen.

In meinem Artikel Fotostory habe ich schon vor ein paar Jahren auf die damals aktuellen Varianten und die praktische Umsetzung hingewiesen. Besser ist nichts geworden – nur neuer.

Gerade Soundslides ist in meinen Augen das beste Werkzeug, um diszipliniertes Arbeiten zu lernen, Inhalte auszuwählen, Rhythmus und Tempo in eine Erzählung zu bringen und Inhalte zu komponieren. Es zwingt fast zu methodischem und didaktischem Vorgehen.

Aber es gefällt wohl nicht allen, weil es sich beschränkt und Fotos an erste Stelle setzt und nicht Videos.

Dabei wird es von Profis gerne und bis heute für schwierige Projekte genutzt.

Heute kommen über das Foto und seine Möglichkeiten Wissensgebiete der Kulturschaffenden zusammen, die zusammen gehören.

Sie zu nutzen wäre die Aufgabe, dafür bezahlt zu werden die politische Antwort einer demokratischen Gesellschaft. Abe dafür muß man was tun. Vielleicht helfen gute Fotogeschichten dabei.

Wie man es macht und womit man es macht wissen Sie ja nun!

Aber als Deutscher möchte ich noch etwas anmerken. Wieso spricht man von Manual und von Tool? Ich würde mir wünschen, wir würden wieder von Handbuch und Softwareprogramm oder Werkzeug sprechen. Das sind nämlich präzisere und deutsche Wörter, die für deutsche Menschen und deutsches Denken wichtig sind.

Zur Kenntnis der Geschichte gehört auch die Erkenntnis, daß man weder vor seiner Geschichte flüchten kann noch durch Aufgabe der eigenen Identität besseres findet. Ich habe zwar auch mal den Begriff Fotostory benutzt aber mit dem Hinweis, daß Fotos Geschichten erzählen. Insofern packe ich mich an die eigene Nase und hoffe, mit diesem Beitrag etwas zur Sensibilisiereng der Sprache beigetragen zu haben.

Auf Wiedersehen!

Veröffentlicht in Alle, Essay

Michael Mahlke – Retrospektive oder der Blick zurück nach vorn

Ein Teil meines Lebens ist das Interesse an und die Beschäftigung mit Geschichte. Was ist dabei in den letzten 25 Jahren herausgekommen?

Meine historischen Themen haben sich aus meinem Leben ergeben. Ich schrieb Bücher und/oder gab sie heraus, entwickelte Lernsoftware und zuguterletzt dokumentierte ich mit Bildern Veränderungen, die ich selbst erlebt hatte. Ich kam vom Text zum Bild. Es ging immer um Sozialgeschichte, Zeitgeschichte und später um sozialdokumentarische Fotografie bzw. Dokumentarfotografie.

Ich bin zu der Erkenntnis gekommen, dass die Menschen auch mit Bildung keine Chance haben, aus ihren vorgefundenen sozialen Verhältnissen zu kommen.

Solange Macht und Eigentum im grossen Stil und weltweit vererbt werden oder durch Heirat übertragen werden, bleiben die Armen die Dummen. Der Aufstieg der Armen ist in Deutschland der Beamtenstatus. Damit wird man automatisch wieder zum Mitarbeiter der bestehenden sozialen Verhältnisse. So geht das.

Bildung hilft dies zu verstehen, deshalb wollen die Mächtigen auch nicht, dass zu viele Menschen lesen, schreiben und denken lernen. Aber Macht wird eben nur durch Gegenmacht begrenzt und Reichtum ebenfalls nur durch Reichtum, also Umverteilung.

Nach meinem Studium der Menschen in Geschichte und Gegenwart (Geschichte und Sozialwissenschaften) habe ich konkret und lokal die Menschen und ihre Verhältnisse vor 150 Jahren untersucht und im Prinzip diese Untersuchungen bis heute fortgesetzt, wobei ich die letzten 30 Jahre bewusst politisch miterlebt habe und als Zeitgenosse und Zeitzeuge vom Wort zum Bild wechselte.

Erst schrieb und forschte ich, dann war ich selbst Akteur, das wiederum reflektierte und dokumentierte ich. Einen Teil sieht man, ein anderer Teil ist im Archiv und darf erst nach 30 Jahren veröffentlicht werden.

Was ich getan habe, hätte man als beamteter Historiker nicht tun können (man wäre auch nie drauf gekommen). Die meisten historischen Arbeiten habe ich sogar selbst bezahlt oder nur einen kleinen Teil der Kosten zurückerhalten.

Es war persönliche Motivation und der Idealismus bzw. Glaube daran, dass die Hoffnung das Salz in der Suppe des Lebens ist.

So wurde zumindest den vielen namenlosen Zeitgenossen von mir ein Gesicht gegeben und über ihr Leben wurde berichtet. Das kann in späteren Jahren historisch wichtig sein, wenn die Archivierung gelingt.

Aber im Ergebnis war dies alles an den vorherrschenden sozialen Normen gemessen für mich persönlich karrierehemmend und es waren materiell reine Verlustgeschäfte. Erfolg sieht anders aus.

Es hat auch niemand anders gemacht ausser einer anderen Person, die mehrfach über die Verfolgten der Nazizeit in Remscheid schrieb und dabei auch nur draufzahlte.

Es lohnt sich also weder sozial noch materiell, sich mit den Menschen und ihren Kämpfen zu beschäftigen und gegen das Vergessen zu schreiben, weil meiner Erfahrung nach weder die Beteiligten noch die Betroffenen in der Regel ein Interesse daran haben. Es gibt meistens Streit und es ergeben sich daraus für die eigene soziale Stellung nicht einmal Respekt oder gesellschaftliche und ideelle Anerkennung – geschweige denn ein Ausgleich für die eingesetzte Lebenszeit.

Wer so etwas macht, kann es nur aus sich selbst heraus tun, aus der Überzeugung, dass dies wichtig ist – für die Demokratie, die Menschen und das kollektive Gedächtnis und als Akt gegen das Vergessen.

Aber es ist so wie es auch für die engagierte Dokumentarfotografie beschrieben wurde: es ist eine undankbare Aufgabe und davon zu leben ist praktisch unmöglich.

Ich ging arbeiten, um zu leben, machte dies alles nebenbei ausserhalb der Arbeitszeit und musste sogar noch aufpassen, dass ich bei der Dokumentation von sozialen Kämpfen und Ungerechtigkeiten nicht noch fristlos entlassen wurde. Das hatte was! Ich lernte dabei vor allem, dass andere Forderungen an mich stellten, die sie selber nicht erfüllen konnten und Ergebnisse verlangten, für die sie unfähig waren, die Voraussetzungen zu schaffen. Wenn man dabei nicht resignieren, erstarren und verlieren will, kann man sich davon nur entfernen.

Da waren die knapp zwei Jahre in der Altenpflege mit Anfang 20 viel erfüllender oder später das Coaching von Menschen, die eine neue Richtung in ihrem Leben suchten.

Menschen sind animalisch und können durch Erziehung und Vorleben diesen Zustand teilweise überwinden oder ergänzen und zu sozial engagierten und toleranten Menschen werden. Ich habe sogar geglaubt, dass der Verstand und die Vernunft im Sinne der Menschheit eingesetzt werden können. Meine Hoffnung war, dass das Pendel vom ICH zum WIR mehr zum WIR ausschlägt.

Aber ich habe heute begriffen (mit 50 Jahren), dass die Menschen sich nicht ändern sondern sich nur das zivilisatorische Umfeld ändert, bis auf ein paar Ausnahmen, die ich kennengelernt habe. Damit kommt man dann jenseits der Illusionen an.

Über 20 Jahre führte ich parallel Seminare durch zu Themen wie „Global denken, vor Ort handeln“, Deutschlandfrage und Kalter Krieg, Politische Psychologie oder dem besseren Umgang miteinander, ökologieorientierter VWL, Verhaltenstraining in Konflikten, später kam Coaching hinzu und vieles mehr. Dann stellte ich mir die Frage, ob es etwas genutzt hatte im Sinne einer Veränderung hin zu mehr WIR. Das war offenkundig fast nie der Fall.

Und wer glaubt, Leistung würde sich lohnen, der muss sich immer nur neben den stellen, der einfach als Sohn zum Geschäftsführer wird oder erbt, um vielleicht irgendwann zu merken, dass sich Leistung in so einem System nicht lohnen kann. Chancengleichheit ist vielleicht die größte Illusion, die in der Demokratie vermittelt wird, weil sie als Begründung Bildungschancen nennt aber vergisst, dass Bildung allein auch nicht viel nutzt, weil es um die Abstammung und den Geldbeutel geht. Die sogenannte Durchlässigkeit der sozialen Schichten ist so gut wie nicht gegeben.

Noch mehr dazu schrieb ich in zwei anderen Artikeln nieder „Nicht nur zur Weihnachtszeit“ und „Fotografieren nach dem Weltuntergang“. Alle drei Artikel zusammen ergeben meine Sicht der Welt aus historischer Perspektive im Jahre 2013.

So ist die eigene Lebensgeschichte auch ein guter Ansatz, um die Welt zu verstehen. Sie führt zurück zum Ich.

Vielleicht ist das die Antwort – meine Antwort.