Veröffentlicht in Alle, Essay

Michael Mahlke – Retrospektive oder der Blick zurück nach vorn

Ein Teil meines Lebens ist das Interesse an und die Beschäftigung mit Geschichte. Was ist dabei in den letzten 25 Jahren herausgekommen?

Meine historischen Themen haben sich aus meinem Leben ergeben. Ich schrieb Bücher und/oder gab sie heraus, entwickelte Lernsoftware und zuguterletzt dokumentierte ich mit Bildern Veränderungen, die ich selbst erlebt hatte. Ich kam vom Text zum Bild. Es ging immer um Sozialgeschichte, Zeitgeschichte und später um sozialdokumentarische Fotografie bzw. Dokumentarfotografie.

Ich bin zu der Erkenntnis gekommen, dass die Menschen auch mit Bildung keine Chance haben, aus ihren vorgefundenen sozialen Verhältnissen zu kommen.

Solange Macht und Eigentum im grossen Stil und weltweit vererbt werden oder durch Heirat übertragen werden, bleiben die Armen die Dummen. Der Aufstieg der Armen ist in Deutschland der Beamtenstatus. Damit wird man automatisch wieder zum Mitarbeiter der bestehenden sozialen Verhältnisse. So geht das.

Bildung hilft dies zu verstehen, deshalb wollen die Mächtigen auch nicht, dass zu viele Menschen lesen, schreiben und denken lernen. Aber Macht wird eben nur durch Gegenmacht begrenzt und Reichtum ebenfalls nur durch Reichtum, also Umverteilung.

Nach meinem Studium der Menschen in Geschichte und Gegenwart (Geschichte und Sozialwissenschaften) habe ich konkret und lokal die Menschen und ihre Verhältnisse vor 150 Jahren untersucht und im Prinzip diese Untersuchungen bis heute fortgesetzt, wobei ich die letzten 30 Jahre bewusst politisch miterlebt habe und als Zeitgenosse und Zeitzeuge vom Wort zum Bild wechselte.

Erst schrieb und forschte ich, dann war ich selbst Akteur, das wiederum reflektierte und dokumentierte ich. Einen Teil sieht man, ein anderer Teil ist im Archiv und darf erst nach 30 Jahren veröffentlicht werden.

Was ich getan habe, hätte man als beamteter Historiker nicht tun können (man wäre auch nie drauf gekommen). Die meisten historischen Arbeiten habe ich sogar selbst bezahlt oder nur einen kleinen Teil der Kosten zurückerhalten.

Es war persönliche Motivation und der Idealismus bzw. Glaube daran, dass die Hoffnung das Salz in der Suppe des Lebens ist.

So wurde zumindest den vielen namenlosen Zeitgenossen von mir ein Gesicht gegeben und über ihr Leben wurde berichtet. Das kann in späteren Jahren historisch wichtig sein, wenn die Archivierung gelingt.

Aber im Ergebnis war dies alles an den vorherrschenden sozialen Normen gemessen für mich persönlich karrierehemmend und es waren materiell reine Verlustgeschäfte. Erfolg sieht anders aus.

Es hat auch niemand anders gemacht ausser einer anderen Person, die mehrfach über die Verfolgten der Nazizeit in Remscheid schrieb und dabei auch nur draufzahlte.

Es lohnt sich also weder sozial noch materiell, sich mit den Menschen und ihren Kämpfen zu beschäftigen und gegen das Vergessen zu schreiben, weil meiner Erfahrung nach weder die Beteiligten noch die Betroffenen in der Regel ein Interesse daran haben. Es gibt meistens Streit und es ergeben sich daraus für die eigene soziale Stellung nicht einmal Respekt oder gesellschaftliche und ideelle Anerkennung – geschweige denn ein Ausgleich für die eingesetzte Lebenszeit.

Wer so etwas macht, kann es nur aus sich selbst heraus tun, aus der Überzeugung, dass dies wichtig ist – für die Demokratie, die Menschen und das kollektive Gedächtnis und als Akt gegen das Vergessen.

Aber es ist so wie es auch für die engagierte Dokumentarfotografie beschrieben wurde: es ist eine undankbare Aufgabe und davon zu leben ist praktisch unmöglich.

Ich ging arbeiten, um zu leben, machte dies alles nebenbei ausserhalb der Arbeitszeit und musste sogar noch aufpassen, dass ich bei der Dokumentation von sozialen Kämpfen und Ungerechtigkeiten nicht noch fristlos entlassen wurde. Das hatte was! Ich lernte dabei vor allem, dass andere Forderungen an mich stellten, die sie selber nicht erfüllen konnten und Ergebnisse verlangten, für die sie unfähig waren, die Voraussetzungen zu schaffen. Wenn man dabei nicht resignieren, erstarren und verlieren will, kann man sich davon nur entfernen.

Da waren die knapp zwei Jahre in der Altenpflege mit Anfang 20 viel erfüllender oder später das Coaching von Menschen, die eine neue Richtung in ihrem Leben suchten.

Menschen sind animalisch und können durch Erziehung und Vorleben diesen Zustand teilweise überwinden oder ergänzen und zu sozial engagierten und toleranten Menschen werden. Ich habe sogar geglaubt, dass der Verstand und die Vernunft im Sinne der Menschheit eingesetzt werden können. Meine Hoffnung war, dass das Pendel vom ICH zum WIR mehr zum WIR ausschlägt.

Aber ich habe heute begriffen (mit 50 Jahren), dass die Menschen sich nicht ändern sondern sich nur das zivilisatorische Umfeld ändert, bis auf ein paar Ausnahmen, die ich kennengelernt habe. Damit kommt man dann jenseits der Illusionen an.

Über 20 Jahre führte ich parallel Seminare durch zu Themen wie „Global denken, vor Ort handeln“, Deutschlandfrage und Kalter Krieg, Politische Psychologie oder dem besseren Umgang miteinander, ökologieorientierter VWL, Verhaltenstraining in Konflikten, später kam Coaching hinzu und vieles mehr. Dann stellte ich mir die Frage, ob es etwas genutzt hatte im Sinne einer Veränderung hin zu mehr WIR. Das war offenkundig fast nie der Fall.

Und wer glaubt, Leistung würde sich lohnen, der muss sich immer nur neben den stellen, der einfach als Sohn zum Geschäftsführer wird oder erbt, um vielleicht irgendwann zu merken, dass sich Leistung in so einem System nicht lohnen kann. Chancengleichheit ist vielleicht die größte Illusion, die in der Demokratie vermittelt wird, weil sie als Begründung Bildungschancen nennt aber vergisst, dass Bildung allein auch nicht viel nutzt, weil es um die Abstammung und den Geldbeutel geht. Die sogenannte Durchlässigkeit der sozialen Schichten ist so gut wie nicht gegeben.

Noch mehr dazu schrieb ich in zwei anderen Artikeln nieder „Nicht nur zur Weihnachtszeit“ und „Fotografieren nach dem Weltuntergang“. Alle drei Artikel zusammen ergeben meine Sicht der Welt aus historischer Perspektive im Jahre 2013.

So ist die eigene Lebensgeschichte auch ein guter Ansatz, um die Welt zu verstehen. Sie führt zurück zum Ich.

Vielleicht ist das die Antwort – meine Antwort.

Veröffentlicht in Altertum

Das Alte Rom. Leben und Alltag von Nancy H. Ramage und Andrew Ramage

Wie kann man Geschichte interessant machen ohne in Anekdoten abzugleiten? Die Autoren  des Buches „Das Alte Rom. Leben und Alltag“ Nancy und Andrew Ramage haben die Exponate im Britischen Museum, die in über 250 Jahren gesammelt wurden, genutzt, um damit Einblicke in die Welt der Römer zu geben.

Zugleich wählten sie den Weg, in essayhafter Form und damit sehr lesenswert alle wesentlichen Themen der damaligen Zeit darzustellen.
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Veröffentlicht in Alle, Neuzeit, Zeitgeschichte

Unterwegs in den Osten von Jáchym Topol und Karel Cudlin

Das Buch ist beeindruckend. Es ist ein kleiner Schatz der Fotografie und Literatur. Dieses Buch ist dokumentarische Fotografie und dokumentarische Literatur und Geschichtsbuch in einem Band.

Wer jemals im Osten vor 1989 war und/oder auch in der Tschechoslowakei, der findet hier wieder, was man selbst gesehen hat und noch viel mehr. Denn das Buch berichtet über die Zeit bis 1989 und die Zeit nach 1989.
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Veröffentlicht in Alle, Buch, Europa

Geschichte(n) Wiener Kaffeehäuser

“Wien ist eine Stadt, die um Kaffeehäuser gebaut wurde.”

Mit diesem Satz von Bertolt Brecht beginnt Olaf Link das feine und kleine Buch über einige Wiener Kaffehäuser. Zunächst gibt es ein Kapitel, in dem geklärt wird, wie denn der Kaffee nach Wien kam und wie es dann weiterging. Dort finden wir auch viele Hinweise auf die interessante Geschichte der Kaffeehäuser von der ersten Erlaubnis, Tische und Stühle draussen aufstellen zu dürfen, über die Kontrolle der Zeitungen, die dort ausgelegt wurden, bis zur Schilderung der Geschichte der Kaffeehäuser mit ihrem Aufstieg und Abstieg und Aufstieg.
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Veröffentlicht in Alle, Zeitgeschichte, Zitate

Zeit und Stress

Ein Hauptergebnis der industriellen Revolution besteht … in der Vernichtung von Arbeitsplätzen. Zuerst wurde einfache, dann qualifizierte Handarbeit überflüssig. Das Gros der freigesetzten Arbeitskräfte wanderte von der Landwirtschaft zur Industrie und später in den Dienstleistungsbereich. Jetzt unterliegt auch dieser zunehmend der Automatisierung. Darüber hinaus erledigen intelligente Maschinen geistige Routinearbeit und unterstützen Managementaufgaben. In absehbarer Zukunft wird jegliche Arbeit in den Händen weniger Höchstqualifizierter liegen.
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Veröffentlicht in Alle, Altertum, Zeitgeschichte, Zitate

Populationen der Steinzeit

Die Populationen der Steinzeit lebten gesünder als die meisten Völker, die ihnen nachfolgten: Zur Zeit der Römer gab es mehr Krankheit in der Welt als je zuvor, und selbst im England des früheren neunzehnten Jahrhunderts dürfte die Lebenserwartung von Kindern kaum höher gewesen sein als schon vor 20000 Jahren.
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Veröffentlicht in Alle, Altertum, Neuzeit, Zeitgeschichte, Zitate

Der Niedergang Europas

„Die Macht des Heeres war die Macht der Heerführer, die immer wieder ihre Stellung mißbrauchten, um als Imperator oder Gott-Kaiser an die oberste Spitze zu gelangen.

(Moral: Das Heer hätte, wie in der guten alten Zeit, ein Bürgerherr sein müssen, geführt von loyalen Bürgern, nicht ein Heer teils von Söldnern, teils von widerwillig Hineingezwungenen, teils sogar von Nicht-Römern, von Germanen.)
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