Veröffentlicht in Buch, Heute, Neuzeit

Die Geschichte der Fotografie von Paul Lowe

„Da es in diesem Buch um Fotografie und nicht um Geschichte geht, wurden viele berühmte Bilder nicht aufgenommen, die uns weniger über das Medium als über die Situation erzählen.“ Mit diesem Ansatz hat Paul Lowe ein Buch erstellt, das uns nun wirklich viel über die Fotografie und ihre Geschichte erzählt.

Es entstand ein Buch das textlich und visuell eine wahre Wonne ist.  „Die Geschichte der Fotografie von Paul Lowe“ weiterlesen

Veröffentlicht in Alle, Neuzeit

Hunger, Rauchen, Ungeziefer von Manfred Vasold

Man müßte dieses Buch zur Pflichtlektüre für Studierende der Geschichtswissenschaft machen.

Denn hier steht viel von dem, was relevant war aber in den „normalen“ Geschichtsbüchern nicht vorkommt.

Der Autor Manfred Vasold hat hier ein Buch gemacht, das seinesgleichen sucht.

Das Buch ist wirklich eine „Sozialgeschichte der Alltags in der Neuzeit.“

Manfred Vasold packt Themen an, die wesentlich für soziale und politische Entwicklungen waren, er räumt auch noch mit weit verbreiteten Zahlenspielen auf und zeigt uns, wie einfach der Tod und das Leid die Menschen vor uns schon prägten und wie schnell es gehen kann, wenn Hunger, Seuchen und Armut die Existenz dominieren.

Die Texte sind sehr lesbar und doch sehr dicht, so daß dieses Buch für viele Stunden historische Lektüre ermöglicht.

Bei jedem Kapitel hatte ich das Gefühl, das könnte irgendwie auch heute noch sein.

Aber es geht nicht nur um Kriege sondern auch um Fragen wie Quecksilbervergiftungen in der fränkischen Industrie.

Herr Vasold geht mit konkreten Themen sehr in die Tiefe und zeigt uns dann die größeren Zusammenhänge.

Daß Quecksilber heute in NRW immer noch großflächig über die Kohlekraftwerke bewußt verstreut wird, möchte ich hier nur am Rande vermerken, weil es zeigt, wie nah gestern und heute zusammen sind.

Der Autor fragt nach den Lebensumständen der Menschen und hat einige Kapitel aus der Unendlichkeit der Themen zusammengefaßt, so daß es einen detailreichen Blick gibt, der Alltag und Entwicklungen mit Fortschritt und Rückschritt zeigt.

Es ist in meinen Augen ein ganz großes Geschichtsbuch, das im Franz Steiner Verlag erschienen ist.

Dem Autor kann ich nur gratulieren und dem Buch wünsche ich viele Leserinnen und Leser.

Manfred Vasold

Hunger, Rauchen, Ungeziefer
Eine Sozialgeschichte des Alltags in der Neuzeit
2016.
424 S., 14 s/w Abb., 7 s/w Tab., 3 s/w Fotos.
Gebunden
ISBN 978-3-515-11190-4

Veröffentlicht in Neuzeit, Zeitgeschichte

Visuelle Schätze aus der Archäologie sozialer Landschaft – Beispiele

Unsere Lebenszeit ist endlich und ein ununterbrochener Wandel. Was von unseren sozialen Entwicklungen bleibt, ist die Architektur und Symbolik im öffentlichen Raum, die erinnern soll und die Machtverhältnisse zeigen soll – Denkmäler eben.

Spätere Generationen begegnen dann diesen Zeugnissen und brauchen Wissen, um zu wissen, was es war und was es bedeutete. Die historische Einordnung ist bei der Begegnung dann der wichtigste Schritt. Daraus entsteht Erinnerungskultur. Deshalb ließen die Sieger auch oft die Säulen und Zeugnisse der Besiegten zerstören, damit man Denkmäler nicht sehen kann, um sich daran zu erinnern.

Ich entdeckte nun bei einem Ausflug in die Vergangenheit und Gegenwart der sozialen Landschaft drei visuelle Schätze, die ich fotografisch festhielt – „Denkmale“ von gestern bis zum Alltag der Gegenwart.

Diese drei Schätze aus der Erinnerungskultur möchte ich hier vorstellen.

Es handelt sich um Begegnungen von Menschen mit Überresten aus der Vergangenheit in der Gegenwart.

Foto 1

Meine Begegnung mit dem Erzengel Michael in saturnischer Form (Stein pur). Ich traf mich und wurde mit mir nicht fertig !? Die Völkerschlacht von Leipzig wäre heute wohl keine Erwähnung mehr wert, wenn nicht dieses monumentale Denkmal entstanden wäre. Und es wirkt auch fotografisch, wenn das Licht und der Moment stimmen.

Foto: M. Mahlke
Foto: M. Mahlke

Foto 2

Meine Begegnung mit der Geschichte – 2016 treffe ich auf 1946

Die ganze Geschichte dazu gibt es hier.

Foto: M. Mahlke

Foto 3

Mitten im Leben – der Erotik-Discount

Diese Geschichte ist Geschichte und Gegenwart. In einem alten Bürgerhaus mitten in der Stadt hat ein Erotik-Discount aufgemacht, der wirklich so aussieht. Es ist eine großartige Mischung visueller Zusammenfassung des roten Fadens, der die Menschheitsgeschichte erzählt.

Foto: M. Mahlke
Foto: M. Mahlke

So wurde meine Reise von visuellen Erlebnissen geprägt, die für mich Schlüssel sind, um die Welt damals und heute zu sehen und die durch ihre bloße Existenz heute weiter wirken – indem man sie sieht oder übersieht …

Von Napoleon über die Nachkriegszeit bis zur menschlichen Natur.

Ab hier könnte ich nun einen Roman darüber schreiben. Den überlasse ich ihrer Phantasie.

 

 

Veröffentlicht in Buch, Neuzeit

Ruhrgebietsfotografien 1928–1933 von Erich Grisar

Es ist vielleicht eines der gehaltvollsten Fotobücher zur Dokumentarfotografie in Deutschland überhaupt. Der Dortmunder Schriftsteller und Fotograf Erich Grisar war fast vergessen und nun sieht man im Rückblick, daß es ohne ihn keine Blicke auf die soziale Vergangenheit des Ruhrgebietes in dieser Art geben würde. Was für ein Lob für einen leider Toten, der seine Lebenszeit bewußt und klar aufgezeichnet hat mit Kamera und Schreibmaschine! „Ruhrgebietsfotografien 1928–1933 von Erich Grisar“ weiterlesen

Veröffentlicht in Buch, Neuzeit

Mittelalter Fotografie von Charlie Dombrow, hrsg. Ulrich Dorn

„Wie geht ein Ritter in Rüstung zum Klo? Trug jedes Burgfräulein einen Keuschheitsgürtel? … Zum Glück haben sich die Zeiten gewandelt. Heutzutage kann man solche Fragen direkt jenen stellen, die die Antworten eigentlich wissen müssen. Beispielsweise einem echten Ritter, der sich auf einem Mittelalterfest gewiss auch mit der Entsorgung beschäftigen muß…  Das wiederbelebte Mittelalter ist ein wunderbares Thema für Fotografen. Entdecken Sie mit der Kamera eine abwechslungsreiche Szene, die Traditionen bewahrt und Historie lebt…“

Mit diesen Worten führt uns der Autor Charlie Dombrow in sein Buch über Mittelalter-Fotografie ein. „Mittelalter Fotografie von Charlie Dombrow, hrsg. Ulrich Dorn“ weiterlesen

Veröffentlicht in Heute, Neuzeit, Zeitgeschichte

Exodus. Sebastião Salgado

Die UN-Vollversammlung hat den 20. Juni zum zentralen internationalen Gedenktag für Flüchtlinge ausgerufen. Dieser Tag wird in vielen Ländern von Aktivitäten und Aktionen begleitet, um auf die besondere Situation und die Not von Millionen Menschen auf der Flucht aufmerksam zu machen.

Weltweit sind mehr als 65 Millionen Menschen auf der Flucht, davon 41 Millionen in ihrem Heimatland. „Noch nie zuvor wurde die Marke von 60 Millionen Geflüchteten und Vertriebenen überschritten.“

Und nun liegt es vor mir, das Buch, das dies alles schon vor einer Generation zeigte und niemand kann sagen, er hätte es nicht früher wissen können.

„Denn der Band handelt eigentlich nicht von Einwanderern, sondern von Menschen auf der Flucht. Er wolle »die Geschichte einer in Bewegung geratenen Menschheit» erzählen, meint Salgado in seinem Vorwort. Seit Anfang der Neunziger hat er daher »Armutsflüchtlinge» an den Grenzen von USA und EU fotografiert, ethnische Flüchtlinge in Ex-Jugoslawien oder Ruanda sowie Menschen auf der »Landflucht» in den Metropolen Asiens und Lateinamerikas. Er selbst sei vor der Militärdiktatur in Brasilien nach Europa geflohen, betont der heute in Paris lebende Salgado. Daher könne er sich mit Flüchtlingen identifizieren. Seine Bilder sollen die Sensibilität für das zunehmende Elend verstärken.“

Diese Worte aus der Wochenzeitung freitag erschienen im Jahr 2000 als das Buch zum ersten Mal erschien.

Heute schreiben wir das Jahr 2016.

Die Neuausgabe heißt auf Deutsch Exodus, das bedeutet u.a. Auswanderung und Flucht.

Es ist ein Glücksfall, daß dieses Buch noch einmal aufgelegt wurde. Denn es war nur noch unter Sammlern zu hohen Preisen erhältlich. Damals kritisierte der Freitag das Buch wegen der Art wie Salgado fotografiert: „Wenn der westliche Betrachter den aufwendigen Bildband zur Hand nimmt, dann wird ihm in erster Linie ein hochästhetisches Panorama geboten. Nur selten fangen Salgados Bilder tatsächlich Situationen ein; es gibt kaum Dynamik. Im Mittelpunkt der Bilder stehen häufig charaktervolle Gesichter. Der überwiegende Teil der Fotos ist ganz bewusst inszeniert – eine kunstvolle Mischung aus Antlitz, Ambiente, Natur, Licht. Noch deutlicher wird diese Arbeitsweise bei den Porträts von Kindern, aus denen er einen Zusatzband gemacht hat. Salgado verwandelt das Foto zurück in ein Gemälde.“

Eine solche Kritik ist für mich absolut nicht nachvollziehbar. Und wenn aus einem Foto ein Gemälde werden sollte, welches mit Licht gemalt wurde, dann ändert dies nichts an der Kraft des Fotos sondern geht stattdessen sogar darüber hinaus. Schauen Sie selbst!

Es ist vielmehr geradezu ein fotografischer Glücksfall, daß Salgado mehr zeigt als das nackte Elend.

Seine Art der Fotografie macht das Anschauen erträglich und ermöglicht zu bleiben und sich nicht abzuwenden. Die damaligen Schwarzweiss-Fotografien ermöglichen eine nüchterne Distanz und die Fotos selbst sind dokumentierend und nicht ästhetisierend. Das Foto auf S. 127 mit den schlafenden Flüchtlingen ist eher schockierend. Denn wer sich mit Fotos beschäftigt erinnert sich an die Leichenberge im KZ der vergasten toten Menschen und assoziiert diese eher mit den schlafenden Frauen und Kindern auf diesem Foto. Und damit bin ich noch nicht bei den realen Leichenbergen wie die, die man auf S. 193 sehen kann.

Je mehr ich die Fotos von Salgado betrachte und mit heutigen Fotos vergleiche, desto mehr stört mich die Farbe an vielen Flüchtlingsfotos von heute, die oft den Menschen auf den Fotos ihre dominierende Aussage nehmen und durch Farbenpracht ersetzen.

Das Buch Exodus ist ein prächtiges Buch, das Geschichte und Gegenwart vermengt und zeigt, daß die Gegenwart von heute die Geschichte von morgen ist. Und so ist es auch mit den Fotos. Die Fotos von heute erzählen die Geschichte von morgen.

Salgado war damals (sechs Jahre bis 1999) dort wo Flucht und Vertreibung waren. Er sammelte als Einzelperson weltweit Eindrücke. Das ist noch nicht lange her.  Wir waren 1999 und 2000 alle schon dabei. Aber wenn über Flucht und Vertreibung gesprochen wurde, wen interessierte das? Nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Welt feierte der Neoliberalismus und fraß alle sozialen Strukturen, die er kriegen konnte. Und eine der Folgen in unserer Zeit ist die Zunahme von Flucht und Vertreibung.

Immer mehr Menschen kommen aus „gescheiterten Staaten“ zu uns wie Sebastiao Salgado heute zu Recht erklärt.

Und weil er diesen Weitblick hat, schrieb er schon 1999: „Für mich sind diese weltweiten Völkerwanderungen eine ähnlich historische Zäsur wie der Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Lebensweise, Produktion, Kommunikation, Verstädterung und Reisegewohnheiten sind revolutionären Veränderungen unterworfen.“

Statt damals die Ästhetik von Salgados Fotos zu kritisieren, hätten die Journalisten vom Freitag sich medial mal besser mehr dafür eingesetzt, die Fluchtursachen zu bekämpfen. Das haben sie aber nicht getan wie man heute sieht.

Und deshalb ist das Buch von Salgado ein gutes Buch zur genau richtigen Zeit. Seine Fotografien ordnen die aktuellen Entwicklungen in einen historischen Kontext ein und zeigen, daß in den letzten 20 Jahren nichts besser wurde sondern stattdessen der Neoliberalismus den Verlust der Staatlichkeit ebenso verstärkt hat wie die Zunahme von Krieg, Flucht und Vertreibung.

Salgado erzählt in diesem Buch visuell Geschichte und er liefert zudem eine Ästhetik, die es möglich macht hinzuschauen.

Das Buch ist fotografisch und inhaltlich richtig gut und zeigt Zeitgeschichte mit direkten Verbindungen zur Gegenwart. Bücher können Zusammenhänge über den Tag hinaus aufzeigen. Dieses Buch kann durch seine Neuauflage sogar direkt die Tür zwischen gestern und morgen öffnen.

Insofern ist dieses Buch ein Geschichtsbuch, schreibt selbst Geschichte und fordert uns auf, mit Realismus und Weitblick demokratische und soziale Antworten zu finden auf die menschlichen Tragödien. Dazu gehört aber eben auch die Einsicht, daß die Voraussetzung die Stärkung der demokratischen Staatlichkeit ist und nicht deren Verlust durch offene Grenzen ohne Kontrolle.

Freiheit braucht einen Rahmen wie gute Fotos auch.

Das Buch ist im Taschen Verlag erschienen.

Sebastião Salgados groß angelegte Bilddokumentation Exodus ist mittlerweile ein Klassiker zum Thema Migration und Vertreibung. Mehr als sechs Jahre investierte er in den 1990ern, um auf der ganzen Welt Menschen zu porträtieren, die durch Krieg, Völkermord, Unterdrückung, Elend und Hunger gezwungen waren, ihre Heimat aufzugeben und sich auf eine Reise mit ungewissem Ausgang zu begeben. In Südamerika, auf dem Balkan, in den Slums der Megacitys Asiens, im Nahen Osten und im Herzen Afrikas traf er Menschen, die zu einem Leben verurteilt waren, das sich der kleine glückliche Teil der Menschheit, der in Wohlstand und Frieden lebt, kaum auszumalen vermag.

Weit mehr als ein Jahrzehnt ist vergangen, seit Exodus erstmals veröffentlicht wurde. Zu den größtenteils immer noch virulenten Krisenherden der 1990er sind neue hinzugetreten, zu den Millionen von heimatlosen und unbehausten Menschen von damals weitere Millionen hinzugekommen.
Im Balanceakt zwischen der Dramatik der Situation und den ästhetischen Ansprüchen an Aufbau und Komposition seiner Bilder führt Salgado uns einen Prozess globaler Verelendung vor Augen, aus dem wir uns als Akteure im globalen Zusammenspiel ökonomischer und politischer Prozesse nicht mit voyeuristischer Schaulust entziehen können. Nicht erst seit Flüchtlingsboote an den Mittelmeerküsten anlanden und Ertrunkene an den Stränden liegen.

Sebastião Salgado begann 1973 seine berufliche Karriere als Fotograf in Paris und arbeitete in der Folge für die Fotoagenturen Sygma, Gamma und Magnum Photos. Im Jahr 1994 gründete er gemeinsam mit seiner Frau Lélia die Agentur Amazonas images, die sein Werk exklusiv vertritt. Salgados fotografische Projekte wurden in zahlreichen Ausstellungen und Büchern gezeigt, darunter Other Americas (1986), Sahel, L’Homme en détresse (1986), Arbeiter (1993), Terra (1997), Migranten (2000), Kinder der Migration (2000), Africa (2007) und Genesis (2013).
Lélia Wanick Salgado studierte Architektur und Stadtplanung in Paris. Ihr Interesse für die Fotografie entdeckte sie 1970. In den 1980er-Jahren begann sie, Fotobücher zu konzipieren und zu gestalten und Ausstellungen zu organisieren, u.a. über Sebastião Salgado, darunter Genesis. Seit 1994 ist Lélia Wanick Salgado Geschäftsführerin von Amazonas images.

Leben auf der Flucht
Sebastião Salgados klassische Bildreportage zu Migration und Vertreibung
Sebastião Salgado. Exodus
Sebastião Salgado, Lélia Wanick Salgado
Hardcover mit Begleitheft, 24,8 x 33,0 cm, 432 Seiten

ISBN 978-3-8365-6129-7
(Deutsch)

Veröffentlicht in Neuzeit, Zeitgeschichte

Das Höcker Album – Auschwitz durch die Linse der SS

Ein Fotoalbum zeigt die Banalität des Bösen.

Dieses Originaldokument zeigt auf vielen Fotografien wie der Alltag der Wachmannschaften und Soldaten außerhalb des Konzentrationslagers Auschwitz war. Er war offenbar schön.

Schon die alten Griechen wußten, wir blicken in die Gesichter von Menschen und darunter stecken die Seelen von wilden Tieren oder grausamen Bestien – wenn man sie nur läßt.

Und wenn der berufliche Aufstieg mit Vergasen, Denunzieren und dem Verwalten dieses Quälens und Tötens von Staats wegen verbunden ist, dann macht das vielen nichts wie man in diesem Buch sieht.

Dieses Buch gibt der Banalität des Bösen nicht nur ein Gesicht sondern zeigt die Gesichter vieler Deutscher, die sich ohne Probleme darin wiederfanden. Mengele und andere KZ-Ärzte sehen wir im Bild freundlich beieinander stehen, nachdem sie Menschen schrecklich folterten und ermordeten.

Wir leben heute mit den Folgen und haben mit dem Grundgesetz ein großes Geschenk erhalten. Wer sich über diese Verfassung hinwegsetzt, läßt solche Taten wieder zu.

Wenn man den Anfängen wehren will, bedeutet dies aber, eben nicht alles zuzulassen sondern zuerst dafür zu sorgen, daß die Demokratie als Schutzraum erhalten bleibt.

Wer dann den Sozialstaat abschafft und die Grenzen niederreißt, zerstört die Demokratie und läßt zu, daß diese Verhältnisse  zurückkehren können.

2007 erhielt das United States Holocaust Memorial Museum von einem ehemaligen Lieutenant Colonel der U.S. Army ein Fotoalbum, das dieser 1946 in Frankfurt ›gefunden‹ hatte. Das Album entpuppte sich schnell als Sensation. Denn es gehörte Karl Höcker, Adjutant des letzten Lagerkommandanten von Auschwitz, Richard Baer.
Die 116 Bilder zeigen SS-Personal und Besucher: bei der Jagd, bei Schießübungen, bei Freizeitaktivitäten – parallel zum Massenmord in Auschwitz zwischen Juni 1944 und Januar 1945. Abgebildet sind u. a. Richard Baer, Rudolf Höß, Josef Kramer, Franz Hößler, Otto Moll und Josef Mengele. Die Bilder geben ganz neue Hinweise auf Verbindungen und Seilschaften der SS-Größen. Und sie zeigen Verantwortliche und Ausführende des Massenmords, die hier erstmals identifizierbar werden. Der vorliegende Band publiziert das Höcker-Album vollständig auf Deutsch. Beiträge von neun internationalen Autoren erschließen das Album im Kontext der Zeit wie auch den Fall Höcker.

Die Hälfte des Buches ist mit sehr substanziellen Beiträgen gefüllt, die uns detailliert über das KZ-Leben und die nationalsozialistischen Strukturen informieren.

„Die Menschen sind unterwürfige Wesen“, schrieb Thomas Mann wenige Jahre, bevor die Auschwitzer Gaskammern ihre Tätigkeit aufnahmen, „von dem Bedürfnis geleitet, mit den Verhältnissen und Ereignissen, mit der Macht in innerer Übereinstimmung zu leben.“ Genau das taten die Deportierten in Auschwitz, wenn sie Befehle befolgten und die Selektion über sich ergehen ließen.“

Diese Worte schreibt Robert Jan van Pelt über die verkommene Welt im Vernichtungslager Auschwitz und Birkenau in dem Buch. Und wer sich mit den Texten auf das Fotoalbum „eingestimmt“ hat, spürt beim Anblick dieser Fotos die spezielle Mischung, die hier den Tod und den Alltag vermischen.

Ich empfinde dieses Buch als die andere Hälfte des Auschwitz-Albums von Lili Meier, weil wir hier noch einmal die Mörder privat danach treffen, unsere deutschen Landsleute. So sind ungeschönte Blicke möglich.

Mit Fotos sehen wir hier, wozu wir (Menschen) fähig sind, wenn man uns nur läßt. Macht wird nur durch Gegenmacht begrenzt und Massenmord ist nicht nur bei den Nazis Alltag gewesen sondern zieht sich immer weiter durch die Vergangenheit und Gegenwart.

Die Antwort darauf ist eine wehrhafte Demokratie mit klaren Werten, klaren Forderungen und klaren Grenzen.

Die Ausgestaltung ist bei uns das Grundgesetz mit einem Sozialstaat, weil nur Staatsbürger, die sozial abgesichert sind, auch bereit sind, ihr Land zu verteidigen. Dazu gehören dann auch Grenzen und gelebte Werte. Sonst erleben wir wieder die Umwertung aller Werte und wieder die Vernichtung sog. „unwerten“ Lebens, so wie dies mit religiöser oder weltanschaulicher Begründung schon fast vor unserer Haustür geschieht.

Man kann nach einem solchen Buch nicht einfach ruhig bleiben.

Aber auch rein sachlich betrachtet liefert dieses Buch sehr gutes Anschauungsmaterial über Gesichter von Menschen, die alles tun, wenn man sie nur läßt. Es sind Gesichter, die wir auch heute noch oft genug sehen und die bis heute noch überall zu finden sind, egal ob in der Nachbarschaft, in der Politik oder in der Medizin.

Abschließend empfehle ich zur besseren Einordnung und Bewertung von persönlicher Wahrnehmung und historischer Einordnung diese Verlinkung.

 

Das Buch ist im Theiss Verlag erschienen.

Hrsg. von Christophe Busch, Stefan Hördler und
Robert Jan van Pelt.
Das Höcker-Album
Auschwitz durch die Linse der SS
Mit einem Vorwort von Michael Wildt.
Verlag Philipp von Zabern – WBG
2016. Etwa 336 S. mit ca.150 s/w Abb. Register,
geb. mit SU.
Gebundener Ladenpreis: € 49,95 [D]
ISBN 978-3-8053-4958-1

Veröffentlicht in Neuzeit

Was wird zu Gerhard Schröder im Geschichtsbuch stehen?

Ausgerechnet die SPD und die Grünen haben unter dem Kanzler Gerhard Schröder und dem Vizekanzler Joschka Fischer die Armut in Deutschland mit Hartz 4 wieder eingeführt.

Die Agenda 2010, die maßgeblich von Frank-Walter Steinmeier und Peter Hartz bearbeitet wurde, machte aus ehrlichen und fleissigen Menschen arme Menschen, sobald sie etwas länger arbeitslos wurden.

Während Gerhard Schröder als „Genosse der Bosse“ galt, fühlten sich seine Wähler von ihm verraten. So erfüllte sich der Wahlspruch, der schon in der Weimarer Republik rumgeisterte: „Wer hat uns verraten – die Sozialdemokraten.“

Selbst zehn Jahre nach Einführung von Hartz 4 und der Verelendung großer Teile der Bevölkerung waren die Sozialdemokraten und die Grünen nicht bereit, ihre Fehler rückgängig zu machen. Lieber Wahlen verlieren als die Zukunft gewinnen schien das Motto zu sein.

Die SPD und die Grünen kämpften eher offensiv für die Homoehe und die ungesteuerte Einwanderung statt die einheimische Bevölkerung von Hartz 4 zu befreien.

Die Einführung und die Umsetzung von Hartz 4 und der Agenda 2010 ist der späte Sieg der alten Eliten aus der Nazizeit.

Die Agenda 2010 ist die Manifestation der Nazilogik.

Weiter gedacht bedeutet dies, daß die Einführung von Hartz 4 als Nazilogik in Reinform dazu führt, daß die Saat der alten Eliten aufgegangen ist: nun werden neue Nazis gezüchtet durch Hartz 4.

Neoliberales Handeln führt zur neuen Rechten.

Hartz 4 wird vom Restmüll der Nazizeit zum Saatgut, das sozial langsam aufgeht.

Habe ich was vergessen?

Text 1.1

Veröffentlicht in Neuzeit, Zeitgeschichte

Neue Themen für fotografische Dokumentationen

In einem Film von Heinz Büttler aus dem Jahr 2003 über Henri Cartier-Bresson weist Arthur Miller darauf hin, daß Amerika ein Land äußerster Gegensätze ist.

Dabei zeigt er Fotos von Cartier-Bresson aus den Jahren zwischen ca. 1950 bis 1970, die aus der amerikanischen Provinz ebenso stammen wie aus Harlem in New York.

Das war in Deutschland so nicht der Fall.

Das kommt erst politisch gewollt seit Hartz 4 und der neuen Politik nach der Wiedervereinigung. „Neue Themen für fotografische Dokumentationen“ weiterlesen

Veröffentlicht in Buch, Neuzeit

Die Salonieren und die Salons in Wien von Helga Peham

Ein Salon bildet sich um eine gebildete, geistreiche Frau, die Salonière.

So beginnt das Buch von Helga Peham.

200 Jahre Geschichte einer besonderen Institution lautet der Untertitel.

Er entführt uns in eines der interessantesten Themen der Kulturgeschichte der Stadt Wien.

Folgerichtig erzählt sie dann das Leben der bekanntesten Salonièren von Wien.

Charlotte von Greiner, Fanny von Arnstein, Karoline Pichler, Henriette Pereira, Josephine von Wertheimstein, Rosa von Gerold, Berta Zuckerkandl, Alma Mahler-Werfel und Anna Mahler, Marie Lang, Lina Loos, Gina Kraus, Grete Wiesenthal, Eugenie Schwarzwald lauten die Namen, die heute keiner mehr kennt.

Die Nazis machten auch diese soziale Kultur kaputt und nach dem 2. Weltkrieg gab es keine Menschen mehr, die daran anknüpften.

Es ist ein Buch über Frauen. Es ist aber auch ein Buch über Männer, weil Männer und ihr Reichtum die Voraussetzung für diese Art des Treffens waren.

Geschichten über Liebe und Politik füllen so ein Buch, das dennoch historisch sachlich informiert und einen guten Beitrag zur Sozialgeschichte der Stadt Wien liefert.

Die Salons waren Treffpunkte und Kommunikationsknoten in einer besonderen Art. Hier trafen sich Menschen und erlebten die Gegensätzlichkeit im Miteinander.

Peham gelingt es, geistreiche Porträts zu malen und zugleich ein Panorama der Stadt Wien und ihres kulturellen Zeitgeistes zu entwerfen.

Die Begegnung mit vielen Schriftstellern des 20. Jhrdts. im Salon zeigt, wie wichtig persönliche Kontakte für den Aufstieg waren – neben dem richtigen Milieu.

Wien ist eben eine besondere Stadt gewesen und dies war einer ihrer hervorstechendsten kulturellen Charakterzüge – neben den Kaffeehäusern.

Gut gemacht Frau Peham!

Das Buch ist bei styria erschienen.

Die Salonieren und die Salons in Wien. 200 Jahre Geschichte einer besonderen Institution von Dr. Helga Peham
ISBN: 978-3-222-13448-7

 

Veröffentlicht in Alle, Essay, Neuzeit

Sex reicht nicht – Globalisierung und Großmachtpolitik

Digitalisierung, Globalisierung und Neoliberalisierung sind die drei neuen Elemente einer Welt, die die Macht neu verteilt.

Sie ist genau so ungerecht wie früher und die Profiteure sind nur teilweise anders.

  • Die Digitalisierung hat dazu geführt, immer mehr Informationen überall schnell verbreiten zu können.
  • Die Globalisierung mit dem Zerstören von Schutzschranken hat dazu geführt, daß immer mehr Länder immer größere soziale Probleme haben.
  • Die Neoliberalisierung hat dazu geführt, daß die asozialsten Eigenschaften der Menschen auch in den Demokratien, die gekoppelt sind mit Menschenrechten, gesetzlich Vorrang vor sozialem Schutz erhalten.

Arbeit wird billig wie Dreck, wenige haben immer mehr, immer mehr haben immer weniger und die Zerstörung der Menschenrechte in den Verfassungen durch neoliberale Arbeitsgesetze wie Zeitarbeit, Niedriglöhne und fehlender Schutz bei Krankheit und Armut im Alter führen dazu, daß die Menschen sich vom Staat verabschieden und bei den Religionen oder woanders(?) ankommen.

Hinzu kommen die neuen alten Spiele der Großmächte, besser der alten und der neuen Großmächte.

Demokratie war immer nur für das eigene Land, drumherum war die Diktatur Teil des Systems. Das geschieht heute wieder nur sind außer Amerika und Russland auch China und Indien dabei.

Als die USA sich weigerten, Russland in Libyen nach Gaddafi einen Einflußbereich zu lassen, war dies der wohl größte Fehler einer alternden Großmacht.

Dieser Großmacht stehen nun neue Großmächte gegenüber. Beide haben keine Demokratiemodelle sondern Wohlstandmodelle. Putin regiert als Halbdiktator und die Partei in China regiert als Parteidiktatur. Beide brauchen weder Hedgefonds noch von Mckinsey oder Roland Berger (oder wie sie heissen) infiltrierte europäische oder deutsche neoliberale Politikratschläge.

Deren Interessen sind elitebestimmt unter anderen Voraussetzungen mit denselben Zielen: mehr für mich.

Und dennoch ist dies nur die halbe Wahrheit. Denn ein halber Diktator ist ehrlicher als eine Demokratie mit wenig Einfluss der Wähler und viel Einfluss der Berater und Beamten. Insofern ist die Frage der Demokratie eine Frage der Umsetzung des Wählerwillens.

Wenn in Deutschland eine 5 Prozent Partei, die FPD, über Jahrzehnte mehr Einfluss hat als die Oppositionsparteien mit 30 Prozent, dann ist dies genau so verlogen. Und wenn Beratungsgesellschaften es schaffen, den Wählerwillen auszuschalten und ihren Klientenwillen durchzusetzen, dann hat das mit Demokratie nichts mehr zu tun.

Das zeigt das Scheitern des Repräsentationsprinzip in der Demokratie, nicht der Demokratie.

Daran könnte man viel ändern.

Die Schweiz ist das einzige Vorbild, das bleibt. Demokratie bedeutet, die Menschen können durch Volksentscheide immer wieder das demokratische System erneuern und klar steuern – nicht über Nacht aber langfristig. Ein kluges Modell.

Und natürlich eine freie Presse und geschützte Meinungsfreiheit. Solange sie einigermassen frei ist. Wenn ihre Besitzer aber die neuen Hugenbergs in neoliberalen Zeiten sind, dann hiflt sie auch nicht. Deshalb ist es wichtig, eine freie Presse zu haben – gerade in schweren Zeiten.

Und nun?

Nun leben wir wieder einmal in einer geschichtsträchtigen Zeit und können sagen wir sind dabei gewesen.

Dieses mal ist es aber nicht die Französische Revolution und Goethes Campagne in Frankreich.

Dieses Mal ist es eine neue Welt, die entsteht und die noch keine Antwort auf die Fragen hat, die man ihr seit 30 Jahren stellt. Aber aus deutsch-europäischer Sicht wird es langsam ernst.

Denn unser Wohlstand ist in diesem zusammenbrechenden System rund um Europa mit materieller Wertelosigkeit als Lebensmuster nicht aufrecht zu erhalten.

Statt Banken zu retten sollten Politiker, die noch etwas Zukunft wollen, nun die Demokratien in Europa retten. Denn sie selbst wären doch die ersten Schlachtopfer.

Dazu gehören Gesetze, die endlich wieder Wohlstand, Ausbildung und Arbeit für alle ermöglichen. Es ist die einfache Rückkehr zur Absicherung bei Arbeitslosigkeit und im Alter und neu sollte der Anspruch auf Ausbildung und gemeinwohlorientierte Arbeit für Arbeitslose sein, sozialversichert und anständig bezahlt.

Das löst Integrationsprobleme, gibt der Jugend Zukunft und Einbindung in die Demokratie und ermöglicht eine lebendige Alternative zu religiösem Fanatismus und Diktaturmodellen. Die Fackel der Freiheit würde leuchten auf dem Boden der sozialen Sicherheit und der Beteiligung auf Augenhöhe.

Das bedeutet aber auch die Abschaffung der bösartigen und perversen Hartz 4 Gesetze, die Menschen durch das Aufzehren ihrer Ersparnisse in Armut treiben, Kinderkriegen belohnen und Arbeit unter dem Existenzminimum erzwingen, wenn man keine Kinder kriegt.

Das ist der Geist, der auch gutmütige Menschen zu Fanatikern machen wird.

Das kann man aus der Geschichte lernen. Das ist auch möglich.

Aber es wird nur gehen, wenn man denen etwas wegnimmt, die aktuell von der Situation profitieren.

Gerechtigkeit kommt nicht von selbst und das Zähmen der internationalen Konzerne und des internationalen Finanzsystems ist die einzige Möglichkeit, um nicht im absoluten subkutanen Kriegszustand zerrieben zu werden.

Wenn immer mehr Länder Interkontinentalraketen haben um sich mit Atomsprengköpfen zu zerstören, dann ist die Bedrohung groß aber sinnlos.

Die Teilverseuchung der Welt ist nach Tschernobyl und Fukushime schon da und nicht begrenzbar.

Selbst Krieg als Lösung scheidet aus, weil man Strahlung nicht bekämpfen kann, weder religiös noch finanziell.

Es wird nicht so weitergehen, wenn es so weitergeht.

„Oberstes Ziel ist das Überleben, gefolgt von Sex.” So der Psychoanalytiker Paul Verhaeghe.

Ficken reicht aber nicht mehr, um uns über den Stand der Tiere zu erheben.

Das kann nur eine Lösung sein, wenn man nicht mehr weiter weiß.

Es wird nicht reichen, wenn wir mehr wollen und die Höhle des neuen Neandertalers gegen eine gemeinsame soziale Welt eintauschen möchten.

Dann brauchen wir eine Rückbesinnung auf das, was gut war.

Soziale Sicherheit, Anerkennung von Völkern und Kulturen und ihren Eigenheiten, klare Regeln für klare Leistungen und Werte, die wir leben wollen.

Es ist auch eine Erfahrung, daß erst nach einem Krieg Banken und industrien und Medienkonzerne vergesellschaftet oder zerschlagen werden, weil man sieht, was sie angerichtet haben.

Nun gut, jetzt haben wir den Salat.

Ich habe 30 Jahre erlebt, daß Menschen eben nicht im Vorfeld so handeln, damit Katastrophen nicht eintreten, sondern das Gegenteil der Fall ist.

Mein Engagement für Aufklärung über 30 Jahre ist gescheitert und deshalb kann ich so frei darüber schreiben, weil ich mich endlich jenseits der Illusionen bewege.

Das tut nicht so weh wie gedacht aber es ist doch schmerzhaft. Ich hätte mir eine bessere Welt gewünscht und deshalb habe ich hier noch mal aufgeschrieben, wie einfach es wäre, dorthin zu kommen.

Be happy!

Veröffentlicht in Alle, Bergisches, Neuzeit

Viele, viele bunte Nazis? – Der Bergische Löwe und das Geschichtsbewusstsein in Remscheid

 Anmerkungen zum Thema Öffentlicher Raum als Heimat

„Das Vertraute und Wiedererkennbare, das physisch Fassbare, an das Erinnerungen geknüpft werden und welches Gefühle auszulösen vermag: In unserem „kollektiven Gedächtnis“ sind sie, so der Philosoph Maurice Halbwachs, unverzichtbar.“

Dieser Gedanke von Robert Kaltenbrunner passt gut auf das Beispiel von Remscheid und die Remscheider Löwenparade 2014 und was dabei schief gehen kann, wenn man in historischer Unkenntnis bzw. Verkennung handelt.

Denn es kommt auf die richtige Zuordnung und die historische Wahrheit an.

Als im Jahr 1939 das Löwendenkmal auf dem Remscheider Rathausplatz eingeweiht wurde, war es ein nationalsozialistisches Kampfsymbol. Das sollte auch der Löwe zum Ausdruck bringen.

Zur Einweihung am 1. Mai versammelten sich 27.000 NSDAP Mitglieder aus Remscheid auf dem Rathausplatz. Das Foto ist auf dem Cover des Buches abgebildet.

Remscheid in der Zeit des Nationalsozialismus herausgegeben von Michael Mahlke
Remscheid in der Zeit des Nationalsozialismus herausgegeben von Michael Mahlke

Nun bietet die Architektur in Remscheid zunehmend keine Orientierung mehr.

„Denn alles was Stadtplanung bewirkt, bringe irgendwelchen Leuten Vorteile und anderen Nachteile. Damit aber müsse man „umgehen“. Und die Architektur übernimmt als räumliches System noch immer Ordnungsaufgaben innerhalb der Gesellschaft. Nur muss man sich dessen neu bewusst werden… Denn was sich seit 1945 urbanistisch durchsetzte – und nach wie vor gilt -, ist eine aus dem Funktionalismus abgeleitete Analyse- und Planungstechnik.

Sie ermöglichte und beförderte die Herausbildung unserer heutigen Siedlungsstruktur. Und das einzelne Haus wurde zum Bestandteil der Megamaschine Stadt, die durch ihre vielfältigen Ver- und Entsorgungstechnologien den Haushalt von zahlreichen Arbeiten entlastete, aber um den Preis einer immer stärkeren Belastung der natürlichen Umwelt.“

So Robert Kaltenbrunner in seinem Text zum Thema Raum und Heimat weiter.

Obwohl der Text ohne Kenntnis und Wissen von Remscheid geschrieben wurde, spiegelt sich faszinierenderweise genau dieser Funktionalismus in Remscheid sehr stark wieder.

Foto/Grafik: Michael Mahlke
Foto/Grafik: Michael Mahlke

Das ist aber noch nicht alles. Der Aspekt des Bewahrens ist dabei gerade in einem besonderen Spektakel zu sehen.

Ein Denkmal auf dem Rathausplatz wird als „Vorbild“ genutzt, um Bewahren und Identität zu bilden. Gerade die Symbolik ist dabei ja entscheidend.

Man nimmt ein von Nazis gemachtes Symbol als neues lokalpatriotisches Schlüsselsymbol für Remscheid.

In völliger Unkenntis oder Verkennung der geschichtlichen Bedeutung (Stadtarchiv ?) wurde hier eine Aktion geplant, die sich ohne Fachwissen oder echte Recherche als Event nach außen darstellen soll.

Wenn man sich überlegt, wie sonst ein erheblicher Teil der Öffentlichkeitsarbeit in Remscheid betrieben wird und welche Agenturen hier tätig sind, ist dies sehr bemerkenswert.

Als ob das nicht genug wäre, wurden schon im letzten Kommunalwahlkampf Löwen genutzt, um einen neuen Lokalpatriotismus aufzubauen. Die Bezüge zum Rathausdenkmal waren unübersehbar.

Die neue Remscheider Löwenparade 75 Jahre nach der ersten Löwenparade ist das Ergebnis dieses nicht vorhandenen historischen Bewusstseins.

Da es vor dem Rathaus steht und dies so geschehen ist, hat wahrscheinlich im Rathaus (und im Stadtrat?) niemand etwas davon gewusst?!

Plakativ symbolisiert “ der mißbrauchte Bergische Löwe“ genau den Zusammenhang. Gisela Schmoeckel hat dies in ihrem verlinkten Artikel wunderbar sachlich dargestellt.

Auf dem hier zu sehenden Plakat „Stolz auf Remscheid“ der SPD aus dem Kommunalwahlkampf 2014 sehen Sie übrigens beide Löwen. Der große Löwe erinnert sofort an das Rathausdenkmal der Nazis („Stolz auf Remscheid“!). Der Löwe auf der offiziellen gelben Plakette der Stadt zeigt den Bergischen Löwen, der aufrecht steht, so wie es Gisela Schmoeckel beschrieben hat.

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Wie massiv damit geworben wurde und wie umfänglich das war, sieht man hier ganz gut.

Wie man mit der Vergangenheit besser hätte umgehen können, formuliert sehr konstruktiv Christian Peiseler:

„Einfach ein Denkmal zu kopieren, das die Nationalsozialisten für ihre Herrenmenschen-Ideologie missbraucht haben, ist doch irgendwie recht simpel und einfallslos. Mit ein paar feinen Ideen hätte sich bestimmt leicht ein anderer Prototyp des Bergischen Löwen formen lassen, einer der freundlicher, weltoffener und gewitzter ist. “

Aber genau so ist es bisher nicht geschehen.

Dabei wachsen nun natürlich Fragen, die man hätte vermeiden können: Damals kamen 27.000 NSDAP-Mitglieder. Wie viele Menschen kommen heute? Wie viele davon sind …? Was werden sie zeigen? Kreatives Miteinander auf der Grundlage eines Nazi-gemachten Symbols? Viele, viele bunte Nazis? Der Beginn der Wiederkehr in anderer Form?

Gegenwart hat viel mit Geschichte zu tun. Wer wissen will, wohin er geht, muß wissen, woher er kommt. Hier wäre auch der Punkt gekommen, an dem über die niedrige Wahlbeteiligung (30%) bei der letzten Bürgermeisterwahl gesprochen werden müßte und ich fragen würde, ob es in Remscheid überhaupt politische Bildung gibt und wer dafür verantwortlich ist?

Denn es geht nicht um Löwen an sich sondern um diesen Löwen als Symbol für Ausgrenzung, Verfolgung, Krieg (wohin blickt er wohl?) und vieles mehr. Aber das spare ich mir.

Das Schlimmste wäre allerdings das Totschweigen. Das geht nicht mehr, weil es hier und woanders schon steht und darüber kein Gras wachsen würde sondern dies alles vielfach dokumentiert und publiziert würde.

Es ist in jedem Fall eine Konfrontation mit der Geschichte, die anders hätte stattfinden können und müssen, kreativer, historischer, weiterführender und politisch bewußter – auch in Schulen und im Stadtrat. So wurde daraus ein Lehrstück für fehlendes Geschichtsbewusstsein und historische Ignoranz:

Die lokale NS-Geschichte wurde in jedem Fall im öffentlichen Bewusstsein nicht aufgearbeitet trotz vorhandener Informationen (sogar online) und nun kommt sie hoch.

Nachtrag im Oktober:

Als ob dies alles nicht reichen würde. Die Wirklichkeit schlägt jede Phantasie. Nun wurden diese Löwen zusätzlich noch an den Verkehrsknotenpunkten in Remscheid aufgestellt.

Mehr dazu hier.

Als ob dies nicht genug ist hat die Verwaltung auch beschlossen, daß dieser „Kotzbrocken in Löwenform“ dauerhaft als Marketingobjekt überall aufgestellt  bleiben soll.

Und manche Kommentare bestätigen diesen Artikel hier so eindrucksvoll, daß sich jeder weitere Kommentar erübrigt. Ob es sich dabei eher um fehlendes Geschichtsbewusstsein oder das Relativieren historischer Wahrheit oder das Verleugnen historischer Tatsachen handelt und welches Interesse dahinter steht, wer weiß!

Text 1.3

Veröffentlicht in Alle, Neuzeit, Zeitgeschichte

Unterwegs in den Osten von Jáchym Topol und Karel Cudlin

Das Buch ist beeindruckend. Es ist ein kleiner Schatz der Fotografie und Literatur. Dieses Buch ist dokumentarische Fotografie und dokumentarische Literatur und Geschichtsbuch in einem Band.

Wer jemals im Osten vor 1989 war und/oder auch in der Tschechoslowakei, der findet hier wieder, was man selbst gesehen hat und noch viel mehr. Denn das Buch berichtet über die Zeit bis 1989 und die Zeit nach 1989.
„Unterwegs in den Osten von Jáchym Topol und Karel Cudlin“ weiterlesen

Veröffentlicht in Alle, Altertum, Neuzeit, Zeitgeschichte, Zitate

Der Niedergang Europas

„Die Macht des Heeres war die Macht der Heerführer, die immer wieder ihre Stellung mißbrauchten, um als Imperator oder Gott-Kaiser an die oberste Spitze zu gelangen.

(Moral: Das Heer hätte, wie in der guten alten Zeit, ein Bürgerherr sein müssen, geführt von loyalen Bürgern, nicht ein Heer teils von Söldnern, teils von widerwillig Hineingezwungenen, teils sogar von Nicht-Römern, von Germanen.)
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