Veröffentlicht in Alle, Essay

Visual History – Übergänge und Zwischenzeiten zwischen DDR und BRD in der Dokumentarfotografie

In den letzten Jahren sind einige Bücher zur DDR und BRD erschienen, die sich mit der Zerstörung alter Strukturen und der Zeit danach beschäftigen zwischen Versprechen und Einhalten. Es ist immer Dokumentarfotografie als soziale Fotografie und/oder politische Fotografie, je nach dem, wie man im Kopf mit welcher Intention trennt. „Visual History – Übergänge und Zwischenzeiten zwischen DDR und BRD in der Dokumentarfotografie“ weiterlesen

Veröffentlicht in Alle, Zeitgeschichte

Geschichte schreiben mit Fotografie heute

Geschichtsschreibung und Fotografie sind heute mehr als das berufliche Thema von Historikern.

Heute ist eine neue Art des Verstehens möglich, bei der Fotos von der eher dokumentierenden-journalistischen Funktion zur dokumentierenden-historischen Funktion übergehen und dies alles innerhalb eines Lebens gesehen und verarbeitet werden kann.

So kann man aus dem Festhalten des Gesehenen und Geschehenen fotografisch und textlich sehr viel für die historische Forschung und Darstellung machen.

Es gibt verschiedene Ansätze, die ich beispielhaft mit Büchern benennen will.

Friedhelm Brebeck, Ursula Meissner, Sarajewo 1992 – 1996

Dieses Buch ist sicherlich eine kraftvolle Dokumentation, weil sie alle existenziellen Situationen darstellt und direkt übertragbar ist. Hinzu kommt der Alltag in Ausnahmesituationen

Harald Kirschner, Halle 1986 – 1990

Hier wird der Übergang im öffentlichen Raum von einem politischen System ins nächste gezeigt. Es ist eine Art des Festhaltens sichtbarer Veränderungen durch das, was noch das ist als Überrest und das, was weg ist und ersetzt wurde

Cordula Schlegelmilch, Wurzen 1990 – 1997

Hier wurde durch Forschung und Biografiearbeit versucht, soziale Veränderungen systematisiert festzuhalten, um personelle Veränderungen in einer Übergangszeit später nachvollziehen zu können

Es sind verschiedene Ansätze, die aber alle etwas gemeinsam haben.

Sie sind ohne Fotos nicht denkbar und sie sind alle drei nicht gegenseitig ersetzbar.

Geschichtsschreibung braucht starke Dokumente und starke Fakten.

Wenn Befehle nicht auffindbar sind, dann sind die Fotos der Folgen dieser Befehle oft das Einzige, was dies alles dokumentieren kann.

Deshalb ist gute Geschichtsschreibung auch immer mit dem Risiko der Behauptung besetzt. Aber dann ist sie manchmal am besten.

Man sieht schon, daß ich Geschichtsschreibung anders verstehe.

Wenn die armen Leute kein Tagebuch schreiben, dann muß man entweder mit realen Fotos oder mit erfundenen Charakteren nachhelfen, um Bilder zu erzeugen, die erzählen, wie es war oder wie es ist.

So habe ich bisher Geschichte geschrieben und Gesehenes und Geschehenes fotografisch dokumentiert.

Das ist meine Art Geschichte zu schreiben – mit Worten und mit Bildern.

Heute geht man sogar noch weiter und inszeniert Fotos ebenso wie in Filmen das historische Geschehen.

Aber Fotos sind kontextbezogen, d.h. weil sie frei in der Interpretation sind, muß man wissen, was, wer, wann, wo, wie und warum.

Deshalb sind Fotos ohne Hinweise oft nicht sinnvoll.

Das Ende der Geschichte ist vielleicht bald in Sicht. Aber bis dahin können wir nun die Fotografie noch besser einsetzen und vielleicht Fotos machen, die so viel sagen wie das, was hier beschrieben wurde.

 

Veröffentlicht in Alle, Buch, Zeitgeschichte

Wenn Fotografen Geschichte schreiben – Patina. Halle von 1986-1990 von Harald Kirschner

9783954620630_w

Mit der Geschichte und der Geschichtsschreibung ist das so eine Sache.

Es gibt viele Texte in vielen Büchern und es gibt wenige, die diese Texte lesen.

Und heute ist die Zeit der Grafiken, der Fotos und der Bilder gekommen.

Zeitgeschichte wird nun der Teil der Geschichte genannt, der von denen handelt, die noch leben und dies miterlebt und mitgestaltet haben.

Wer 1989 schon denken konnte, der war dabei und wer damals schon wählen konnte, der hat dies alles aktiv mit gestaltet.

1986 begann der Fotograf Harald Kirschner die Stadt Halle an der Saale zu fotografieren.

Aber nicht als Kunstobjekt sondern so wie man sie sah, wenn man auf der Straße unterwegs war.

1986 wußte noch niemand, dass 1989 die DDR verschwunden sein würde.

Harald Kirschner fotografierte bis 1990 in Halle an der Saale und hat so in einzigartiger Weise den öffentlichen Raum und das Leben der Menschen dort festgehalten – vor und nach der „Wende“.

In gewisser Weise ist daher das Buch von Harald Kirschner ein gelungener Beitrag zur Alltagsgeschichte des „deutschen Volkes“ in der DDR ab 1986 und den Wandel danach.

Die Fotos sind deshalb einzigartig, weil sie Dinge enthalten, die sonst kaum zu finden sind:

1. sie sind ungestellt
2. sie sind sozialdokumentarisch
3. sie sind nicht thematisch festgelegt

Sozialdokumentarisch bedeutet dabei, dass

  • die Fotos nicht ein einziges Element zeigen, sondern eine komplette Situation
  • die Fotos eine historische Einordnung der Situation ermöglichen
  • die Fotos gesellschaftliche Zustände in exemplarischer Form beschreiben

Es ist eben ein Unterschied, ob ich nur eine Bratwurst fotografie oder eine Bude an einer Strasse, wo ich Menschen sehe, die eine Bratwurst kaufen.

Das liegt an erster Linie an dem/der jeweiligen Fotografen/Fotografin. Sozialdokumentarische Fotografie ist die Fotografie, mit der man am wenigsten verdienen kann.

Seltsamerweise ist sie aber die fotografisch interessanteste Variante, wenn es um die Darstellung von Momenten aus der Wirklichkeit geht.

Wo andere wegschauen, muß diese Art der Fotografie hinschauen.

Und sie ist klar in ihrer Sprache.

Ob er wollte oder nicht, dem Fotografen Harald Kirschner ist mit diesem Buch ein Geschichtsbuch gelungen.

Wenn ein Bild mehr als tausend Worte sagen kann, dann hat es Herr Kirschner geschafft, viele tausend Worte in eine Reihe von Fotografien zu packen und damit Geschichte, Lebensalltag und vieles mehr sichtbar zu machen.

Damit nicht genug.

Man kann mit dem Buch nach Halle reisen und mitlerleben,

  • wie Geschichte damals aussah,
  • wie sie heute aussieht und
  • was sich wirklich geändert hat

Zeitgeschichte eben!

Natürlich ist es ein kleines Buch mit einem kleinen Thema. Aber gerade  durch die Darstellung des Mikrokosmos öffnet sich der Horizont zum Makrokosmos, der weiter und tiefer blicken läßt und auch neue Fragen ermöglicht.

Harald Kirschner fotografierte Halle, um seine Zeit festzuhalten. Daß daraus eine Dokumentation für die Zeit danach wurde, zeigt, wie wichtig diese Art der Fotografie ist.

Jetzt haben wir ein Buch über den öffentlichen Raum in Halle, welches all das zeigt, was damals öffentlich war. Das war viel mehr als man normalerweise erfährt. Und der oft gezeigte Mangel hatte ja auch Gründe.

Wer etwas über die DDR erfahren will und wirkliche Eindrücke von der Welt vor Ort sehen möchte, der findet in diesem Fotobuch ein erstklassiges Geschichtsbuch vor.

Da hat sich der Ablauf des Geschehens in der Politik mit dem Ablauf des Fotografierens von Harald Kirschner ungewollt überschnitten.

So entstand ein Buch, das einen doppelten Charakter hat.

Es ist ein Buch über sozialdokumentarische Fotografie und es ist ein Buch zur visuellen Geschichtsschreibung.

Geschichte ist konkret und findet unter bestimmten Bedingungen statt.

Und der öffentliche Raum spiegelt

  • Werte,
  • soziale Haltungen
  • und Lebeweisen
  • zu einem bestimmten Zeitpunkt
  • an einem bestimmten Ort

wieder.

Und wenn dann diese Dinge auch noch an andere Orte übertragen werden können, weil sie vergleichbar sind, dann ist etwas Besonderes gelungen.

In diesem Fall kann man es sogar kaufen.

Das Buch ist im Mitteldeutschen Verlag erschienen:

Harald Kirschner
Patina
Halle 1986–1990

112 S., geb., mit Farbabb., 16,7 x 24,0 cm
mit einer Einleitung von T. O. Immisch
ISBN 978-3-95462-063-0