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Michel Onfray, Wir brauchen keinen Gott

„Das Alte Testament kommt auf rund 3500 Seiten, das Neue Testament auf rund 900 Seiten und der Koran auf rund 750 Seiten… Alle drei grundlegenden Bücher sind voller Widersprüche. Jede Aussage wird oft noch im gleichen Atemzug wieder zurückgenommen… Jude, Christ oder Muslim – jeder schöpft nach seinem Belieben aus der Thora, den Evangelien oder dem Koran und findet dort nach Bedarf, was er braucht….

Auf diesem offengelegten Grabungsfeld herrscht der Textauszug vor. … Die Lösung finden wir bei Leo Trotzki, der seinerzeit – aus ganz anderen Gründen …- ein Buch mit dem Titel Ihre Moral und unsere schrieb: Jeder hat seine eigene Kampfmoral und Ethik, die einen diese, die anderen jene…. Sozusagen als Synthese der beiden älteren, ihm vorausgehenden monotheistischen Religionen übernimmt der Islam, der ja bekanntlich im Stammes- und Feudalwesen der arabischen Wüste seinen Ursprung hat, sämtliche Übel, die die Juden und Christen zu bieten haben: das Überlegenheitsgefühl einer „auserwählten“ Gemeinschaft, auf globale Dimensionen übertragenes lokales Denken, das ins Universelle ausgeweitete Besondere, rücksichtslose Unterwerfung unter das asketische Ideal, die Verehrung des Todestriebs, die Theokratie mit ihrer Zerstörung der Vielfalt, Sklaverei, Kolonialismus, totaler Krieg, Strafexpeditionen, Morde usw.“

Das sind Sätze aus dem Buch von Michel Onfray, nachdem wir schon mehr als 250 Seiten mit guten Argumenten gelesen haben.

Wer dieses Buch liest und religiös aufgewachsen ist, der sieht die Religion mit anderen Augen. Religion ist wahrlich „Opium“ mit dem das freie Denken betäubt wird.

Die erste Seite des Buches bringt ein Zitat von Nietzsche aus dem Ecce Homo:

„Der Begriff »Gott« erfunden als Gegensatz-Begriff zum Leben – in ihm alles Schädliche, Vergiftende, Verleumderische, die ganze Todfeindschaft gegen das Leben in eine entsetzliche Einheit gebracht! Der Begriff »Jenseits«, »wahre Welt« erfunden, um die einzige Welt zu entwerten, die es gibt – um kein Ziel, keine Vernunft, keine Aufgabe für unsre Erden-Realität übrigzubehalten? Der Begriff »Seele«, »Geist«, zuletzt gar noch »unsterbliche Seele«, erfunden, um den Leib zu verachten, um ihn krank – »heilig« – zu machen, um allen Dingen, die Ernst im Leben verdienen, den Fragen von Nahrung, Wohnung, geistiger Diät, Krankenbehandlung, Reinlichkeit, Wetter, einen schauerlichen Leichtsinn entgegenzubringen! Statt der Gesundheit das »Heil der Seele« – will sagen eine folie circulaire zwischen Bußkrampf und Erlösungs-Hysterie! Der Begriff »Sünde« erfunden samt dem zugehörigen Folter-Instrument, dem Begriff »freier Wille«, um die Instinkte zu verwirren, um das Mißtrauen gegen die Instinkte zur zweiten Natur zu machen! Im Begriff des »Selbstlosen«, des »Sich-selbst-Verleugnenden« das eigentliche décadence-Abzeichen, das Gelocktwerden vom Schädlichen, das Seinen-Nutzen-nicht-mehr-finden- Können«, die Selbst-Zerstörung zum Wertzeichen überhaupt gemacht, zur »Pflicht«, zur »Heiligkeit«, zum »Göttlichen« im Menschen! Endlich – es ist das Furchtbarste – im Begriff des guten Menschen die Partei alles Schwachen, Kranken, Mißratnen, An-sich-selber-Leidenden genommen, alles dessen, was zugrunde gehn soll-, das Gesetz der Selektion gekreuzt, ein Ideal aus dem Widerspruch gegen den stolzen und wohlgeratenen, gegen den jasagenden, gegen den zukunftsgewissen, zukunftverbürgenden Menschen gemacht – dieser heißt nunmehr der Böse… Und das alles wurde geglaubt als Moral! “

Onfray ist argumentativ so stark wie Nietzsche.

Das Buch ist unglaublich gut und sachlich überzeugend.

Michel Onfray argumentiert so wunderbar klug, daß man keine Angst mehr haben muß vor der Freiheit, nur einen klaren Blick.

Der Atheismus löst nicht das Problem von Macht und Gewalt aber er bringt mehr Klarheit in das vermeintlich Unabänderliche.

Aber wer wird es sehen statt es zu verdrängen?

Das Buch selbst ist leider nur noch antiquarisch erhältlich.

Wer es findet, findet einen Goldschatz für sein Leben auf dieser Welt.