Veröffentlicht in Bergisches, Essay, Zeitgeschichte

Die verlorenen Bibliotheken und das Körnchen literarisches Gold

Sind die Bücher die Welt? Will ich eine Welt ohne Bücher?

Ich bin mit Büchern aufgewachsen. Ich habe immer gelesen. Das half mir alle äußeren Stürme zu überstehen.

Sehr dankbar bin ich zwei Buchhändlern. Beide hatten kleine Buchhandlungen in Remscheid und beide zeigten mir die Literatur, die es auf der Schule nicht gab. Dort gab es weder Abert Camus noch Gustav Regler – hier schon.

Und später?

Seltsamerweise fand ich die besten Bücher immer in der Ramschkiste.

Später ging ich mit der Detailversessenheit eines Jungfraugeborenen vor obwohl meine Sonne woanders steht.

Als ich Lehrer werden wollte, sammelte ich historische Fachbücher: Geschichte in Quellen, Neue Deutsche Geschichte, Zeitgeschichte, Weltkriege in Fotos, Alexander Randa, Golo Mann, Fischer Weltgeschichte, Neue Historische Bibliothek, Didaktik der DDR, DDR Geschichte, Marxismus-Leninismus. Ich war gut im Sammeln und im Lesen.

Das nutzte mir nur nicht viel. Obwohl ich viel wußte, wurde ich nicht eingestellt, weil die SPD beschlossen hatte, keine Lehrer einzustellen.

Ich wollte es nicht glauben und sammelte weiter, weil ich für alle Themen aus meinem Studienumfeld up to date sein wollte. Aber die Bürokratie interessierte dies nicht.

Und dann die Software. Als ich die Lernprogramme erstellte und die Programmiersprachen lernte, als ich mit Autorensystemen arbeitete und die Netzwerkstrukturen lernte. Es gab jedes Jahr neue gedruckte Dokumentationen und Bücher, Kilo um Kilo jedes Jahr mit jeder neuen Version.

Ich brauchte lange, um mich davon zu lösen und zu verstehen, daß mein gesamtes erlerntes Wissen keinen Wert hatte.

Irgendwann entsorgte ich sämtliche Disketten im Sondermüll und alle Dokumentationen im Papiercontainer. Er war erst leer und danach komplett voll – dafür war der Keller leer.

38 große Kisten mit politischer Literatur verschenkte ich an ein befreundetes Ehepaar, das sich danach auf zwei Etagen 15 Meter breite und 2,5m hohe Bücherregale bauen ließ. „Mein Mann hat sich zehn Jahre kein Buch mehr danach gekauft“, erzählte mir die Ehefrau später.

Danach stieß ich auf die Astrologie. Ich sammelte fast die gesamte deutsche astrologische Fachliteratur und fand sie auch, die nach dem 2. Weltkrieg in Deutschland erschienen war. Parallel dazu arbeitete ich mich in die Welt der Esoterik ein und später merkte ich, daß ich mit der Energielehre nach Feng Shui besser arbeiten konnte. Astrologie und Feng Shui wurden zwei Denkweisen, die mich bis heute begleiten aber nicht bestimmen.

Die astrologische Bibliothek konnte ich später in die Schweiz verkaufen – es war das erste Mal, daß meine gesammelten Bücher etwas wert waren. Auch dies ist schon viele Jahre her.

Das war auch der Übergang in das digitale Zeitalter. Lesen von Fachliteratur erfolgte zunehmend über Artikel und andere Textformen an Computern.

Eine neue Zeit begann.

Und dann?

Dann kam die Fotografie und die digitale Revolution. Ich versuchte die Bilderfluten mit Fotobüchern aufzufangen. Irgendwie hoffte ich, daß die Bücher die Auswahl sein würden.

Aber es war eine Illusion.

Ich wollte, daß bei dem digitalen Bilderstrom etwas bleibt und hoffte, es könnten die Fotobücher sein.

Wenn ich nur auf die Fotobücher schaue, dann könnte man es glauben. Doch sobald man die Webseiten anklickt, die Fotos enthalten, ersäuft man darin.

Selektive Wahrnehmung als biologische Funktion rettet dann davor, den Bilderwald vor lauter Bäumen nicht mehr zu sehen.

Ich liebe auch heute noch Bücher. Es gibt immer wieder neue. Aber viele neue Bücher sind oft nicht viele gute Bücher.  Und es wird immer mehr geschrieben von immer mehr Wissenschaften mit immer mehr Fachvokabular auf immer begrenzterem Niveau.

Was soll das bringen?

Da war es früher besser, zumindest in der Geschichte. Ich liebe Otto Zierer, Will Durant und Bernt Engelmann und einige andere bis heute.

Durch alles dies habe ich mich durchgearbeitet und glaubte daran, daß die Aufklärung hilft.

Wissen ist Macht aber nichts wissen macht auch nichts.

Heute stimmt das.

Daneben hatte ich noch eine Buchsammlung mit der Weisheit der Welt. Ich suchte die Formeln des Lebens für die Seele. Für mich war zu wissen der Schlüssel. Aber da jeder Mensch sein eigener Lebensversuch ist, ergibt sich die Formel aus dem eigenen Leben in der Mischung, die du selbst zusammenmischst.

Und analytische Bücher schaffen Transparenz und sagen dir, warum du z.B. nicht gehen kannst, helfen dir aber nicht auf deinem Weg.

Da muß dir schon ein Mensch die Hand ausstrecken, dich anlächeln und dir helfen.

25 Jahre schrieb ich Exzerpte aus Büchern in eine sehr dicke Kladde. Es sind Bücher, die heute keiner mehr kennt. Wenn ich heute die Kladde aufschlage, wird mir immer klar, wie die Welt sich verändert und wie man selbst immer wieder neu auf die Gedanken schaut.

Dabei gibt es ein Geheimnis.

Es gibt Bücher, die ich gefunden habe und die ich für so essentiell und gut halte, daß sie meine Schätze wurden. Sie sprechen mir aus der Seele, sie sind wie eine klassische Musik, die alles zum Klingen bringt, was man empfindet und sie trösten über alles, was im Leben geschehen kann.

Sie sind das Gold des Lebens, wenn man bei sich selbst ist. Aber dieses Geheimnis verrate ich nicht.

Nur so viel: keines dieser Bücher stand jemals auf einer Bestenliste.

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