Veröffentlicht in Essay, Heute

Wie Hartz 4 die Gewerkschaften einholt

Eine persönliche Analyse

Erinnern Sie sich noch an den Lopez-Effekt? Das war ein Manager, der bei VW die Kosten gesenkt hat. Dazu zwang er Zulieferer zu verlagern und immer billiger zu werden.

Dies führte dazu, daß ganze Regionen mit Zulieferern in der Autoindustrie oft EU gefördert von Westdeutschland nach Ostdeutschland oder aus Deutschland in den Ostblock und nach China verlagerten.

Das asoziale Übel und Schikane mit System

Das ist noch gar nicht so lange her. Um auf Kosten der kleinen Leute die Gewinnaussichten zu erhöhen wurde dann die Agenda 2010 nachgeschoben, Ekel pur.

Das war 2005. Das ist gut zehn Jahre her. Vor der Einführung demonstrierten viele Menschen dagegen aber noch mehr nicht. Und die Gewerkschaften waren schon damals im Prinzip in zwei große Gruppen unterteilt. Die eine Gruppe hatte mit dem Staat zu tun und das Geld kam vom Steuerzahler, so daß jede Forderung möglich war. Die andere Gruppe hatte mit Privatunternehmen zu tun und dort konnten die Großen das meiste Geld von den kleinen Unternehmen holen.

Die Zwei-Klassen-Gesellschaft der IG Metall

So war es übrigens auch in der IG Metall. Die Automobilisten holten sich das meiste von den Zulieferern. Das führte dazu, daß es ununterbrochen „Sanierungsverträge“ in der Zulieferindustrie gab während parallel dazu die Automobilisten ihre Haustarifverträge schön erhöhten, wunderbare Ausstiegsoptionen in die Frührente schufen und sich auf Kosten der Zuliefererindustrie sanierten.

Aber irgendwann erreichte der Lopez-Effekt auch sie selbst. Das beste Beispiel dafür ist Opel, andere werden noch folgen.

Damit aber nicht genug. Zugleich waren die sozialen Folterwerkzeuge der Agenda2010 aktiv und machten aus Arbeitslosen Menschen, die jede Arbeit annehmen mußten. Nach Arbeit macht frei kam sozial ist was Arbeit schafft.

Viele Gewerkschafter aus der IG Metall und anderen Gewerkschaften wechselten in die Regierung, die Landtage oder wurden Vorstandsmitglieder in großen Unternehmen, meistens für Personal(!) zuständig.

So brach man an der Spitze möglichen Widerstand und konnte weitermachen wie bisher.

Der Mittelstand hat die Agenda 2010 nicht gemacht aber genutzt – was blieb ihm auch übrig?

So blieben in Deutschland nur die übrig, die sich den neuen Bedingungen anpassten. Wer überleben wollte und nicht exklusive Facharbeit lieferte, der mußte wohl oder übel auf den Zug aufspringen, der mit Zeitarbeit, Befristungen, schlechteren Arbeitsbedingungen und niedrigen Löhnen gefüllt war – und ist.

Die Globalisierung und die Mechanisierung sind mit den Gewerkschaften voran getrieben worden und nicht gegen sie und die Agenda 2010 ist von den Gewerkschaften zwar kritisiert worden aber weder die Gewerkschaften noch Bewegungen wie attac oder amnesty haben sich die Abschaffung der Agenda2010 zum Ziel gesetzt.

Solange man nicht selbst betroffen ist lebt man damit?

Doch nun steht die Agenda2010 vor der Tür und die Gewerkschaften haben damit in jedem Betrieb zu tun.

Drei öffentlich bekannte Beispiele, die für viele andere stehen, seien hier genannt:

  1. Amazon
  2. Kindertagesstätten
  3. Automobilzulieferer

Verdi

Verdi vertritt überwiegend Menschen im öffentlichen Dienst. Da ist es egal, was es kostet. Wenn es eine Lohnerhöhung im öffentlichen Dienst gibt, dann werden eben die Fahrpreise erhöht, die Grundsteuer wird erhöht, die Mehrwertsteuer etc. Aber jetzt hat Verdi auf einmal mit den Menschen zu tun, die unter der Knute der Agenda2010 schlechte Beschäftigungsverhältnisse haben und mit Arbeitgebern, die nicht mal eben die Preise erhöhen können. Das führt im Ergebnis bisher dazu, daß verdi nicht in der Lage ist dies zu lösen.

IG Metall

Die IG Metall hat in der Vergangenheit Tarifverträge gemacht, die viele Edelbranchen der Industrie umfaßten und dafür mußte oft genug die kleine mittelständische Industrie bezahlen. Sie hat sogar Tarifverträge zur Zeitarbeit gemacht. Das Problem bei der Logik dieser Systematik von Tarifverträgen liegt nur darin, daß diese in ihrer Anwendung sehr viele Unternehmen zwingen, Deutschland zu verlassen, weil woanders die Globalisierung auch vorhanden ist. Daher verlassen immer mehr Unternehmen die Tarifbindung. Der Skoda aus der Tschechei ist eben nicht schlechter als der VW aus Deutschland.

Über die anderen Gewerkschaften kann ich nicht viel sagen, aber die hier benannten Themen sind schon ein wesentlicher Bestandteil der neuen sozialen Wirklichkeit.

Die ungeschehene Geschichte des DGB

Hätten die Gewerkschaften den Niedriglohnsektor und die Agenda2010 bis aufs Äußerste bekämpft, wäre dies nicht möglich gewesen. Aber letztlich haben die Vorstände und sehr viele Funktionäre mit parteipolitischer Anbindung es nicht getan, obwohl es ein starkes und entschlossenes Kampfpotential vor Ort gab.

Natürlich stimmt es auch, daß zu einer Demo samstags in Dortmund keine 10.000 kamen und am Abend vorher zum Fußballspiel zehn Mal so viel. Aber Gewerkschafter wissen, daß Mobilisierung nicht von alleine kommt und eine Kooperation mit anderen Gruppen wäre wohl möglich gewesen wie die Montagsdemos zeigen, die noch Jahre danach umgesetzt wurden. Und gerade die Gewerkschaften hatten zu Beginn die größten Demonstrationen gegen Hartz4 organisiert. Sie legten den Grundstein und trauten sich dann nicht, den Konflikt mit der Regierung auszutragen. Genau das ist der Punkt an dem sich alles entschied.

Disziplinierungsinstrument oder größte soziale Bewegung – das war die Frage.

Die Antwort war eindeutig.

Das Übel hat einen Namen

Ausgerechnet ein Name steht für das Übel, das die Gewerkschaften jetzt immer mehr heimsucht: der ehemalige VW-Vorstand Peter Hartz als Namensgeber für das asoziale Hartz 4. So schließt sich der Kreis und das Übel kommt da wieder an, wo es entsprungen ist.

Nun wollen die Gewerkschaften genau die organisieren, die dadurch viel weniger haben und vesprechen ihnen mehr.

Aber wie soll das gehen?

Da bin ich sehr gespannt.

Und die große Politik schlägt sich sehr offensichtlich direkt vor Ort nieder. Dort finden wir die Beispiele, die diese Gemengelage widerspiegeln und dort dokumentiert sich alles, was mittlerweile erforscht wurde – mit offenem Ausgang.

Tarifpolitisch würde man vor Ort ohne Gesichtsverlust einen Tarifvertrag machen, der nur festschreibt, was sowieso da ist und dann sagt, wenn es besser geht gibt es mehr, wenn nicht, dann kann man davon abweichen. Aber Tarifpolitik mit 8,50 Euro oder 10 Euro reicht doch vorne und hinten nicht, um über die Runde zu kommen und eine Perspektive zu haben.

Wer hier immer nur abgehängt wird, der wird sich von dieser Demokratie verabschieden. Wer hier eine Ausbildung machen kann, einen sicheren Arbeitsplatz hat und bei Problemen nicht ins Bodenlose fällt, der wird eine Stütze des Systems. Aber wer immer nur befristet unter schlechten Bedingungen arbeiten soll und früh schon weiß, daß er machen kann, was er will, er kommt nicht weiter, der macht eher etwas anderes. Deshalb müssen die sozialen Rahmenbedingungen verändert werden und das kann nur durch die große Politik geschehen.

Dazu gehört übrigens auch das Renteneintrittsalter. Das ist der Schlüssel für die Zukunftsfähigkeit. Wer weiß, er/sie kann mit 60 bis 63 in Rente, der/die wird auch Kinder kriegen und für Enkel sorgen, weil es noch eine Zeit für die Familie mit mehreren Generationen gibt. Wer aber bis 67 oder noch länger arbeiten soll in unsicheren Arbeitsverhältnissen, der wird dies eher nicht tun oder zu denen wechseln, die so sind wie es eine Fachfrau für bestimmte Migranten beschrieben hat: „Und schließlich gibt es die Desinteressierten, mehr oder weniger ungebildete Männer und Frauen, die dankbar von Sozialhilfe leben und ihren ausländischen Verwandten vorschlagen, ebenfalls nach Europa zu kommen und dieses Angebot wahrzunehmen. Sie sehen keinen Grund zu arbeiten, weil die ihnen offenstehenden Jobs, simple, monotone Tätigkeiten, kaum mehr einbringen als die Sozialleistungen, die sie beanspruchen können.“

An dieser Stelle treffen sich sozial dann auch die genannten Desinteressierten, Asylanten und hier geborene Akademiker sowie arbeitslose Jugendliche. Denn wer jung ist, wird mit Abschluß heute oft genug nur in einen befristeten Arbeitsvertrag gesteckt, also in Zeitarbeit. Akademiker und Ungelernte haben dabei oft fast identische Schicksale, weil sie sich von Befristung zu Befristung hangeln müssen. Diese Menschen können eigentlich nur dann zu etwas kommen, wenn Sie im Hartz 4 Bezug viele Kinder machen. Dann haben sie mehr als sie je mit Arbeit verdienen könnten. Und wenn sie dann erst über 40 sind, stellt sie sowieso keiner mehr ein…

Ein bißchen Wissenschaft und Lebenswahrheit

Ich stehe übrigens mit meiner Meinung nicht allein da. Unbeeinflußte Forscher kommen zu ganz ähnlichen Ergebnissen. Wenn wir bei den heute noch Fleissigen bleiben (die nur noch ca. 30 Jahre in sozialversicherter Arbeit schaffen), dann bezeichnen sie diese Menschen als neues „Dienstleistungsproletariat“ neben anderen betroffenen Gruppen.

Alles Hartz 4?

Ja so ist das und dann kracht alles ein.

Nun sind in Gewerkschaften nicht gerade die Revolutionäre zu finden sondern eher die mit dem sozialen Engagement (wenn…).

Und Arbeitnehmer wollen alles nur keine Revolution wie die aktuelle Studie „Legitimationsprobleme in der Erwerbsarbeit“ im Auftrag der Gewerkschaften noch mal bestätigt hat.

Aber das Potential ist noch da – nun sogar wissenschaftlich belegt obwohl das gar nicht die ursprüngliche Frage war.

Denn herausgekommen ist: Kernpunkt ist die Würde bei der Arbeit und darüber hinaus, da kennen selbst Arbeitnehmer kein Pardon.

Wie heißt es so schön in der Studie?

„Zur Wahrung von Würde und Respekt gehört ebenso die Sicherung der Grundbedingungen menschlicher Existenz auch in materieller Hinsicht, so die vielfach geteilte Perspektive…. Anzumerken ist, dass der Topos Würde und Respekt sich nicht nur auf die Person sondern auch auf Tätigkeiten und Arbeiten selbst beziehen lässt, denen eine spezifische Würde zugeschrieben wird – die sich dann auf diejenigen überträgt, die diese Tätigkeiten ausüben.“

Da steckt viel drin.

Und Hartz4 nimmt den Menschen die Würde und verstößt gegen die Menschenwürde.

Welche Rolle wollen die Gewerkschaften spielen?

Wenn die deutschen Gewerkschaften wieder eine soziale Rolle spielen wollen, dann müssen sie das Übel an der Wurzel angepacken.

Dann muß Hartz4 weg und wieder eine echte Absicherung her.

So sieht es aus.

Die deutschen Gewerkschaften haben jenseits des Staates keine einfachen Jahre vor sich und werden sich entscheiden müssen, ob sie das Übel bei der Wurzel packen oder mit gespaltener Zunge sprechen.

Den Preis zahlen die Menschen, nur nicht die ganz oben.

Text 1.2

Nachtrag:

Man könnte denken, Sie hätten meine Analyse gelesen und darüber nachgedacht.

3 Kommentare zu „Wie Hartz 4 die Gewerkschaften einholt

  1. Die AWO in Oberberg kann laut WDR am 15.2.2016 die 4,5 Prozent Erhöhung auch nicht zahlen. Die Beschäftigten verzichten auf die Lohnerhöhung weil sie sonst bei einem neuen Träger arbeiten müßten mit neuen Arbeitsbedingungen. Sie fallen noch unter die alten Tarife des öffentlichen Dienstes.

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