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Was macht man, wenn man nichts Besseres an seine Stelle setzen kann?

„Wenn nämlich dann, bei gereiftem Geiste und eingetretenem Nachdenken, das Unhaltbare solcher Lehren sich ihm aufdringt; so hat er nichts Besseres an ihre Stelle zu setzen, ja, ist nicht mehr fähig es zu verstehen, und geht dadurch des Trostes verlustig, den auch ihm die Natur, zum Ersatz für die Gewißheit des Todes, bestimmt hatte. In Folge solcher Entwickelung sehen wir eben jetzt (1844) in England, unter verdorbenen Fabrikarbeitern, die Socialisten, und in Deutschland, unter verdorbenen Studenten, die Junghegelianer zur absolut physischen Ansicht herabsinken, welche zu dem Resultate führt: edite, bibite, post mortem nulla voluptas, und insofern als Bestialismus bezeichnet werden kann.“

Diese Sätze von Arthur Schopenhauer finde ich historisch und politisch sehr interessant. Zunächst merkt man darin seine Zeitgebundenheit und man sieht, daß er trotz seiner philosophischen Klarheit auch zeitgebunden war. Man kann nicht über der Welt stehen, wenn man Teil der Welt ist.

Die Sätze sind aus dem Text Ueber den Tod und sein Verhältniß zur Unzerstörbarkeit unsers Wesens an sich.

Was macht man, wenn man nichts Besseres an seine Stelle setzen kann?

Hier liegt der Kern.

Wer das Kapitel liest, wird feststellen, daß er über die Erziehung der Menschen schreibt, die von der Religion so viel eingetrichtert bekommen, daß sie später eben nichts Besseres an seine Stelle setzen können, wenn sie merken, daß die Religion den Herrschenden zum Machterhalt dient und nicht dem Seelenheil.

Insofern hat Schopenhauer es wunderbar auf den Punkt gebracht. Aber wie geht es weiter?

Wenn die „Socialisten“ sich gegen ihr Schicksal empören – was sollen sie denn sonst tun, etwa still und ausgebeutet sterben?

Das Aufbegehren gehört zum Erleben von Ungerechtigkeit und seiner Verarbeitung. Demokratie als Antwort reicht nur dann, wenn es eine echte soziale Absicherung gibt, weil man Demokratie nicht essen kann. Die USA zeigen auf schlimmste Weise, wie eine Demokratie ohne soziale Absicherung verkommt.

Schopenhauer selbst hat später noch einen anderen Mechanismus der Menschen offengelegt.

Er findet sich in den Aphorismen zur Lebensweisheit:

„Im allgemeinen freilich haben die Weisen aller Zeiten immer dasselbe gesagt, und die Toren, d. h. die unermeßliche Majorität aller Zeiten, haben immer dasselbe, nämlich das Gegenteil, getan: und so wird es denn auch ferner bleiben.“

Allein in diesen wenigen Gedanken liegen ganze Welten verborgen. Es ist die Geschichte der Menschheit.

Aber selbst wenn man es sieht und weiß …

Und damit komme ich zur dritten Lehre.

“Xerxes hat, nach Herodot, beim Anblick seines unübersehbaren Heeres geweint, indem er bedachte, daß von diesen Allen, nach hundert Jahren, Keiner am Leben seyn würde: wer möchte da nicht weinen, beim Anblick des dicken Meßkatalogs (heute VLB Verzeichnis lieferbarer Bücher, M.M.), wenn er bedenkt, daß von allen diesen Büchern, schon nach zehn Jahren, keines mehr am Leben seyn wird.”

Das Gesetz der Menschheit ist das Werden und Vergehen von Menschen und Wissen.

Dies bestimmt unser Handeln – unbewußt und bewußt.