Veröffentlicht in Alle, Essay, Morgen

8 Milliarden Menschen

„An diesem 15. November wird die Zahl der Menschen auf unserer Erde die acht-Milliarden-Grenze überschritten haben: ein Zuwachs um eine weitere Milliarde Menschen in etwas mehr als einem Jahrzehnt.“ Das notierte man bei dw.

Es ist völlig klar: wenn die Menschen nichts dagegen tun, wird die Menschheit dies nicht überleben.

Wir werden uns zu Tode ficken. „8 Milliarden Menschen“ weiterlesen

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Was macht man, wenn man nichts Besseres an seine Stelle setzen kann?

„Wenn nämlich dann, bei gereiftem Geiste und eingetretenem Nachdenken, das Unhaltbare solcher Lehren sich ihm aufdringt; so hat er nichts Besseres an ihre Stelle zu setzen, ja, ist nicht mehr fähig es zu verstehen, und geht dadurch des Trostes verlustig, den auch ihm die Natur, zum Ersatz für die Gewißheit des Todes, bestimmt hatte. In Folge solcher Entwickelung sehen wir eben jetzt (1844) in England, unter verdorbenen Fabrikarbeitern, die Socialisten, und in Deutschland, unter verdorbenen Studenten, die Junghegelianer zur absolut physischen Ansicht herabsinken, welche zu dem Resultate führt: edite, bibite, post mortem nulla voluptas, und insofern als Bestialismus bezeichnet werden kann.“ „Was macht man, wenn man nichts Besseres an seine Stelle setzen kann?“ weiterlesen

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Geschichte ist keine Wissenschaft

„Bloß die Geschichte darf eigentlich nicht in jene Reihe treten; da sie sich nicht des selben Vortheils wie die andern rühmen kann: denn ihr fehlt der Grundcharakter der Wissenschaft, die Subordination des Gewußten, statt deren sie bloße Koordination desselben aufzuweisen hat. Daher giebt es kein System der Geschichte, wie doch jeder andern Wissenschaft. Sie ist demnach zwar ein Wissen, jedoch keine Wissenschaft.“

Arthur Schopenhauer

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Die Hauptwahrheit der Philosophie

„Alle Die, welche solche Konstruktionen des Weltverlaufs, oder, wie sie es nennen, der Geschichte, aufstellen, haben die Hauptwahrheit aller Philosophie nicht begriffen, daß nämlich zu aller Zeit das Selbe ist, alles Werden und Entstehen nur scheinbar, die Ideen allein bleibend, die Zeit ideal. Dies will der Plato, Dies will der Kant. Man soll demnach zu verstehen suchen, was da ist, wirklich ist, heute und immerdar,–d. h. die Ideen (in Plato’s Sinn) erkennen. Die Thoren hingegen meynen, es solle erst etwas werden und kommen. Daher räumen sie der Geschichte eine Hauptstelle in ihrer Philosophie ein und konstruiren dieselbe nach einem vorausgesetzten Weltplane, welchem gemäß Alles zum Besten gelenkt wird, welches dann finaliter eintreten soll und eine große Herrlichkeit seyn wird. Demnach nehmen sie die Welt als vollkommen real und setzen den Zweck derselben in das armsälige Erdenglück, welches, selbst wenn noch so sehr von Menschen gepflegt und vom Schicksal begünstigt, doch ein hohles, täuschendes, hinfälliges und trauriges Ding ist, aus welchem weder Konstitutionen und Gesetzgebungen, noch Dampfmaschinen und Telegraphen jemals etwas wesentlich Besseres machen können. Besagte Geschichts-Philosophen und-Verherrlicher sind demnach einfältige Realisten, dazu Optimisten und Eudämonisten, mithin platte Gesellen und eingefleischte Philister, zudem auch eigentlich schlechte Christen; da der wahre Geist und Kern des Christenthums, eben so wie des Brahmanismus und Buddhaismus, die Erkenntniß der Nichtigkeit des Erdenglücks, die völlige Verachtung desselben und Hinwendung zu einem ganz anderartigen, ja, entgegengesetzten Daseyn ist: Dies, sage ich, ist der Geist und Zweck des Christenthums, der wahre »Humor der Sache«; nicht aber ist es, wie sie meynen, der Monotheismus; daher eben der atheistische Buddhaismus dem Christenthum viel näher verwandt ist, als das optimistische Judenthum und seine Varietät, der Islam.“

Arthur Schopenhauer

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Geschichte und Philosophie

„Während die Geschichte uns lehrt, daß zu jeder Zeit etwas Anderes gewesen, ist die Philosophie bemüht, uns zu der Einsicht zu verhelfen, daß zu allen Zeiten ganz das Selbe war, ist und seyn wird. In Wahrheit ist das Wesen des Menschenlebens, wie der Natur überall, in jeder Gegenwart ganz vorhanden, und bedarf daher, um erschöpfend erkannt zu werden, nur der Tiefe der Auffassung. Die Geschichte aber hofft die Tiefe durch die Länge und Breite zu ersetzen: ihr ist jede Gegenwart nur ein Bruchstück, welches ergänzt werden muß durch die Vergangenheit, deren Länge aber unendlich ist und an die sich wieder eine unendliche Zukunft schließt. Hierauf beruht das Widerspiel zwischen den philosophischen und den historischen Köpfen: jene wollen ergründen; diese wollen zu Ende zählen. Die Geschichte zeigt auf jeder Seite nur das Selbe, unter verschiedenen Formen: wer aber solches nicht in einer oder wenigen erkennt, wird auch durch das Durchlaufen aller Formen schwerlich zur Erkenntniß davon gelangen. Die Kapitel der Völkergeschichte sind im Grunde nur durch die Namen und Jahreszahlen verschieden: der eigentlich wesentliche Inhalt ist überall der selbe.“

 

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Dokumentarfotografie als Arbeitsweise für Historiker – Berufung statt Beruf

Ähnliche Erfahrungen bei Sebastiao Salgado und Michael Mahlke

Mein Beispiel

Früher habe ich Bücher geschrieben über den Nationalsozialismus, die Gewerkschaftsbewegung, das Leben der kleinen Leute im Arbeitsleben, Ausstellungen organisiert, Lernsoftware entwickelt und Seminare zu Themen wie „Global denken vor Ort handeln“ geleitet. Nach der Grenzöffnung 1989 qualifizierte ich Menschen und half, in Umbrüchen neue Lebensorientierungen zu finden und dann wechselte ich in die industrielle Organisationsentwicklung.

Ein besonderes Erlebnis hatte ich kurz nach dem Fall der Mauer. „Dokumentarfotografie als Arbeitsweise für Historiker – Berufung statt Beruf“ weiterlesen

Veröffentlicht in Bergisches, Zeitgeschichte

Bilddokumentationen als Beiträge zur Geschichtsschreibung am Beispiel Bergisches Land 1999 bis 2009

Bilder erzeugen Erinnerungen oder Einsichten, im besten Fall Erinnerungskultur – für die, die dabei waren und für die, die nicht dabei waren. Das ist die Aufgabe von Dokumentarfotografie als Teil der Geschichtsschreibung.

Meine Fotos hier zeigen, dass diese sozialen Entwicklungen überhaupt geschehen sind und dies bewußte Entscheidungen der Politik waren: Verarmung und Sozialabbau bei den Fleissigen und Arbeitsamen bis ins Alter. „Bilddokumentationen als Beiträge zur Geschichtsschreibung am Beispiel Bergisches Land 1999 bis 2009“ weiterlesen

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Fetzen der Welt – Geschichte und Dokumentarfotografie

Die meisten Menschen interessieren sich nicht für (auch ihre) Geschichte.

Das Sein allein bestimmt überwiegend das Bewußtsein.

Davor und Danach existieren kaum. Digitale Zeiten trainieren jetzt das permanente Jetzt und so wandelt sich die Welt.

Das Ende der Geschichte ist es nicht aber das Ende historischen Handelns in der sozialen Welt.

Wer wissen will wie es früher war, stellt fest, dass es nicht anders war.

Menschenrechte und Freiheit sind entstanden aus Erlebnissen der Unterdrückung und der Unfreiheit. Daran zu erinnern ist historisches Denken. Es nimmt aber ab. Erst wenn die Unterdrückung wieder gegenwärtig ist, kann es zur Gegenwehr kommen nach einer langen Phase des Leidens.

Gerade erleben wir wie historisches Denken bei sozialen Themen und neuen Gesetzen keine Rolle mehr spielt.

Die neue Ungerechtigkeit und das fatale Handeln beruhen auf der Geschichtslosigkeit der Massen und ihrer Vertreter.

Wer glaubt in einer unsicheren Welt Gutes zu tun, wenn er/sie die letzten sicheren Regionen globalisiert und damit zerstört, hat wirklich nichts verstanden. Sichere Regionen sind Leuchttürme für weitere Sicherheit dort, wo es noch nicht leuchtet – aber nicht umgekehrt.

Doch die Menschen und Regierungen sehen dies interessengeleitet anders.

Dies so zu sehen wie hier aufgeschrieben ist historisches Denken. Die Erkenntnis, dass diese Wahrheit nichts nutzt ist das Anerkennen der Grenzen von Wissen und Aufklärung.

Die deutsche Stelle auf dieser Welt wird nun ein Ort für den Rest der Welt.

Es ist der Sieg der grenzenlosen globalen Gegenwart in dieser Zeit über alles.

Aber so war es auch früher und wer was Besseres weiß, der soll sich melden.

Nur heute könnte man damit klüger umgehen, wenn man aus der Geschichte etwas gelernt hätte …

Und die Dokumentarfotografie als Zeitaufnahme von Ereignissen ist die visuelle Darstellung dessen, was die Menschen in ihrer jeweiligen Gegenwart bewegte und bestimmte.

Seit es die Fotografie gibt und sie für das Aufzeichnen von sozialen Ereignissen eingesetzt wird, können wir unsere Welt und das Geschehen auf ihr auch sehen, wenn wir nicht dabei waren – aber nur, wenn es und wie es aufgenommen wurde.

Es sind die Fetzen der Geschichte, die wir dabei sehen, viele Augenzeugenillusionen und viele Dinge, die wir sonst nie gesehen hätten.

Sie geben uns die Möglichkeit, uns im Verhältnis zur Gegenwart und zur Vergangenheit zu sehen.

Ich sehe dabei dieselben Menschen wie sie heute leben mit denselben Problemen des Lebens.

Aber alles hat seine Zeit und auch wir sind Kinder der Zeit, unserer Zeit.

Einordnen ist wichtig, wenn man sicherer sein will beim sozialen Wandel und der Richtung, die man einschlagen will.

Aber wer nicht mehr weiß, woher er kommt, weiß auch nicht mehr, wohin er will.

Denn alles ist zeitabhängig, von Umständen bestimmt und von Herrschaftsverhältnissen und Strukturen dominiert.

Wir erleben gerade entscheidende Zeiten unserer Lebenszeit mit, ob in der Türkei oder an unseren eigenen Grenzen.

Und wir sehen, was uns gezeigt wird, was wir sehen sollen (und wollen?) und sehen nicht, was wir nicht sehen sollen und wollen.

Die kritische Dokumentarfotografie jenseits gewisser Trends ist fast zum Stillstand gekommen, weil sie keine Akzeptanz mehr hat und sehr viele Probleme, die real wachsen und fotografiert werden, werden sogar von denen verdrängt, die davon betroffen sind.

Wir selbst sind da keine Ausnahmen.

Wir erleben z.B. gerade, wie unsere Autoindustrie uns komplett verseucht mit giftigen Dieselfahrzeugen und wie die Politik alles tut, um die schmutzigsten Kraftwerke weiter laufen zu lassen – obwohl wir davon sterben.

Wir akzeptieren, dass wir für Wohlstand sterben!

Wir sind also mittendrin statt nur Zuschauer.

Und dies ist nur ein Beispiel. Das Beispiel zeigt übrigens, daß die Menschen, die es betrifft auch nichts tun…

Dies alles kann man fotografieren, aber die Welt wird davon nicht besser.

Veränderungen brauchen mehr und müssen sozial gewollt sein – ein weites Feld der Macht.

So zeigen Fotos die Fetzen der Geschichte und das Handeln der Menschen in ihrer Geschichte, die sie nicht aus freien Stücken machen, aber selbst.

Mehr ist nicht da – im Sein und mehr habe ich auch nicht zu sagen.

 

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Geschichte ohne Epochen? – von Jacques Le Goff

„Die Historiker dürfen nämlich auf gar keinen Fall, wie das bislang zu oft geschehen ist, die Idee der Globalisierung mit Gleichmacherei verwechseln. Bei der Globalisierung gibt es zwei Etappen. Die erste besteht in der Kommunikation: Zwischen Regionen und Zivilisationen, die vorher nichts miteinander zu tun hatten, werden Kontakte geknüpft. Die zweite ist ein Phänomen der Absorption, der Verschmelzung. Bis heute hat die Menschheit lediglich die erste Etappe erlebt.“

So endet das Buch des erfahrenen Historikers Jacques Le Goff. Es endet mitten in der Gegenwart.

Und genau darum geht es. „Geschichte ohne Epochen? – von Jacques Le Goff“ weiterlesen

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Wann wird Zeit zur Geschichte?

In Köln ist gerade eine Ausstellung zum Thema Innere Sicherheit. Die Kuratoren haben dort extra Informationen zu Themen wie RAF eingefügt, weil dies heute viele junge Menschen nicht mehr wissen.

Das ist eines von vielen Beispielen. Ich bin nun über 50 und erlebe wie vieles von dem, was ich aktuell in meinem Bewußtsein trage und was mich bei meinem Handeln und Urteilen begleitet, bei vielen anderen Menschen überhaupt keine Rolle spielt. „Wann wird Zeit zur Geschichte?“ weiterlesen

Veröffentlicht in Alle, Zeitgeschichte

Plakate von 1945 erhalten bis 2016

Wie in einem Roman entdeckte ich hinter einer zugewachsenen Pflanzenwand in einem alten Fabrikgebäude eine alte Plakatwand mit Anschlägen seit 1945.

Und dies im Jahre 2016!

Kurz danach war ich in einem Zeitgeschichtlichen Forum und wies darauf hin, daß man dort noch diese Originale findet. Keiner war zuständig und es bestand kein Interesse.

Das Fraternisierungsverbot wurde am 1.10.1945 in den Westzonen aufgehoben. Das Plakat verkündet es noch. Es stammt aber auch aus der „Ostzone“.

So dokumentiere ich dies im Rahmen von visual history und stelle es hier online. Wahrscheinlich ist das Original bald abgerissen, aber nun ist es digital gerettet.

Foto: Michael Mahlke
Foto: Michael Mahlke
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Das visuelle Zeitalter. Punkt und Pixel von Gerhard Paul

Gerhard Paul hat es geschafft.  Sein Buch zur visuellen Geschichtsschreibung ist wunderbar und großartig.

Warum?

Das Buch ist wunderbar, weil es sich einer Sprache bedient, die jeder verstehen kann ohne studiert zu haben und die dennoch fachlich angemessen ist.

Und das Buch ist großartig, weil er einen großen Wurf machte und genau getroffen hat.

Er zeigt wie das Bild den Text als vorherrschendes Medium ablöste und alles veränderte.

Und er zeigt wie sich ein neuer Persönlichkeitstypus entwickelt hat, der visual man. Da hätte ich mir lieber den visuellen Menschen gewünscht, aber das ist ja gemeint.

Alles fing mit Bertha Röntgen an, der Ehefrau von Wilhelm Conrad Röntgen. Paul zeigt uns das Röntgenbild der rechten Hand von Bertha Röntgen und nimmt es als Symbol für die entscheidende Veränderung der Bilderwelt.

Röntgenbilder „verschoben die Grenzen zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren und sie stellten die herkömmlichen Codes wissenschaftlicher und künstlerischer Abbildungstechniken in Frage.“

Von der neuen Sachlichkeit über Fotomontagen bis zu den Surrealisten wie Dali wird vor uns die Geschichte der Bildermacht ausgebreitet, die uns bestimmt, gegen die wir uns wehren, die wir bekämpfen und die uns immer mehr beschäftigt – ob wir wollen oder nicht.

Wir sind mittendrin.

Bilder bestimmen unser Leben.

Das war 1800 noch nicht so. Aber heute ist es so.

Gerhard Paul zitiert Bazon Brock: „Wenn man heute auf einem größeren Flughafen wie etwa München landet, hat man zeitgleich siebenhundert visuelle Impulse zu verarbeiten. Da man die Augen nicht schließen kann, während man auf sein Gepäck wartet, ist man dem Terror von siebenhundert parallel geschalteten Bildbewegungen ausgesetzt. Jeder Wahrnehmungspsychologe kann bestätigen, dass das ungefähr der Belastung von Feuerüberfällen im Schützengraben entspricht.“

„Bildertsunami“ ist also keinesfalls übertrieben.

Aber wer merkt es noch?

Wenn man damit aufgewachsen ist, dann ist dies unsere „Normalität“, die „Norm“ des visuellen Menschen.

Gerhard Paul ist Historiker und zeigt uns daher die Entwicklungen und den jeweiligen visuellen Zeitgeist. Er nutzt dazu „Bildzitate“, das sind viele kleine Fotos von Fotos, Plakaten, Zeichnungen, Malereien etc.

Wie soll man auch sonst Bilder zitieren, wenn man sie nicht zeigen kann?

In diesem Fall eines wissenschaftlichen Werkes scheint es geregelt aber grundsätzlich ist diese Frage bestimmt noch offen, wenn man Journalistenverbände fragen würde. Doch dies gehört  hier nur als Thema der Zeit rein, es ist eine ungelöste Frage im visuellen Zeitalter.

Der visuelle Mensch nimmt seine Zeit, seine Mitmenschen und seine Welt dann anders wahr als es noch zu Gutenbergs Zeiten war. Er kommuniziert auch anders.

Paul gelingt es mit einem großen Schnitt die Zeitachse thematisch sinnvoll aufzuspalten und das Buch in abgeschlossene und sehr klar strukturierte Kapitel zu unterteilen von 1839 bis 1919, 1918 bis 1933, 1933 bis 1945, 1945 bis 1949, 1949 bis 1989 jeweils BRD und DDR, ab 1989/90.

Daraus wird ersichtlich, daß er sich an den politischen Ereignissen orientiert. Und es wird auch deutlich, daß Politik und Bilder untrennbar zusammengehören. Was zu sehen ist, ist da und kann wirken. Was nicht da ist, kann nicht in die Köpfe. Ob und wie es dann in die Köpfe kommt war in jedem Zeitabschnitt anders. Da lohnt sich jedes einzelne Kapitel.

Er hat überall die nötige intellektuelle Distanz und läuft meiner Meinung nach zur Höchstform auf je mehr er sich der Gegenwart nähert. Er zeigt Zusammenhänge auf, die bis in die aktuelle Politik reichen und berührt oft eher ungewollt die Gegenwart, wenn er zeitgeschichtliche Entwicklungen anspricht.

Im Kapitel über die DDR weist er auf eine Medienkompetenz hin, die westdeutschen Blicken fehlt:

„Nicht zuletzt Eduard von Schnitzler und sein Schwarzer Kanal hatten den Visual Man in der DDR gelehrt, dass die televisuellen Bilder nichts als bloßer Schein und böse Propaganda waren. Die beständig in konträren Bildwelten lebenden DDR-Bürger entwickelten im Laufe der Jahrzehnte daher einen kritischen Blick (Karin Hartewig), eine Art Bildkompetenz, die sie sowohl den westlichen als auch den östlichen Bildwelten gegenüber grundsätzlich skeptisch hatte werden lassen.“

Dieser Gedanke endet natürlich mitten im aktuellen politischen Geschehen und wird dort je nach Interesse ausgeschlachtet werden. Deshalb erspare ich mir jeden weiteren Kommentar.

Die Verankerung von Technik in der Alltagskultur ist mit entscheidend für die soziale Ausgestaltung einer Gesellschaft und sehr entscheidend für die Kommunikation der Menschen und der Mächtigen.

Paul schildert den Siegeszug des Fernsehens in Deutschland, der symbolisch bei der Olympiade 1972 zu sehen war.

Und er beschreibt wie Facebook seit der Gründung 2004 in zehn Jahren Kommunikationsplattform von mehr als einer Milliarde Menschen wurde mit monatlichen Fotouploads in Milliardenhöhe. Diese gigantischen Zahlen zeigen aber auch, daß visuelle Kommunikation heute ohne Technik undenkbar ist. Da würde der Schelm in mir fragen, was passiert eigentlich, wenn der Strom ausfällt für lange Zeit? Der Historiker würde dann vielleicht an die Höhlenmalereien als Einstieg und das geschriebene Wort als Aufstieg denken. Aber das ist hier kein Thema.

Gerhard Paul schildert neben den Bilderfluten auch den parallelen Aufstieg der Piktogramme und der Schilder. Je komplexer die Welt desto aussagekräftiger und unverseller mußten Symbole und Piktogramme werden.

Verkehrsschilder mussten genau so universell sein wie die Piktogramme auf den Handys. Das setzte sich fort bis in die Fotografie wie er sehr differenziert darstellt. Verkaufsfähige Fotos sind daher heute oft so abstrakt, daß sie als stockphotos universell einsetzbar sind aber jeder konkreten Aussage entbehren.

Zur Höchstform läuft er in meinen Augen im letzten Kapitel auf. Dort zeigt er die Mechanismen der Bilderwelt von heute aus ihren historischen Entstehungsbedingungen – einfach großartig wie er die Dinge offenlegt und uns die Gedanken schenkt, die unseren analytischen Blick schulen können.

„Der Golfkrieg von 1991 und der Kosovokrieg von 1999 markieren gewissermaßen den pictorial turn in der bisherigen Kriegsführung. Mit beiden Kriegen setzte sich das Bild als smart weapon (Nicholas Mirzoeff) und damit als vierte Waffengattung neben Heer, Luftwaffe und Marine durch. Es wurde integraler Bestanteil der Kriegsführung, so dass zu Recht von einem military visual complex gesprochen wurde.“

Früher wurden die Gegner getötet und dem Feind die Köpfe der Getöteten überbracht. Heute tötest du meine Freunde und dafür töte ich deine Freunde mit dem Ergebnis, daß die Bilder des Einen dann zu den Bildern des Anderen führen, die über die Netzwerke privater Konzerne dann weltweit gezeigt werden,  auch mit Werbung, als vierte Waffengattung.

Das endet außerhalb seines Buches aktuell bei Edward Snowden, der uns gezeigt hat, daß alles, was digital vorstellbar ist, auch gemacht wird, um eigene Interessen durchzusetzen.

Detailliert geht Paul auf Deutschland ein und zeigt wie aus einer Demokratie der Transparenz eine Demokratie der Medien wurde. Früher versuchte man zu zeigen wie es war, heute wird es so gezeigt wie es in die Struktur der Medien passt.

„Fakt jedenfalls ist, das sich Kanzler Schröder zwecks Mobilisierung von Aufmerksamkeit weitestgehend den Logiken der Medien anpasste, während seine Amtsnachfolgerin Angela Merkel sehr viel präziser die Bildmedien für ihre Form einer nüchternen Politikdarstellung nutzte.“

Das hat er geschrieben, bevor Merkel letztes Jahr mit Selfies die Welt nach Deutschland lockte. Aber es belegt auch, daß sie genau wußte, was sie tat oder zumindest ihre Berater.

So ist in dem Buch immer die Grenze zu spüren zwischen historischer Analyse und dem, was wir uns dann denken können, weil genau da der Historiker Paul seriöserweise aufhört.

Die genaueste Rezension ist natürlich die, die so dick ist wie das Buch oder noch dicker. Das wären in diesem Fall mindestens  750 Seiten. Meine Rezension dient daher dazu, ein besonderes Buch vorzustellen, das sich inhaltlich und äußerlich 5 Sterne verdient hat.

Das ist hier der Fall.

Ansonsten gäbe es über dieses Buch noch so viel zu schreiben, daß es besser ist, wenn Sie es einfach selber lesen. Die vielen Bildzitate darin ermöglichen stundenlanges Verweilen und die Texte laden überall zum Lesen ein.

Das Buch ist im Wallstein-Verlag erschienen.

Gerhard Paul
Das visuelle Zeitalter
Punkt und Pixel

Reihe: Visual History. Bilder und Bildpraxen in der Geschichte (Hg. von Jürgen Danyel, Gerhard Paul und Annette Vowinckel); Bd. 01

ISBN: 978-3-8353-1675-1

 

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Fotografie in Diktaturen

Auf der Webseite Zeithistorische Forschungen ist ein Heft veröffentlicht worden mit dem Titel Fotografie in Diktaturen. Es handelt zum Teil von Ereignissen und Vorgängen, die erst wenige Jahre her sind.

So groß wie das Thema ist, so detailliert und abgegrenzt sind die einzelnen Beiträge.

Im Detail zeigt sich dann wie gearbeitet wurde und wird.

„Wenngleich Fotografie in Diktaturen zweifellos für propagandistische Zwecke eingespannt wurde, so erscheint eine Konzentration auf diese Form der Funktionalisierung des Mediums in vielerlei Hinsicht doch problematisch. Zunächst verleitet sie schnell dazu, Propaganda als spezifische Kommunikationsform von und in Diktaturen zu betrachten. Dies ist insofern irreleitend, als der Begriff der Propaganda auch von westlichen Demokratien, allen voran den USA, als deskriptiver Begriff für die eigene öffentliche Kommunikation (auch public diplomacy genannt) verwendet wurde und zudem bis weit in die Nachkriegszeit hinein positiv besetzt war.“

Diese Worte von Annette Vowinckel und Michael Wild zeigen sehr gut, daß der Blick auf dieses Thema direkt in die Gegenwart führt.

„Mit dem Zweiten sieht man schlechter: Das öffentlich-rechtliche Fernsehen ist in der Flüchtlingskrise vor allem für Durchhalteparolen zuständig. Es beweist dabei, warum es der Politik so lieb und teuer ist.“

Diese Worte stammen von Michael Hanfeld (FAZ Okt. 2015), der hier das beschreibt, was wir als Zuschauer fast täglich ansehen können.

Propaganda pur wird uns geboten und  Journalisten, gerade auch Foto- und Videojournalisten sorgen dann dafür, daß wir den falschen Eindruck bekommen.

Dies hat der Chefredakteur der ARD dann auch freimütig eingeräumt: „Der ARD-Chefredakteur räumte ein, dass die Flüchtlingskrise von den Medien falsch dargestellt werde. Kameraleute würden hauptsächlich Familien mit Kindern filmen, während jedoch 80 Prozent der Migranten junge Männer seien.“

Die Zeithistorischen Forschungen zeigen uns daher im Prinzip das, was wir heute erleben. Nur die Frage der Diktatur ist anders.

Wenn wir Oligopole in der Berichterstattung haben, also fast Monopole, weil es gar keinen freien Zugang mehr zu Vorgängen, Ereignissen und Berichterstattungsterminen gibt, dann haben wir trotz des Rechts auf freie Meinungsäußerung eine Informationsdiktatur.

Das ist bei uns besonders bemerkenswert, weil die durch eine Abgabe bezahlten Medien genau dies eigentlich nicht hinnehmen dürften und darauf verweisen müßten.

Aber die Wahrheit bleibt ja als erstes auf der Strecke wie ich sehr detailliert am Beispiel Je Suis Charlie deutlich gemacht habe.

Insofern ist der Nutzen der Zeithistorischen Forschungen an dieser Stelle ungemein hoch, weil er im Prinzip den Spiegel des Vergangenen hochhält und wir so direkt in das aktuelle Geschehen blicken – wenn wir es sehen wollen.

So ist der Nutzen der Geschichte zugleich auch sein Nachteil: wir sehen eine Wirklichkeit, die nicht sehr schön ist und uns jede Illusion raubt.

Wer will das sehen und wer will wissen, daß er das sehen kann?

Da alle Beiträge dort online zu finden sind, ist dies ein echter Beitrag zur wissenschaftlichen Aufklärung zum Thema Fotografie in Diktaturen, in alten und in neuen Gewändern.