Veröffentlicht in Zeitgeschichte

Warum die Revolution vermutlich ausfällt …

Sodann führt Dr. Eichhorn aus: „In der kapitalistischen Gesellschaft gibt es eine Vielzahl von systemimmanenten Konstellationen, die stressend wirken müssen: chronische Existenzangst, soziale Not, Perspektivlosigkeit.“ Zweifellos richtig, obgleich soziale Not und Perspektivlosigkeit auch die entgegengesetzte Wirkung haben können und zu völliger Abstumpfung führen können, nur allzuoft geführt haben – weshalb ja auch wir Marxisten wissen, wie falsch es ist zu meinen: je größer das Elend, desto revolutionärer die Haltung.

Aus: Jürgen Kuczynski, Geschichte des Alltags des Deutschen Volkes, Band 4 1871-1918, S. 221

Wir waren also in Deutschland schon weiter bei der Wahrnehmung der Gesellschaft, in der wir gerade leben. Das alles war in Deutschland bis zum Ende der DDR nicht so ausgeprägt wie heute. Insbesondere die Agenda 2010 und die Einführung von Hartz4 haben dies massiv verschärft. Und durch die beginnende Völkerwanderung wird dies alles potenziert, da ja die Einwandernden nur in die Sozialsysteme einwandern aber nicht in unsere sozialen Werte und überwiegend dort drin bleiben werden abgekapselt von unseren europäischen Traditionen. Verbindendes Band wird der kapitalisierte Konsum sein und nicht der Umgang von Mensch zu Mensch auf dem Boden unseres Grundgesetzes.

Das Ergebnis werden massive Verteilungskonflikte sein, wenn der Sozialstaat überfordert ist, aber keine Revolution als verbessernde Bewegung für die armen Schichten. Eine Revolution als Eroberung der Macht wird erst dann kommen, wenn das Militär völlig neu und staatsfern aufgestellt worden ist, aber wahrscheinlich dann als Konterrevolution mit autoritärem Charakter.

Veröffentlicht in Bergisches, Europa, Zeitgeschichte

Niemand kann sagen, er habe es nicht gewußt

Einige große Probleme von heute wären vermeidbar gewesen. Ich habe selbst 25 Jahre aufgeklärt und stelle fest, das hat die Mächtigen und Ohnmächtigen fast nicht interessiert. Offenkundig ist der Glaube über der Natur zu stehen größer als die Einsicht nur ein Teil davon zu sein.

Die Pyramiden sind ein Symbol für den Allmachtsgedanken und den Versuch der Überwindung des Todes. Andere Menschen zu töten gibt das Gefühl, Macht über den Tod zu haben.

So irreal ist die Realität.

Heute erleben wir neue Phänomene der menschlichen Psyche in sozialen Zusammenhängen.

Still wird die Demokratie abgeschafft und es gibt eine interessante Annäherung zwischen Demokratie und Diktatur.

Die Demokratie ist die Volksherrschaft. Diese hat mindestens drei wesentliche Teile, die Volksarmee, die Volksbefragung und die Volksabsicherung.

Diese drei Elemente werden und wurden gerade in Deutschland abgeschafft. Der Wehrdienst wurde abgeschafft, die Volksbefragungen gibt es gar nicht und die soziale Sicherheit als Voraussetzung für echte Demokratie ist seit der Agenda 2010 zerstört worden.

Aber die neuen Menschen wollen vielfach auch lieber etwas Konsum statt Konflikte. Kann man verstehen, gibt aber den Mächtigen die Macht.

Mit TTIP wird nun die nächste Phase umgesetzt. Die staatliche Souveränität wird abgeschafft und Konzerne regieren. Was TTIP nicht regelt wird dann durch die Parlamente an Europa abgegeben. Da sprechen sie von der Übertragung staatlicher Souveränität an die EU. Man gibt also die Macht des Volkes an eine nicht legitimierte Bürokratie ab?

Mit einem weiteren Blick wird noch eins deutlich. China steuert die Massen mit Konsum und ohne Demokratie. Und Europa verläßt mit der EU gerade die Demokratie und versucht die Massen mit Konsum zu steuern. Interessant, nicht wahr?

Und die Menschheit? Die erlebt gerade das, was ich und andere seit Mitte der 70er Jahre voraussagen. Die Umweltzerstörung und die Murkserei mit Diktatoren und die fehlende soziale Sicherheit für die Menschen führen zu diesen asozialen Bewegungen, die mit Religion alles begründen und mit modernen Waffen alles zerstören.

Die Neoliberalen, die uns das alles eingebrockt haben in Deutschland, haben sich in die Schweiz abgesetzt!

Und wir erleben nun, wie absolut unfähige Politiker so tun als ob das Grundgesetz für die ganze Welt gelten würde. Das Grundgesetz ist Ausdruck einer Gesellschaft, die nach diesen Regeln und Grundsätzen leben will. Das oberste Ziel ist der Erhalt des eigenen Landes und der Schutz der eigenen Bevölkerung. Im Rahmen dieser Grenzen kann dann auch politisches Asyl gewährt werden. Und dafür gibt es klare Regeln. Die werden aber heute schon nicht mehr eingehalten. Und so wird dieser Staat anderen Staaten und Interessen überlassen und keiner, der Macht hat, wehrt sich.

Wie es weitergeht?

So wie immer in der Geschichte. Es wird Kriege, Konflikte und soziale Spannungen geben und vieles wird zusammenbrechen.

Das wäre vermeidbar gewesen, wenn man sich an die eigenen Gesetze gehalten hätte und die Demokratie nicht ihrer drei Grundpfeiler beraubt hätte.

Sage also niemand, er hätte es nicht gewußt.

 

1.1

Veröffentlicht in Alle, Zeitgeschichte

Hitlers Eliten nach 1945, hg. von Norbert Frei

Es ist eines der wichtigsten Bücher über die Bundesrepublik überhaupt. 2014 in der sechsten Auflage gedruckt macht es Hoffnung, daß irgendwann verstanden wird, wer wir sind.

Ich bin 1962 geboren und habe u.a. Geschichte studiert. Mein Schwerpunkt lag im Bereich Zeitgeschichte und 3. Reich. „Hitlers Eliten nach 1945, hg. von Norbert Frei“ weiterlesen

Veröffentlicht in Alle, Bergisches, Zeitgeschichte

Die neue Mauer – Paywalls als Ende der Lesbarkeit

Foto: Michael Mahlke
Foto: Michael Mahlke

25 Jahre nach dem Ende der Mauer kommen die digitalen Mauern.

Immer mehr mauern sich ein. Jede Woche teilt eine neue Zeitung mit, daß sie nun eine Paywall hochzieht und Artikel zukünftig bezahlt werden müssen. Die Begründung ist immer gleich: Wir haben investiert und wir müssen davon leben.

Blicken wir doch mal genauer darauf.

Früher verdienten Zeitungen mit Anzeigen. Die Leser waren wichtig, daher waren Zeitungen eher billig und Anzeigen eher teuer. Die meisten Inhalte der Zeitungen waren Nachrichten. Hinzu kamen Kommentare. Lokal wurde über Sport, Todesfälle und lokale Ereignisse berichtet. Die meisten Leser suchten die Todesanzeigen und die Angebote.

Nun sind den Zeitungen die Nachrichten abhanden gekommen. Die gibt es bei den mit der GEZ-Steuer bezahlten Medien für alle und die gibt es sonst auch fast überall kostenlos.

Daher versuchen sich immer mehr lokale Zeitungen mit immer mehr lokalen Ereignissen. Alles was früher nicht erwähnenswert war wird nun zu einer Nachricht – solange es politisch passt. Es gibt unendliche Fotostrecken von fast allem und jedem.

Wen interessiert das, wer wird dafür zahlen? Sie sprechen von hochwertigem Content aber das ist es nicht. Das wären die kritischen Blogs, die hinterfragen. Aber die gibt es kaum.

Stattdessen bleibt oft draussen, was nicht passt, so als ob sie noch ihr Meinungsmonopol haben – zumindest erlebe ich das vor Ort immer wieder.

Und die Anzeigen?

Die sollen die Leser ja auch weiter lesen. Aber erst sollen sie dafür bezahlen, daß sie dann bezahlte Anzeigen sehen.

Also nicht bezahlen, um sie nicht zu sehen sondern bezahlen, um dann auch noch Anzeigen zu sehen.

Nur bei Print ist es umgekehrt.

Da werden die Anzeigen völlig kostenlos in die Briefkästen gesteckt. Dafür gibt es zwar keinen Journalismus sondern nur die Artikel, die es sonst auch schon gab, aber die gibt es dafür umsonst.

Und nun kommen wir zum Internet.

Das Internet lebt(e) vom Verlinken. Wenn ich etwas las, wollte ich die Quelle angeben und darauf verweisen. Das geht dann natürlich nicht mehr.

Selbst wenn man alle Webseiten bezahlen würde, hätte der Link keinen Sinn, weil die Leser meines Artikels ja nicht dort drauf könnten.

Das ist neu und reduziert die Fähigkeit des Internets und vor allem die saubere Arbeit, die man eigentlich leisten will. Es geht einfach nicht mehr.

Quellenangaben und Verlinkungen enden an der Paywall. Damit werden die Zeitungen selbst ja auch nicht mehr verbreitet und öffentlich diskutiert.

Umgekehrt führt dies zu einem wachsenden Bedeutungsverlust von immer mehr Medien. Wer sie nicht liest, weil er bezahlen muß, der kann auch nicht mehr beeinflusst werden.

Aber auch das ist nur die halbe Wirklichkeit.

Denn wer weiter kostenlos online bleibt auch mit gutem Content, der wird weiter seine Leser finden.

Es wird sicherlich Menschen geben die bezahlen. Aber so gut wie niemand wird weiter so in der Breite suchen und Zeit investieren. Und wer bei google nicht mehr vorkommt, der wird auch in den Suchergebnissen nicht mehr vorkommen als Ort an dem man relevant verweisen kann.

So sind die Propagandisten aller Richtungen nun neuen Herausforderungen ausgesetzt.

Wo erreiche ich viele?

Da wo es kostenlos ist und viele sind. Bei Facebook, bei Google, bei Twitter. Ich würde sagen, kostenlos wird damit noch attraktiver.

Darüber wird bestimmt noch zu schreiben sein.

Aber später erst!

Veröffentlicht in Alle, Zeitgeschichte

Die Symbolik des Raums als Element der visuellen Geschichtsschreibung

Der gesenkte Kopf

Grenzenlos werden Daten erhoben und grenzenlos werden immer mehr Bereiche unserer Gesellschaft digitalisiert. Kinder wachsen mit Handys auf und ohne Schultafel und Füller. Einige Länder schaffen schon die Schreibschrift ab, in Deutschland sollen Bücher durch Tablet-Computer ersetzt werden. Die Produktion von digitaler Kommunikation und die Rezeption von digitaler Kommunikation nimmt immer mehr zu. „Die Symbolik des Raums als Element der visuellen Geschichtsschreibung“ weiterlesen

Veröffentlicht in Neuzeit, Zeitgeschichte

Neue Themen für fotografische Dokumentationen

In einem Film von Heinz Büttler aus dem Jahr 2003 über Henri Cartier-Bresson weist Arthur Miller darauf hin, daß Amerika ein Land äußerster Gegensätze ist.

Dabei zeigt er Fotos von Cartier-Bresson aus den Jahren zwischen ca. 1950 bis 1970, die aus der amerikanischen Provinz ebenso stammen wie aus Harlem in New York.

Das war in Deutschland so nicht der Fall.

Das kommt erst politisch gewollt seit Hartz 4 und der neuen Politik nach der Wiedervereinigung. „Neue Themen für fotografische Dokumentationen“ weiterlesen

Veröffentlicht in Alle, Zeitgeschichte

Digital Archivieren?

Die Deutsche Nationalbibliothek ist verpflichtet alle digitalen Publikationen zu archivieren.

Dazu gehören auch Webseiten und Blogs.

Sie macht es aber nicht.

Wie auch?

Daher ist das mit dem digitalen Archiv so eine Sache.

Im Gesetz wird von Medienwerken gesprochen.

Wo fangen diese an?

Sind Facebook-Beiträge und Gruppen in Facebook auch Medienbeiträge?

Die kann man schon technisch gar nicht archivieren und dann der Öffentlichkeit zugänglich machen ohne Umwege und ohne die Frage zu beantworten, wer da was verletzt oder auch nicht.

Selbst beim Archivieren geht es weiter.

Was gestern noch galt ist heute schon alt.

Als vor 15 Jahren archive.org Webseiten sammelte, war je nach Territorium die Frage nach dem Urheberrecht noch genau so abenteuerlich unbeantwortet wie heute.

Archive org mit seiner wayback maschine sammelte aber Webseiten.

Heute gibt es noch viel mehr Webseiten. Und archive.org sammelt.

Aber wer kontrolliert stellt fest, daß die mit dem Sammeln nicht hinterherkommen.

Und soziale Netzwerke sammeln sie so gut wie gar nicht.

Und andere Webseiten sammeln sie versteckt?

Archive.org ist vielleicht bald selbst schon Geschichte, weil sie die Webseiten gesammelt haben und immer mehr außerhalb von Webseiten in klassischer Form passiert und neue Webseitentechniken zudem das Erfassen auch gar nicht mehr so möglich machen.

Früher hast du einen Text auf einer Webseite geschrieben. Heute holt ein Programm aus einer Datenbank erst Text beim Anzeigen der Webseite, die „dynamisch“ erstellt wird. Und je nach Sprache und Cookies sind die Webseiten auch noch verschieden.

Es ist eben so eine Sache, wenn man den Fluß dokumentieren will.

Die genaueste Landkarte ist so groß wie das Land, das dargestellt werden soll.

Insofern ist die Frage des digitalen Archivierens ungelöst.

Bleibt die Chance der eigenen Fürsorge auf altmodischen Webseiten und der Bitte an archive.org und es bleibt die Chance des Druckens auf Papier.

Und dann braucht es noch die, die später danach suchen und es lesen.

Das ist dann auch noch unbeantwortet.

 

Veröffentlicht in Bergisches, Essay, Zeitgeschichte

Die verlorenen Bibliotheken und das Körnchen literarisches Gold

Sind die Bücher die Welt? Will ich eine Welt ohne Bücher?

Ich bin mit Büchern aufgewachsen. Ich habe immer gelesen. Das half mir alle äußeren Stürme zu überstehen.

Sehr dankbar bin ich zwei Buchhändlern. Beide hatten kleine Buchhandlungen in Remscheid und beide zeigten mir die Literatur, die es auf der Schule nicht gab. Dort gab es weder Abert Camus noch Gustav Regler – hier schon.

Und später?

Seltsamerweise fand ich die besten Bücher immer in der Ramschkiste. „Die verlorenen Bibliotheken und das Körnchen literarisches Gold“ weiterlesen

Veröffentlicht in Bergisches, Zeitgeschichte

Remscheid in der Zeit des Nationalsozialismus – Rückblick auf ein Buch und seine Wirkung

Als ich 1995 im RGA-Buchverlag das Buch “Remscheid in der Zeit des Nationalsozialismus” herausgab hatte ich als Herausgeber und Mitautor eine arbeitsreiche Zeit hinter mir. Es gelang mir, über zwei Jahre hinweg 13 Autorinnen und Autoren zu gewinnen und zu koordinieren, so dass wir als Ergebnis einen Sammelband herausbringen konnten mit dem Titel “Remscheid in der Zeit des Nationalsozialismus.”

Das war nicht einfach, weil es schwierig und undankbar war und das Honorar bei 500 DM pro Beitrag lag, die als freiberufliche Einnahme versteuert wurde und danach ca. 280 DM blieben. Da jeder viele Stunden im Archiv sitzen mußte und dies alles sehr zäh war, hat im Ergebnis damals jeder draufgezahlt.

Aber darum ging es uns damals nicht. Aufklärung, Idealismus und Dokumentation waren das Dreieck der Motivation, um aus der Geschichte zu lernen und gegen das Vergessen zu schreiben.

Autorinnen und Autoren waren David Thompson, Michael Mahlke, Urs Diederichs, Karl-Manfred Halbach, Ulrich Kalhöfer, Marco Gaese, Frieder Backhaus, Hans Jürgen Roth, Jochen Bilstein, Ilse Faeskorn, Armin Breidenbach, Olaf Wunder und Ralf Schönbach. Es war in meiner Erinnerung das erste Mal, daß alle politischen Richtungen und Glaubensbekenntnisse so in einem Buch dargestellt werden konnten und auch zwischen den Beteiligten möglich waren.

Damals lernte ich, wie wichtig es ist, Autoren zu betreuen, immer wieder nachzufragen, Gespräche zu führen, bei Motivationsstop (gerade in solchen Themen) das Herz neu zu wecken und dann dies alles zu einem guten Ende zu führen.

Das Vorwort im Buch erinnert an die Personen, die alle noch mit dabei waren.

Und dann war das Buch fertig und ich war stolz, daß wir gemeinsam einen wichtigen Beitrag zur Lokalgeschichte der Menschen geliefert haben.

Es ging natürlich auch darum, die Verfolgten und aufrechten Demokraten zu nennen und auch darüber zu schreiben, wie die Banaliät des Bösen aussieht und welcher Abgrund von Gemeinheit und Feigheit sich auftut, wenn erst einmal die gesetzlichen und moralischen Schleusen geöffnet werden.

Das ist eine Parallele zur aktuellen Ideologie des Neoliberalismus, der auf das Schlechte im Menschen setzt, aber das ist eine andere Geschichte.

Bleiben wir bei dem Buch.

Bemerkenswert war, daß es auf das Buch fast keine echte Resonanz gab. Die ehemaligen Nazis und Mitläufer schwiegen es tot und die anderen waren entweder schon tot oder wollten fast alle nichts mehr davon wissen.

Das nennt sich Rezeptionsgeschichte.

Ich erhielt einige böse Anrufe, weil das Thema eben nicht angesprochen werden sollte, aber öffentlich wollte niemand diskutieren.

So steckt dieses Buch bis heute als unangenehmer Brocken in der Remscheider Geschichte fest und läßt sich nicht verleugnen. Aber eine echte Aufarbeitung fand kaum statt. Ich kann mich nicht an drei Lehrer erinnern oder an das Schulverwaltungsamt, die mal gesagt hätten, wir laden die Autoren ein, wir machen für alle Schulen Sitzungen und greifen dieses Thema auf.

Nur dort wo einzelne Lehrer sich engagierten, gab es kleine Denkanstösse.

In der Folgezeit habe ich mehrfach erlebt, daß dieses Buch selbst ein Fall für Geschichtsverleugnung wurde.

Mehrfach wurde ich einfach entfernt in Datenbanken und bei den Buchangaben. Ich war plötzlich kein Herausgeber mehr, kam bei den Autoren nicht vor und mußte sogar einige Male massiv nachlegen, damit diese Hinterhältigkeiten ausgemerzt wurden.

Das interessiert zwar kaum noch, ist aber dennoch diese Sätze wert, weil es zeigt, daß die Wirklichkeit und die Geschichte bis heute (!) eher verleugnet als angenommen werden.

In ein paar Monaten ist es zwanzig Jahre her, seitdem dieses Buch erschienen ist. In meiner Erinnerung waren es damals 2.000 Exemplare – so wenig Exemplare wie kein Buch zuvor, das ich publiziert habe. Da es immer noch zu haben ist, sind also in 20 Jahren keine 2000 Exemplare verkauft worden. Auch das sagt viel über den Wert von Geschichte und den Umgang mit Wunden aus, zumal damals.

Wenn ich es aufschlage stelle ich fest, daß es ein Buch von bleibendem Wert ist. Wir haben damals richtig gehandelt. Es hat Substanz und ist mit dem Mut zur Lücke entstanden. Es wird Zeit, daß die Lücken geschlossen werden, bevor alles unauffindbar wird.

Veröffentlicht in Alle, Zeitgeschichte

Fotos als historische Quellen zwischen Information und Wissen

„Informationen werden mitgeteilt, Wissen erwirbt man durch Bildung.“ Diesen Satz habe ich schon oft zitiert aber er muß immer wieder ins Gedächtnis.

Die Informationen sind da – auch zum Umgang mit Fotos.

Wie schreibt die Bundeszentrale zur politischen Bildung?

„Fotografien sind jedenfalls für die Ereignisgeschichte die besten Quellen. Nehmen wir das Beispiel einer Demonstration: Wir können sehen, dass sie überhaupt stattgefunden hat, welche Ziele sie hatte (wenn Plakate oder Spruchbänder erkennbar sind), welche (vielleicht anderweitig schon bekannten) Personen dabei waren, wo sie sich aufhielten, wie zahlreich die Menge, wie ihre Stimmung war. Vorsichtig müssen wir freilich sein, wenn wir Deutungen und Verallgemeinerungen vornehmen wollen. Denn ein einzelnes Bild zeigt immer nur einen Einzelfall. Um beurteilen zu können, ob er repräsentativ ist, müssen wir entweder über mehrere ähnliche bildliche Darstellungen oder über zusätzliche Informationen verfügen. Wenn Fotos aus dem Jahre 1914 kriegsbegeisterte Freiwillige zeigen, folgt daraus nicht zwangsläufig, dass alle begeistert waren; die Forschung hat in jüngerer Zeit entsprechende Relativierungen vorgenommen. Wer nicht begeistert war, blieb zu Hause – davon gibt es keine Bilder. Bildquellen können also in diesem Fall kein vollständiges Bild der historischen Situation vermitteln.“

So wunderbar die Webseiten der Bundeszentrale sind – so wenig haben sie Relevanz.

Die tägliche Medienwahrnehmung der Menschen ist geprägt durch die Informationskanäle, die im Handy, manchmal in der Zeitung und im Fernsehen zu finden sind. Ja sicher auch im Internet.

Aber insgesamt sind es starke vorgegebene Einstiegswege, die meistens den Rest der Wahrnehmung prägen.

Und es sind eben Informationskanäle.

Man ist informiert.

Mehr nicht.

Erst wenn ich mich tiefer mit diesen Informationen beschäftige, kann daraus Wissen werden.

Wissen ist die Anwendung von Informationen und die Umsetzung.

Wenn Sie das nächste Mal ein Foto sehen und sich fragen,

  • was soll dieses Foto bei mir auslösen,
  • was löst es aus,
  • was springt ins Auge
  • von wem stammt das Foto
  • welche Interessen stecken dahinter

dann wenden Sie die Informationen an, die Sie aus den Informationen hier und bei der Bundeszentrale erhalten haben.

Dadurch wandeln sich die Informationen zu Wissen. Es ist die Verschmelzung von äußeren Reizen mit ihren inneren Wahrnehmungen, die durch Sehen, Fühlen und Denken zu einem Eindruck und einer Meinung führen.

Dadurch bilden Sie sich eine Meinung und nehmen nicht unkritisch hin, was angeboten wird.

Kritik kommt übrigens vom griechischen krinein und meint unterscheiden. Sie lernen also unterscheiden und nehmen die Dinge in ihrer Unterschiedlichkeit wahr.

 

Veröffentlicht in Buch, Zeitgeschichte

Fotografie und Geschichte von Jens Jäger

Geschichte altert nicht. Das gilt auch für dieses Buch. Zwei große Themen der Menschheit, die Geschichte als Erinnerungskultur und die Fotografie als visuell-mechanische Erfassung der Welt, werden hier besprochen.

Kann man eine Rezension über ein Buch schreiben, das Pionierarbeit leistet? Eigentlich eher nicht, es sei denn, man zeigt die Tiefe und Weite. Fabian Schwanzar hat dies getan und die Einordnung gefällt.

Der Verlag bietet einen Einblick in das Buch, der ebenfalls Lust auf mehr macht.

Wenn man nun den Weg in dieses Buch geht, dann verirrt man sich nicht.

Denn das Buch ist der Versuch, eine textliche Landkarte des Wissens über dieses Thema zu erstellen.

Die Landkarte ist gelungen, das Buch großartig und der Lesewert sehr hoch.

Natürlich geht es hier um Bücher, die aus wissenschaftlicher Sicht das Thema behandeln.

Besonders gefällt dabei der Versuch von Jens Jäger, die Verschiedenartigkeit der Wissenschaften mit einzubeziehen.

Was wissenschaftlich ist und war unterliegt dann doch erheblichen Schwankungen und ist immer sozial und kulturell geformt.

Jäger wird für mich besonders interessant, wenn er zur Realienkunde zurückkehrt und damit die gesammelten Luftblasen der fotografischen PR-Kultur auf den Boden der Wirklichkeit zurückführt.

Im Gegensatz zu den vielen Vielschreibern beginnt meine Sympathie für ihn aber schon bei dem Kapitel über die „Klassiker“ dieses Genre:

  • Walter Benjamin
  • Gisele Freund
  • Siegfried Kracauer
  • Susan Sontag
  • Robert Taft
  • Roland Barthes
  • Pierre Bordieu

Das war´s.

Damit sind alle wesentlichen gedanklichen Instrumente zur Verfügung gestellt, um das zu tun, was historische Bildforschung tun kann:

„Historische Bildforschung zielt nicht auf eine wesensmäßige Erfassung bestimmter Bildtypen, sonder auf die historischen Bedingtheiten und Bedeutungen der Bilder und ihrer Wahrnehmung.“

Die Klassiker sind dabei vielfach Texte mit eigenen Erfahrungen, Essays und Feuilleton. Interessanterweise sind sie noch nicht wegen fehlender Fußnoten verpönt, was auch einen Hinweis auf unsere heutige Situation und ihre historische Bedingtheit beinhaltet.

Die Frage ist nur, ob das, was heute als Klassiker ohne Fußnoten gilt in ähnlicher Form heute überhaupt zur Kenntnis genommen würde. So ist dieses Buch auch eine Auseinandersetzung mit der heutigen Wirklichkeit aus historischer Perspektive.

Jägers Buch ist als historische Einführung im Campus-Verlag erschienen. Es ist aber mehr als eine Einführung. Da hat der Verlag untertrieben. Das Buch ermöglicht einen echten Überblick, weil Jäger mit dem Mut zur Lücke geschrieben hat.

Aber er verleugnet es nicht sondern der Verlag und er haben durch die Möglichkeit der Verlinkung über die Webseite die Erweiterung angelegt und das Vertiefen zugänglich gemacht.

„Fotografie ist eine soziale Praxis und als solche kulturell bestimmt. Sie findet stets in gesellschaftlichen Kontexten statt und gewinnt ihre Bedeutung daher nicht aus sich selbst heraus sondern durch Zuschreibungen und Verwendungszusammenhänge.“

Das ist die Lupe mit der Jäger dann in seinem Buch die Themen, Ergebnisse und Problemfelder der Forschung darstellt, so wie sie sich ihm zeigen.

Wer sich für Fotografie und Geschichte interessiert und wissen will, wie man das Ganze wissenschaftlich sieht, der findet hier ein für das Thema erstaunlich leicht zu lesendes Buch, das sich eher durch klare Worte auszeichnet statt dem Fachsprachengewirr neuen Raum zu bieten. Ein Beispiel:

„Wie bei der Visual History bieten auch die Ansätze der Visual (Culture) Studies und viele Untersuchungen, die sich auf den visual oder pictorial turn berufen, kein geschlossenes methodisches System. Das gilt ebenso für die visuelle Anthropologie und Zugänge, die unter Bildwissenschaft oder auch der Historischen Bildforschung subsummiert werden. Der Bezug auf diese Strömungen gibt eher den Rahmen ab, in dem sich die Untersuchungen bewegen, und unterstreicht die Bedeutsamkeit, die visuellem Material beigemessen wird (manchmal allerdings mehr Bekenntnis als praktisch durchgeführt).“

So entknotet er die fachsprachlichen Phrasen und landet bei verständlichem Deutsch.

Das Buch ist im Campus-Verlag erschienen und noch zu haben.

 

 

Veröffentlicht in Alle, Zeitgeschichte

Die Didaktik der Fotografie und die Geschichtsdidaktik – Geschichte(n) erzählen heute

Blickt man zurück, dann war Historix bzw. der Geschichtstrainer lange Zeit das erste elektronische Geschichtslernprogramm, das eine komplette Methodik und Didaktik dabei hatte.

 

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Damals dachte ich noch mehr an Wissen als Faktenwissen in Textform. Mittlerweile hat sich die Welt geändert und immer mehr Fotos bestimmen den Zugang zum “Wissen” überhaupt.

Der LWL (Landschaftsverband Westfalen-Lippe) hat einen sogenannten didaktischen Kommentar veröffentlicht zum Thema “Wie Fotos Geschichte erzählen”. Nach Mareen Kappis geht es darum, unter Nutzung des LWL-Bildarchivs eine historische Fotoanalyse durchzuführen: “Der Lehrer selbst oder aber ein Schüler bedient das Programm. Die ganze Klasse kann sich an einer gemeinsamen Analyse beteiligen. Die Arbeitsaufträge, die das Programm bereitstellt, können im Klassengespräch oder in Einzel-, Partner- sowie Gruppenarbeit erledigt werden. Eine zweite Nutzungsmöglichkeit ist die schülerzentrierte, die mehr der Idee des entdeckenden Lernens entspricht. Dazu sind mehrere Medienarbeitsplätze nötig, im Idealfall einer für jede Schülerin und für je- den Schüler. Die Schülerinnen und Schüler arbeiten eigenständig mit dem Programm, bearbeiten die Aufgaben und halten ihre Ergebnisse in dafür vorgesehenen Eingabefenstern fest. Anschließend können Arbeits- ergebnisse im Klassengespräch ausgewertet werden. Zusätzlich sind verschiedene Ausgabeoptionen wie das Speichern der eigenen Fortschritte in einer Text- oder PDF-Datei oder aber das Ausdrucken geplant. ”

Was mir an dem Manual gefällt ist die Systematik, die zeigt, wie man ein Foto analysieren kann, um historisches Urteilsvermögen und Bildkritik aufzubauen. Es ist Didaktik pur (auch Methodik) und gut nutzbar.

Das sollte man im Blick haben, wenn man sich dem nächsten Schritt nähert.

Der WDR hat kostenlos ein Tool ins Netz gesetzt, mit dem man dynamische Fotogeschichten erzählen kann:

“Interactive Storytelling” steht für eine moderne Art, multimediale Präsentationen mit Webtechniken zu erstellen. Eine ganze Reihe von aufwendig erstellten Reportagen im Online-Journalismus sind in letzter Zeit veröffentlicht worden. Eine Einführung in das Thema mit Beispielen findet sich in diesem Artikel der Webkrauts.

In Zusammenarbeit mit dem WDR haben wir ein Tool entwickelt, welches Journalisten die Möglichkeit gibt, sich bei der Erstellung solcher Reportagen auf den Inhalt zu konzentrieren. Pageflow funktioniert dabei wie ein „Mini-CMS“, das speziell dafür ausgelegt ist, bildschirmfüllende Bilder oder Videos mit Textelementen zu einem Erzählfluss zu verschmelzen.

MULTIMEDIAL

Pageflow verbindet Videos, Bilder, Audio und Text zu interaktiven Reportagen.

RESPONSE

Reportagen werden auf Desktop-Monitoren und mobilen Endgeräten optimal dargestellt.”

Interessant ist, daß beide Tools nichts miteinander zu tun haben aber für qualitatives Arbeiten gegenseitig eigentlich unerläßlich wären.

Wer also mit Pageflow arbeitet hat in der Regel keine Ahnung von Didaktik im Bereich der Fotografie oder von Didaktik überhaupt.

Meiner Meinung nach ist die Didaktik das Scharnier zwischen den Materialien und der Aufbereitung. Pageflow ohne Didaktik (und Methodik) ist daher kaum denkbar.

Das Manual und das Tool wurden meiner Vermutung nach durch öffentlich-rechtliche Institutionen entwickelt, also wahrscheinlich mit Steuergeldern bezahlt.

Deshalb stehen sie auch kostenlos zur Verfügung.

Der Vorteil ist dabei sicherlich, daß nun jeder, der will, sich fotografisch weiterbilden kann und zugleich mit dem neuen Wissen gute Geschichten entwickeln kann.Der Nachteil ist, daß dies alles im Meer der visuellen Welt kaum auffallen wird.

Wenn es aber gelingt, die Macht der Bilder mit einem kritischen Blick wahrzunehmen, wäre viel erreicht.

Ohne nun einen umfassenden Überblick über Storytelling zu liefern möchte ich doch noch auf ein anderes Tool (Werkzeug) und andere Varianten hinweisen.

In meinem Artikel Fotostory habe ich schon vor ein paar Jahren auf die damals aktuellen Varianten und die praktische Umsetzung hingewiesen. Besser ist nichts geworden – nur neuer.

Gerade Soundslides ist in meinen Augen das beste Werkzeug, um diszipliniertes Arbeiten zu lernen, Inhalte auszuwählen, Rhythmus und Tempo in eine Erzählung zu bringen und Inhalte zu komponieren. Es zwingt fast zu methodischem und didaktischem Vorgehen.

Aber es gefällt wohl nicht allen, weil es sich beschränkt und Fotos an erste Stelle setzt und nicht Videos.

Dabei wird es von Profis gerne und bis heute für schwierige Projekte genutzt.

Heute kommen über das Foto und seine Möglichkeiten Wissensgebiete der Kulturschaffenden zusammen, die zusammen gehören.

Sie zu nutzen wäre die Aufgabe, dafür bezahlt zu werden die politische Antwort einer demokratischen Gesellschaft. Abe dafür muß man was tun. Vielleicht helfen gute Fotogeschichten dabei.

Wie man es macht und womit man es macht wissen Sie ja nun!

Aber als Deutscher möchte ich noch etwas anmerken. Wieso spricht man von Manual und von Tool? Ich würde mir wünschen, wir würden wieder von Handbuch und Softwareprogramm oder Werkzeug sprechen. Das sind nämlich präzisere und deutsche Wörter, die für deutsche Menschen und deutsches Denken wichtig sind.

Zur Kenntnis der Geschichte gehört auch die Erkenntnis, daß man weder vor seiner Geschichte flüchten kann noch durch Aufgabe der eigenen Identität besseres findet. Ich habe zwar auch mal den Begriff Fotostory benutzt aber mit dem Hinweis, daß Fotos Geschichten erzählen. Insofern packe ich mich an die eigene Nase und hoffe, mit diesem Beitrag etwas zur Sensibilisiereng der Sprache beigetragen zu haben.

Auf Wiedersehen!

Veröffentlicht in Bergisches, Zeitgeschichte

Erinnern an die Wirklichkeit? – Sozialer Wandel in Deutschland am Beispiel des Bergischen Landes

Visual history arbeitet mit Fotos. Diese Fotos sollen ebenso erzählen wie man es mit Worten kann. Aber Fotos können mehr aussagen, weil sie auch ohne Worte wirken.

Das Bergische Land ist eines der ältesten Industriegebiete in Europa. In den letzten 20 Jahren sind dort viele industrielle und menschliche Wunden geschlagen worden.

Aber weil wir in parallelen Gruppen innerhalb einer Gesellschaft leben, sind diese Entwicklungen an einigen Gruppen eher spurlos vorbei gegangen oder werden sogar verdrängt.

Um diese Entwicklungen festzuhalten habe ich die Form des Fotoessays gewählt.

Sie finden ihn hier.

 

Veröffentlicht in Alle, Bergisches, Zeitgeschichte

Der Wenzelnberg als Beispiel für die Erinnerungsarbeit und die Begegnung mit der Gegenwart

Foto: Michael Mahlke
Foto: Michael Mahlke

Voltaire brachte es auf den Punkt als er sagte, eigentlich sei Geschichte die Lüge auf die man sich geeinigt habe.

Und auch wir wissen heute oft nicht, was wie war. Aber wenn wir wissen, wo man uns belogen oder etwas vorenthalten hat, dann ist dies immer eine Sternstunde der Geschichtsschreibung, weil sie dokumentiert, was geschehen ist und die Frage stellt, worauf man zukünftig aufpassen sollte.

Es ist der Versuch, der Geschichte Handlungskompetenz in der Geschichtsschreibung zuzuweisen. Das ist allerdings durch die Geschichtslosigkeit der meisten Politiker und ihrer Entscheidungen dann meistens doch nicht möglich.

Und dennoch gibt es dabei Dinge, die wichtig sind, weil es neben der Geschichtsschreibung etwas gibt, an das sich Menschen erinnern als Zeitgenossen oder in der Nachwelt. Es sind Erlebnisse und Erzählungen davon und darüber.

„Was man als kollektives Gedächtnis bezeichnet, ist kein Erinnern, sondern ein Sicheinigen – darauf, daß dieses wichtig sein, daß sich eine Geschichte so und nicht anders zugetragen habe, samt den Bildern, mit deren Hilfe die Geschichte in unseren Köpfen befestigt wird…. Aber Fotos, die das Leiden und das Martyrium eines Volkes vor Augen führen, erinnern nicht bloß an Tod, Scheitern und Erniedrigung. Sie beschwören auch das Wunder des Überlebens. Wer den Fortbestand der Erinnerung sichern will, der hat es unweigerlich mit der Aufgabe zu tun, die Erinnerung ständig zu erneuern, ständig neue Erinnerungen zu schaffen – vor allem mit Hilfe eindrlicher Fotos. Die Menschen wollen ihre Erinnerungen besichtigen und auffrischen können.“

Diese Gedanken von Susan Sontag zeigen, da kommt die Fotografie ins Spiel. Fotos sind Bilder, die in die Köpfe kommen. Und Menschen erinnern sich mehr an Bilder als an Worte.

Bilder sagen manchmal mehr als tausend Worte. Und Bilder erzeugen Gefühle, erinnern daran, erneuern sie und erweitern das Gespürte.

Wie macht man dies sichtbar? Susan Sontag verweist in diesem Zusammenhang auf Gedenkmuseen als Erinnerungsstätten. Aber dort wo sie schon sind dürfen sie ebenfalls nicht vergessen werden.

Ein solcher Ort ist der Wenzelnberg mit der Wenzelnbergschlucht bei Langenfeld. Es ist ein Beispiel von sehr vielen.

Wie geht man damit fotografisch um?

1. Vergangenheit

Foto: Michael Mahlke
Foto: Michael Mahlke

2. Erinnerung

Foto: Michael Mahlke
Foto: Michael Mahlke

3. Gedenken

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4. Gegenwart – Flagge zeigen

Foto: Michael Mahlke
Foto: Michael Mahlke

5. Zukunft

Foto: Michael Mahlke
Foto: Michael Mahlke

 

 

Veröffentlicht in Alle, Zeitgeschichte

Geschichte schreiben mit Fotografie heute

Geschichtsschreibung und Fotografie sind heute mehr als das berufliche Thema von Historikern.

Heute ist eine neue Art des Verstehens möglich, bei der Fotos von der eher dokumentierenden-journalistischen Funktion zur dokumentierenden-historischen Funktion übergehen und dies alles innerhalb eines Lebens gesehen und verarbeitet werden kann.

So kann man aus dem Festhalten des Gesehenen und Geschehenen fotografisch und textlich sehr viel für die historische Forschung und Darstellung machen.

Es gibt verschiedene Ansätze, die ich beispielhaft mit Büchern benennen will.

Friedhelm Brebeck, Ursula Meissner, Sarajewo 1992 – 1996

Dieses Buch ist sicherlich eine kraftvolle Dokumentation, weil sie alle existenziellen Situationen darstellt und direkt übertragbar ist. Hinzu kommt der Alltag in Ausnahmesituationen

Harald Kirschner, Halle 1986 – 1990

Hier wird der Übergang im öffentlichen Raum von einem politischen System ins nächste gezeigt. Es ist eine Art des Festhaltens sichtbarer Veränderungen durch das, was noch das ist als Überrest und das, was weg ist und ersetzt wurde

Cordula Schlegelmilch, Wurzen 1990 – 1997

Hier wurde durch Forschung und Biografiearbeit versucht, soziale Veränderungen systematisiert festzuhalten, um personelle Veränderungen in einer Übergangszeit später nachvollziehen zu können

Es sind verschiedene Ansätze, die aber alle etwas gemeinsam haben.

Sie sind ohne Fotos nicht denkbar und sie sind alle drei nicht gegenseitig ersetzbar.

Geschichtsschreibung braucht starke Dokumente und starke Fakten.

Wenn Befehle nicht auffindbar sind, dann sind die Fotos der Folgen dieser Befehle oft das Einzige, was dies alles dokumentieren kann.

Deshalb ist gute Geschichtsschreibung auch immer mit dem Risiko der Behauptung besetzt. Aber dann ist sie manchmal am besten.

Man sieht schon, daß ich Geschichtsschreibung anders verstehe.

Wenn die armen Leute kein Tagebuch schreiben, dann muß man entweder mit realen Fotos oder mit erfundenen Charakteren nachhelfen, um Bilder zu erzeugen, die erzählen, wie es war oder wie es ist.

So habe ich bisher Geschichte geschrieben und Gesehenes und Geschehenes fotografisch dokumentiert.

Das ist meine Art Geschichte zu schreiben – mit Worten und mit Bildern.

Heute geht man sogar noch weiter und inszeniert Fotos ebenso wie in Filmen das historische Geschehen.

Aber Fotos sind kontextbezogen, d.h. weil sie frei in der Interpretation sind, muß man wissen, was, wer, wann, wo, wie und warum.

Deshalb sind Fotos ohne Hinweise oft nicht sinnvoll.

Das Ende der Geschichte ist vielleicht bald in Sicht. Aber bis dahin können wir nun die Fotografie noch besser einsetzen und vielleicht Fotos machen, die so viel sagen wie das, was hier beschrieben wurde.

 

Veröffentlicht in Alle, Zeitgeschichte

Die neuen Gutmenschen im 21. Jhrdt.

Es ist wahr. Wir lieben unser Land. Wir lieben es so sehr, daß auch heute noch Ruhe die erste Bürgerpflicht ist.

Wir haben es geschafft, in Deutschland eine neue Lebensphilosophie zu etablieren: die Philosophie der Gutmenschen.

Gut ist, was ankommt.

Und so wird alles getan, damit man ankommt. Besonders sichtbar wird es beim „Gefällt mir“.

Schlecht ist dann umgekehrt, was nicht ankommt.

  • Die Ungerechtigkeiten bei Hartz 4 kommen nicht an.
  • Die Ungerechtigkeiten bei den Lebenschancen kommen nicht an.
  • Die Ungerechtigkeiten beim Aussprechen von sozialen Wirklichkeiten kommen nicht an.

Die Massenmedien werden gezielt genutzt, um die Richtung vorzugeben.

Heute versucht man dies durch Studien. Wer in die Medien will läßt Studien machen. Diese Studien sind natürlich so in Auftrag gegeben, dass das Ergebnis passt.

Und damit kreiert man ein soziales Thema und gibt eine Botschaft vor.

Es gibt Millionen von Menschen, die ein besseres Leben in Deutschland verdient hätten, weil sie viele Jahre und manchmal Jahrzehnte fleißig, ordentlich und anständig gearbeitet haben, soziale Dienste leisteten und vieles mehr.

Diese Menschen sind durch Hartz 4 und viele andere soziale Maßnahmen zu den ehrlichen Dummen gemacht worden.

Mit viel Geld wurde ein bürokratisches Monster etabliert, um diese Menschen in Schach zu halten.

Und die Massenmedien erfüllen ihren Auftrag, indem sie einerseits über die schlimmen Zustände außerhalb von Deutschland berichten und andererseits über die Zufriedenheit auch mit kleinen Dingen innerhalb von Deutschland.

Tränen für das Schicksal und Spendengalas sind dafür bestens geeignet.

Wer diese Gutmenschenkultur durchbricht, die durch alle Medien und Moderationen geistert als stille Übereinkunft, der wird geächtet.

Die Wahrheit oder Wirklichkeit spielt eben keine Rolle.

Wenn man dies erkennt, dann kann man es nicht ändern.

Es sind Messer-und-Gabel Fragen und keine anderen Fragen, die die Menschen bewegen.

Essen, Trinken, Sex und Urlaub sind die Themen unserer Zeit.

Soziale Sicherheit, saubere Natur, Schutz des Waldes, gute Erziehung und Umverteilung spielen dabei keine große Rolle.

Das ist genau betrachtet der Widerspruch, der die Menschheit ausmacht.

Deshalb geht die Menschheit den Weg, den sie gerade geht.

Wir können es erklären aber nicht ändern.

Das ist alles.

Veröffentlicht in Buch, Zeitgeschichte

Geschichte schreiben heute – Das persönliche Fotobuch und die Fotografie zwischen Zeitgeist und Lebenszeit

Ich habe lange dafür gebraucht.

Für die Fotos ebenso wie für den Artikel und noch länger bis es so weit war.

Die Geschichte der Kompaktkameras

Ab 1999 ermöglichten die preiswerten Digitalkameras von Jenoptik mir den Zugang zur Digitalfotografie. Dann glaubte ich mit der teuren Canon Powershot G1 eine langlebige Kamera zu kaufen. Das stellte sich technisch als Illusion heraus. So ging es bis 2005.

Danach gab es ja das Feuerwerk der Kompaktkameras auf dem Markt. Es war die Zeit der Experimente für Kunden und Unternehmen. Für mich waren es die Sanyo E6, die Fuji F10, die Lumix FX-37, die Kodak V570 und die Fuji Z3.

Erinnern Sie sich noch daran? Eher weniger?

Die Geschichte und die eigene Lebenszeit

Genau so ist es mit der eigenen Lebenszeit und den extremen Belastungen, die damals vorhanden waren.

Erst wollte ich die Bilder einfach liegenlassen für später. Aber wer wüßte dann noch was und wie, warum und wo?

Nach einiger Zeit entschloß ich mich, daraus ein persönliches Fotobuch zu machen. Und in diesem Fall hält das Buch mehr als die Seiten zwischen den Buchdeckeln.

Dokumentarfotografie 2000 bis 2010

Es sind Fotos aus der Zeit zwischen 2000 und 2010 – nicht viele aber exemplarische Momente, die fast immer öffentlich waren, aber von denen die Öffentlichkeit nur sehr begrenzt Kenntnis nahm.

Es ist sehr persönlich, weil darin mein Herzblut und die Energien vieler anderer Menschen zu finden sind. Es ist eine fotografische Dokumentation, die viele Erinnerungen und Gefühle freisetzt.

Nicht einfach vergessen

Ich hatte eine Kamera immer öfter neben meinem Füller und dem Notizbuch dabei und fragte die Menschen, ob sie Lust hätten auf Fotos zu sein, die an uns erinnern und von denen ich noch nicht weiß, wann und wo ich sie als „Geschichtsbuch“ veröffentliche. Sie sagten immer ja und freuten sich, daß sie nicht einfach vergessen werden.

Dann erzählte ich über andere Bücher von mir und ich endete jedes Mal mit der Feststellung, wenn wir uns nicht dokumentieren, dann wird uns niemand dokumentieren.

Das wußte ich seit meinem ersten historischen Buch über eine lokale soziale Bewegung und der Recherche dafür im Archiv. Die Menschen damals waren nur in den Polizeiberichten der Bismarckzeit auffindbar, ohne Fotos und nur so wie die Geheimpolizei dies damals sah.

Worte reichen nicht

Den Menschen ein Gesicht geben, die Namenlosen zumindest als Teil des Geschehens sichtbar festhalten, um an sie zu erinnern und ihnen so einen Platz im Gedächtnis der Gesellschaft einräumen.

Worte allein reichen nicht, wenn man lebendig im historischen Gedächtnis von Menschen und Archiven bleiben will. Das war mir klar nach vielen Jahren zwischen Wörtern, Bildern und Geschehen.

Auch Niederlagen muß man dokumentieren, weil sie gut sind, wenn man daraus lernen will. Sie bringen uns an die Grenze jenseits der Illusionen.

Das ist Geschichtsschreibung heute.

Und deshalb setzte ich dieses Wissen dann erstmalig digital und visuell bei Mannesmann um.

Ja so war das.

Das beste Foto ist das, das überhaupt existiert

Einige Fotos sind unscharf, weil die, die die Kamera bedienten, der Automatik vertrauten und damals bei schlechtem Licht kleine Kameras noch größere Probleme hatten.

Aber es sind die einzigen Fotos, die überhaupt zeigen, wie es war.

Außer in der Erinnerung der Beteiligten ist vieles nicht mehr auffindbar und sichtbar erst gar nicht. Viele Betriebe von damals als soziale Veranstaltungen sind verschwunden, Gebäude sind abgerissen, es wurde umgezogen und vieles mehr.

Die Globalisierung mit ihrer menschenfeindlichen Fratze hat in dieser Region bei so vielen Menschen so viele Wunden geschlagen, dass jede neue Erinnerung auch neue Schmerzen hervorruft.

Erinnerungen zwischen Würde und Schmerz

Aber der Entschluß, daraus dann doch ein Fotobuch zu machen, setzte viele Dinge in Bewegung. Nun sehe ich Menschen und Ereignisse noch einmal und sie haben nichts von ihrer Würde und ihrem Ringen verloren.

Doch sie sind vorbei – aber nicht die Wunden und Schmerzen, die sie hervorbrachten. Diese sind nicht sichtbar aber für den spürbar, der sie erlitten hat. Sie sind in der Seele und schmerzen immer wieder, wenn sie geweckt werden. Globalisierung bedeutet legalisierte Gemeinheit und den Sieg von Gier und Ungerechtigkeit. Davon profitieren nie die kleinen Leute vor Ort. Diese zahlen immer den Preis dafür.

Natürlich gibt es in Momenten des sozialen Kampfes und von Situationen, in denen man weiß, daß man verliert, auch die Momente des Zusammenhalts, die wirklich helfen, diese Zeiten durchzustehen.

Auch daran erinnert man sich. Aber es ist nur ein Trost, weil die Wirklichkeit so trostlos war.

Die Zeiten mit diesem brutalem Umbau sind in dieser Region momentan so massiv vorbei.

Fotos bleiben als sichtbare Dokumente der Erinnerung

Die Fotos sind die einzigen Überbleibsel dieses „Wandels“, der zehntausenden von Menschen und hunderten von Betrieben aus der Region (Remscheid, Solingen etc.) die Arbeit und die Zukunft nahm. Das steht alles exemplarisch für andere Regionen, in denen Ähnliches passierte.

Die Menschen wollten alle arbeiten und ihre Arbeitsplätze behalten. Viele davon wurden arbeitslos und dann stigmatisiert durch Hartz 4.

Und der soziale Ausgleich in dieser Gesellschaft, der zu Beginn dieser Entwicklung manches abfederte, ist einer asozialen Gesetzeslage gewichen, die fast keine gut bezahlten Arbeitsplätze mehr hervorbringt ausserhalb des Beamtentums, sondern die Zeitarbeit als Normaleinstiegsarbeitsverhältnis definiert und damit den Menschen die Perspektive und die Identifikationsmöglichkeit mit diesem System nimmt.

Globalisierung und Industrialisierung

Ich finde, daran sollte man erinnern, weil wir bessere Gesetze verdient haben und weil diese Menschen in dieser Region als lokale Akteure die Namenlosen der Geschichte sind, die man heute unter Globalisierung zusammenfasst so wie man über die Industrialisierung spricht und dabei die Menschen vergißt, die damals Betroffene und Opfer waren.

Blickt man auf die Geschichte der Fotografie, dann war eine Folge der Industrialisierung die Entwicklung der sozialdokumentarischen Fotografie, um das festzuhalten, was in Bildern aussagekräftiger ist und mit Texten dann richtig zugeordnet werden kann.

Und wir?

Wir sind vor kurzem erst dabei gewesen als Betroffene und schon Teil der Geschichte, auch wenn wir noch leben.

Und es geht weiter.

So ist das.

Veröffentlicht in Essay, Europa, Zeitgeschichte

Kann man aus der Geschichte lernen?

Man könnte und man kann. Eigentlich geht es dabei ja um die Politik, die die Interessen der Menschen vertreten soll.

Das Grundgesetz ist so ein Fall. Da hat man gelernt. Weil man wußte, dass zu viel Macht zu Missbrauch führt hat man die Macht aufgeteilt. So zähmte man den menschlichen Charakter und schützte die Menschen.

Damals war ich 16 und Dr. Siegfried Middelhaufe war 80. Er erzählte mir aus seiner Zeit beim Land NRW. Er erzählte von den Nazis, der Organisation ODESSA und den vielen Dingen, die er nie belegen konnte.

Heute sind wir einige Jahre weiter. Und nun lese ich, daß er mit allen Vermutungen Recht hatte.

Oder Bernt Engelmann. Er erzählte mir von den Verquickungen zwischen Verwaltung, Militär und Nationalsozialisten und sagte mir immer wieder, wenn du noch die Bücher von Kurt Pritzkoleit bekommen kannst, dann verwahre sie. Da steht alles drin.

Ich habe in meinem Studium mit einem Schwerpunkt Zeitgeschichte und Drittes Reich noch erlebt, wie vieles an Unterlagen einfach nicht da war.

Aber der Spiegel hatte es auch schon 1956 geahnt.

Als Enzensberger in der anderen Bibliothek OMGUS, die Ermittlungen gegen die Deutsche Bank, veröffentlichte, da merkte ich, was selbst im Studium fehlte.

Daraus kann man lernen, dass die Eliten von heute oft aus dieser Zeit stammen und die Demokratie dazu dient, deren Reichtum über Generationen zu schützen.

Aber damit nicht genug.

Spätestens seit den neuen Skandalen um Immobilien, Libor, faule Kredite etc. wissen wir, dass auch eine Demokratie nicht schützt vor der grenzenlosen Gier und Skrupellosigkeit.

Demokratie ist eben nicht Demokratie. Es kommt auch darauf an, was drin ist.

Nur Gesetze können so etwas eindämmen, wenn ihr Übertreten zu echten Strafen führt.

Aber die teilweise Verquickung von Politik, Banken, Beamtentum und Wirtschaft hat sich mittlerweile auf eine neue Stufe weiterentwickelt.

Europa ist das Projekt, das vom Europa der Vaterländer zu einem Europa jenseits der europäischen Demokratien werden soll, gesteuert von sog. Sachzwängen einer Ideologie, die sich selbst widerlegt hat wie Andreas Wiersching nachgewiesen hat.

Und nun?

Nun haben wir aus der Geschichte gelernt und dies aufgeschrieben. Brecht wußte schon, daß erst das Fressen und dann die Moral kommt. Später wurde fixiert, daß Erkenntnis und Interesse verschieden sind.

So kann man nicht nur aus der Geschichte lernen sondern auch den menschlichen Charakter kennenlernen, um zu verstehen, warum das Lernen aus der Geschichte kaum funktioniert.

 

 

Veröffentlicht in Alle, Buch, Zeitgeschichte

Wenn Fotografen Geschichte schreiben – Patina. Halle von 1986-1990 von Harald Kirschner

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Mit der Geschichte und der Geschichtsschreibung ist das so eine Sache.

Es gibt viele Texte in vielen Büchern und es gibt wenige, die diese Texte lesen.

Und heute ist die Zeit der Grafiken, der Fotos und der Bilder gekommen.

Zeitgeschichte wird nun der Teil der Geschichte genannt, der von denen handelt, die noch leben und dies miterlebt und mitgestaltet haben.

Wer 1989 schon denken konnte, der war dabei und wer damals schon wählen konnte, der hat dies alles aktiv mit gestaltet.

1986 begann der Fotograf Harald Kirschner die Stadt Halle an der Saale zu fotografieren.

Aber nicht als Kunstobjekt sondern so wie man sie sah, wenn man auf der Straße unterwegs war.

1986 wußte noch niemand, dass 1989 die DDR verschwunden sein würde.

Harald Kirschner fotografierte bis 1990 in Halle an der Saale und hat so in einzigartiger Weise den öffentlichen Raum und das Leben der Menschen dort festgehalten – vor und nach der „Wende“.

In gewisser Weise ist daher das Buch von Harald Kirschner ein gelungener Beitrag zur Alltagsgeschichte des „deutschen Volkes“ in der DDR ab 1986 und den Wandel danach.

Die Fotos sind deshalb einzigartig, weil sie Dinge enthalten, die sonst kaum zu finden sind:

1. sie sind ungestellt
2. sie sind sozialdokumentarisch
3. sie sind nicht thematisch festgelegt

Sozialdokumentarisch bedeutet dabei, dass

  • die Fotos nicht ein einziges Element zeigen, sondern eine komplette Situation
  • die Fotos eine historische Einordnung der Situation ermöglichen
  • die Fotos gesellschaftliche Zustände in exemplarischer Form beschreiben

Es ist eben ein Unterschied, ob ich nur eine Bratwurst fotografie oder eine Bude an einer Strasse, wo ich Menschen sehe, die eine Bratwurst kaufen.

Das liegt an erster Linie an dem/der jeweiligen Fotografen/Fotografin. Sozialdokumentarische Fotografie ist die Fotografie, mit der man am wenigsten verdienen kann.

Seltsamerweise ist sie aber die fotografisch interessanteste Variante, wenn es um die Darstellung von Momenten aus der Wirklichkeit geht.

Wo andere wegschauen, muß diese Art der Fotografie hinschauen.

Und sie ist klar in ihrer Sprache.

Ob er wollte oder nicht, dem Fotografen Harald Kirschner ist mit diesem Buch ein Geschichtsbuch gelungen.

Wenn ein Bild mehr als tausend Worte sagen kann, dann hat es Herr Kirschner geschafft, viele tausend Worte in eine Reihe von Fotografien zu packen und damit Geschichte, Lebensalltag und vieles mehr sichtbar zu machen.

Damit nicht genug.

Man kann mit dem Buch nach Halle reisen und mitlerleben,

  • wie Geschichte damals aussah,
  • wie sie heute aussieht und
  • was sich wirklich geändert hat

Zeitgeschichte eben!

Natürlich ist es ein kleines Buch mit einem kleinen Thema. Aber gerade  durch die Darstellung des Mikrokosmos öffnet sich der Horizont zum Makrokosmos, der weiter und tiefer blicken läßt und auch neue Fragen ermöglicht.

Harald Kirschner fotografierte Halle, um seine Zeit festzuhalten. Daß daraus eine Dokumentation für die Zeit danach wurde, zeigt, wie wichtig diese Art der Fotografie ist.

Jetzt haben wir ein Buch über den öffentlichen Raum in Halle, welches all das zeigt, was damals öffentlich war. Das war viel mehr als man normalerweise erfährt. Und der oft gezeigte Mangel hatte ja auch Gründe.

Wer etwas über die DDR erfahren will und wirkliche Eindrücke von der Welt vor Ort sehen möchte, der findet in diesem Fotobuch ein erstklassiges Geschichtsbuch vor.

Da hat sich der Ablauf des Geschehens in der Politik mit dem Ablauf des Fotografierens von Harald Kirschner ungewollt überschnitten.

So entstand ein Buch, das einen doppelten Charakter hat.

Es ist ein Buch über sozialdokumentarische Fotografie und es ist ein Buch zur visuellen Geschichtsschreibung.

Geschichte ist konkret und findet unter bestimmten Bedingungen statt.

Und der öffentliche Raum spiegelt

  • Werte,
  • soziale Haltungen
  • und Lebeweisen
  • zu einem bestimmten Zeitpunkt
  • an einem bestimmten Ort

wieder.

Und wenn dann diese Dinge auch noch an andere Orte übertragen werden können, weil sie vergleichbar sind, dann ist etwas Besonderes gelungen.

In diesem Fall kann man es sogar kaufen.

Das Buch ist im Mitteldeutschen Verlag erschienen:

Harald Kirschner
Patina
Halle 1986–1990

112 S., geb., mit Farbabb., 16,7 x 24,0 cm
mit einer Einleitung von T. O. Immisch
ISBN 978-3-95462-063-0