Veröffentlicht in Essay

Digitaler Textismus – Immer mehr Menschen produzieren immer mehr Texte

Ob es jemals eine Epoche gab in der so viele Texte zur Verfügung standen?

Im deutschsprachigen Raum beobachte ich den digitalen Akademismus: immer mehr Akademiker produzieren immer mehr Texte. Das ist auch logisch. Um die eigene Arbeit zu dokumentieren und zu legitimieren sind Texte wesentlich und wenn es beruflich nicht so läuft sollten Texte natürlich Aufmerksamkeit verschaffen. Und so gibt es immer mehr Gründe für noch mehr Texte. Und erweitert um Nicht-Akademiker bzw. Lebenspraktiker lande ich beim digitalen Textismus.

So ersäuft man in der Masse, wenn man sich nicht freischwimmt.

Wenn ich nur ein paar von denen nehme, die schon filtern und ordnen neben den unzähligen anderen Blogs und darauf schaue

dann wird deutlich, daß nur mit gezielter Suche und knallharter Auswahl ein echter Informationsgewinn noch möglich ist.

Die Auswahl bzw. das auswählende Lesen nehmen immer mehr Zeit in Anspruch.

Umgekehrt gilt, um einen relativ kurzen und lesbaren Artikel zu schreiben (wie hier), ist der Aufwand ziemlich hoch.

Hinzu kommen die vielen einzelnen und guten Blogbeiträge  an unendlich vielen Stellen im Netz und wer mehrere Sprachen kann, der hat noch viel mehr Auswahl, wobei google und bing immer die Vorauswahl treffen.

Von Videos ganz zu schweigen ….

So ist der Fachmann derjenige, der von immer weniger immer mehr weiß, bis er von nichts alles weiß:

„Habe nun, ach! Philosophie,
Juristerei und Medizin,
Und leider auch Theologie
Durchaus studiert, mit heißem Bemühn.
Da steh ich nun, ich armer Tor!
Und bin so klug als wie zuvor;
Heiße Magister, heiße Doktor gar …“

Es bleibt beim Einblick und der Einsicht: Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!

 

Veröffentlicht in Neuzeit, Zeitgeschichte

Visuelle Schätze aus der Archäologie sozialer Landschaft – Beispiele

Unsere Lebenszeit ist endlich und ein ununterbrochener Wandel. Was von unseren sozialen Entwicklungen bleibt, ist die Architektur und Symbolik im öffentlichen Raum, die erinnern soll und die Machtverhältnisse zeigen soll – Denkmäler eben.

Spätere Generationen begegnen dann diesen Zeugnissen und brauchen Wissen, um zu wissen, was es war und was es bedeutete. Die historische Einordnung ist bei der Begegnung dann der wichtigste Schritt. Daraus entsteht Erinnerungskultur. Deshalb ließen die Sieger auch oft die Säulen und Zeugnisse der Besiegten zerstören, damit man Denkmäler nicht sehen kann, um sich daran zu erinnern.

Ich entdeckte nun bei einem Ausflug in die Vergangenheit und Gegenwart der sozialen Landschaft drei visuelle Schätze, die ich fotografisch festhielt – „Denkmale“ von gestern bis zum Alltag der Gegenwart.

Diese drei Schätze aus der Erinnerungskultur möchte ich hier vorstellen.

Es handelt sich um Begegnungen von Menschen mit Überresten aus der Vergangenheit in der Gegenwart.

Foto 1

Meine Begegnung mit dem Erzengel Michael in saturnischer Form (Stein pur). Ich traf mich und wurde mit mir nicht fertig !? Die Völkerschlacht von Leipzig wäre heute wohl keine Erwähnung mehr wert, wenn nicht dieses monumentale Denkmal entstanden wäre. Und es wirkt auch fotografisch, wenn das Licht und der Moment stimmen.

Foto: M. Mahlke
Foto: M. Mahlke

Foto 2

Meine Begegnung mit der Geschichte – 2016 treffe ich auf 1946

Die ganze Geschichte dazu gibt es hier.

Foto: M. Mahlke

Foto 3

Mitten im Leben – der Erotik-Discount

Diese Geschichte ist Geschichte und Gegenwart. In einem alten Bürgerhaus mitten in der Stadt hat ein Erotik-Discount aufgemacht, der wirklich so aussieht. Es ist eine großartige Mischung visueller Zusammenfassung des roten Fadens, der die Menschheitsgeschichte erzählt.

Foto: M. Mahlke
Foto: M. Mahlke

So wurde meine Reise von visuellen Erlebnissen geprägt, die für mich Schlüssel sind, um die Welt damals und heute zu sehen und die durch ihre bloße Existenz heute weiter wirken – indem man sie sieht oder übersieht …

Von Napoleon über die Nachkriegszeit bis zur menschlichen Natur.

Ab hier könnte ich nun einen Roman darüber schreiben. Den überlasse ich ihrer Phantasie.

 

 

Veröffentlicht in Alle, Zeitgeschichte

Plakate von 1945 erhalten bis 2016

Wie in einem Roman entdeckte ich hinter einer zugewachsenen Pflanzenwand in einem alten Fabrikgebäude eine alte Plakatwand mit Anschlägen seit 1945.

Und dies im Jahre 2016!

Kurz danach war ich in einem Zeitgeschichtlichen Forum und wies darauf hin, daß man dort noch diese Originale findet. Keiner war zuständig und es bestand kein Interesse.

Das Fraternisierungsverbot wurde am 1.10.1945 in den Westzonen aufgehoben. Das Plakat verkündet es noch. Es stammt aber auch aus der „Ostzone“.

So dokumentiere ich dies im Rahmen von visual history und stelle es hier online. Wahrscheinlich ist das Original bald abgerissen, aber nun ist es digital gerettet.

Foto: Michael Mahlke
Foto: Michael Mahlke
Veröffentlicht in Essay, Zeitgeschichte

Soziale Kämpfe im Ruhrgebiet und im Bergischen Land zwischen 1987 und 2010

Es hat knapp dreißig Jahre gedauert bis die Fotos von Michael Kerstgens über den Stahlarbeiterstreik in Duisburg-Rheinhausen 1987 als Buch erschienen sind. Dieses Buch wurde u.a. durch die Hans-Böckler-Stiftung gefördert. Es ist ein gutes Buch geworden und es erinnert mich an meine eigenen Erlebnisse.

Michael Kerstgens zeigt Fotos von 1987 bis 1993 als im Walzwerk in Hagen die letzte Schicht war und symbolisch das Ende des gesamten sozialen Konstruktes.

Und im Bergischen Land ging es dann weiter.

Ich erinnere mich noch wie heute. Am 1. September 1992 fand eine Betriebsversammlung bei  einer großen Remscheider Firma statt. Dort wurde verkündet, daß das Werk aus Remscheid nach Ostdeutschland verlagert wird, weil dort quasi alles subventioniert wurde und die Löhne niedriger waren. Die Entscheidung war die unternehmerisch logische Folge politischer Vorgaben nach der Wiedervereinigung. Auf dieser Versammlung sagte ein Beschäftigter, er könne auch für die Hälfte arbeiten, wenn die Preise und Mieten sich halbieren würden. Aber das war natürlich politisch nicht gewollt. Und so kam es wie es kommen mußte.

Das war der Auftakt und danach wurde es von Jahr zu Jahr schlimmer in der Region Remscheid/Solingen/Hückeswagen etc.

Meine persönlichen Erlebnisse mit Arbeitsplatzabbau und Sozialabbau „gipfelten“ erstmalig im Kampf um das Mannesmann-Werk in Remscheid 1999 und 2000.

Dabei waren die Interessen innerhalb des Konzerns, der Betriebsräte und der IG Metall je nach Ebene und Funktion sehr unterschiedlich, oft diametral entgegengesetzt wie ich rückblickend im Laufe von Jahren in einem sozialen Puzzle zusammensetzen konnte. Aber Einzelne auch in der IG Metall setzten sich über alle Widerstände hinweg und gaben so den Kämpfenden vor Ort ihre Selbstachtung  zurück, auch wenn dies das Ende ihrer Karriere war.

Mannesmann und Krupp waren eben echt mitbestimmt und deshalb ist die Verantwortung von Arbeitnehmervertretern auch eine andere gewesen als bei der Pseudomitbestimmung, die durch die zweite Stimme des Vorsitzenden immer ausgehebelt werden kann. Das Ganze hat dadurch eine andere politische Qualität. Doch dies nur am Rande.

Ich komme darauf, weil ich mich nach der Beschäftigung mit dem Buch von Michael Kerstgens so genau daran erinnere. In der Bevölkerung in Remscheid war die gleiche Solidarität wie in Rheinhausen und die Abläufe waren denen so ähnlich, daß das Buch von Michael Kerstgens bei mir alte Wunden aufgerissen hat.

Das Ganze nahm mich auch persönlich sehr mit. Und mit Mannesmann endete die Deindustrialisierung ja nicht. Es war kein Umbau es war fast nur Abbau. Die Ursachen waren rein politisch und nicht alternativlos.

So ist meine digitale Dokumentation über den Kampf um Mannesmann in Remscheid 1999/2000 die logische Fortsetzung der gedruckten Dokumentation über den Kampf in Duisburg-Rheinhausen 1987/1988. 

Soziale Kämpfe zwischen Ruhr und Rhein entlang der Wupper.

Erwähnen möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich noch das Buch von Horst-Dieter Zinn, das online verfügbar ist. Er fotografierte damals in Hattingen bei der Schließung der Henrichshütte bis 1987 nicht die Kämpfe sondern die Menschen, die davon und darum lebten. Es ist ein wunderbares Buch geworden, ein Dokument über die soziale Landschaft in Hattingen und ein echtes Stück Erinnerungskultur mit dem desillusionierenden und dokumentierenden Titel „Eine Heimat geht bankrott“.

Damit zurück zum Bergischen Land.

Die Region vor dem Ruhrgebiet im Bergischen Land zerbröckelte industriell praktisch, weil die Politik nur öffentliche Gelder für den Strukturwandel im Ruhrgebiet bereitstellte. Die Landes- und Bundespolitiker zuckten immer nur mit den Schultern, wenn Geld für den Strukturwandel in Remscheid, Solingen und Umgebung gefordert wurde. Da kam nichts.

Dafür kamen Firmenpleiten und Verlagerungen in einem bis dahin ungeahnten Ausmaß jenseits eines Weltkrieges.

Auch das dokumentierte ich fotografisch mit Beispielen unter dem Titel 15 Blicke auf das Arbeitsleben bis zu dem Versuch, die Agenda 2010 mit der Rente ab 67 zu verhindern, die den Arbeitnehmern dann den Rest gab.

Alles endete in diesem Ausmaß ungefähr 2010 als die Agenda 2010 voll wirkte und der soziale Kahlschlag in Deutschland als asoziale Meisterleistung politisch gefeiert wurde.

Regional betrachtet sind damit wesentliche Kämpfe mit Symbolcharakter, die die Machtverhältnisse und die politisch gemachten sozialen Veränderungen und Verwerfungen zeigen, fotografisch dokumentiert und stehen als Teil des visuellen Gedächtnisses dieser Region zur Verfügung.

Nicht alles ist gedruckt aber alles ist präsent und öffentlich und zumindest meine Dokumentationen sind digital offen sichtbar.

Alle Fotos sind Kinder ihrer Zeit. Michael Kerstgens hat damals die analogen Reportagefotos in Schwarzweiß gemacht, ich habe die ersten digitalen Fotos in Farbe mit kleinen Kompaktkameras gemacht und versucht, diese schon 1999 in die Internetwelt zu tragen mit der Domain solidaritaet.de.

Heute übernehmen dies nur zum Teil soziale Netzwerke, weil diese ja auch Ausdruck von Machtverhältnissen sind.

Was sich zwischen Ruhr und Rhein getan hat ist nun mit Fotos aktualisiert verfügbar.

Die Fotos tun heute natürlich nur noch denen weh, die damals Erlebnisse hatten, die sich einprägten. Für alle anderen sind sie oft eher langweilig, weil sie Nüchternheit, Funktionalität und Industrielle Zivilisation zeigen, eben die sichtbaren Elemente einer eher unsichtbaren sozialen Landschaft, die nur bei sozialen Ereignissen mal sichtbar wird.

In Duisburg-Rheinhausen war Franz Steinkühler, in Remscheid Klaus Zwickel und Peer Steinbrück und Wolfgang Clement. Wolfgang Clement malte man sogar ein großes Porträt, weil er als Hoffnungsträger galt. Aber bei ihm hatten sich ja alle gründlich getäuscht.

Das visuelle Gedächtnis der Region ist nun besser sichtbar. Die sozialen Narben der Beteiligten und Betroffenen sind nur persönlich spürbar.

Aber ohne das Buch von Michael Kerstgens hätte ich den Blick nicht noch einmal so auf das Geschehen gelenkt und meine Bilder im Kopf herausgeholt. Sich dem zu stellen bedeutet damit zu leben.

Es gab kein Happyend.

Es ist vor Ort vorbei und es gibt neue Herausforderungen.

Das Soziale ist eben Schicksal und Chance des Menschen und wird es bleiben.

Und Macht wird nur durch Gegenmacht begrenzt, auch in Organisationen.

Das bleibt.

Veröffentlicht in Alle

Imperium Romanum Opus Extractum II von Alfred Seiland

So groß wie das Römische Reich so groß wirken auch die Fotos von Alfred Seiland. Das Buch Imperium Romanum Opus Extractum II bietet Begegnungen von Menschen mit Überresten aus der Geschichte. Primär visuell mit sehr informativen Texten gekoppelt gelingt es dem Fotografen, Geschichte und Gegenwart fotografisch zu verschmelzen. „Imperium Romanum Opus Extractum II von Alfred Seiland“ weiterlesen

Veröffentlicht in Essay

Arbeit führt wieder zu Elend – wenn man aus der Geschichte nichts lernt

„Aber wessen Dasein Arbeit heißt, dessen Ende ist immer Elend.“

Das schrieb Erich Grisar 1932 und wir dachten in der Bundesrepublik, daß wir diesen Zustand überwunden hätten. Doch dann kam die Sozialdemokratie und führte gemeinsam mit den Grünen unter dem Jubel von CDU und FDP die Armut wieder ein. „Arbeit führt wieder zu Elend – wenn man aus der Geschichte nichts lernt“ weiterlesen

Veröffentlicht in Buch, Neuzeit

Ruhrgebietsfotografien 1928–1933 von Erich Grisar

Es ist vielleicht eines der gehaltvollsten Fotobücher zur Dokumentarfotografie in Deutschland überhaupt. Der Dortmunder Schriftsteller und Fotograf Erich Grisar war fast vergessen und nun sieht man im Rückblick, daß es ohne ihn keine Blicke auf die soziale Vergangenheit des Ruhrgebietes in dieser Art geben würde. Was für ein Lob für einen leider Toten, der seine Lebenszeit bewußt und klar aufgezeichnet hat mit Kamera und Schreibmaschine! „Ruhrgebietsfotografien 1928–1933 von Erich Grisar“ weiterlesen

Veröffentlicht in Buch, Neuzeit

Mittelalter Fotografie von Charlie Dombrow, hrsg. Ulrich Dorn

„Wie geht ein Ritter in Rüstung zum Klo? Trug jedes Burgfräulein einen Keuschheitsgürtel? … Zum Glück haben sich die Zeiten gewandelt. Heutzutage kann man solche Fragen direkt jenen stellen, die die Antworten eigentlich wissen müssen. Beispielsweise einem echten Ritter, der sich auf einem Mittelalterfest gewiss auch mit der Entsorgung beschäftigen muß…  Das wiederbelebte Mittelalter ist ein wunderbares Thema für Fotografen. Entdecken Sie mit der Kamera eine abwechslungsreiche Szene, die Traditionen bewahrt und Historie lebt…“

Mit diesen Worten führt uns der Autor Charlie Dombrow in sein Buch über Mittelalter-Fotografie ein. „Mittelalter Fotografie von Charlie Dombrow, hrsg. Ulrich Dorn“ weiterlesen

Veröffentlicht in Heute, Neuzeit, Zeitgeschichte

Exodus. Sebastião Salgado

Die UN-Vollversammlung hat den 20. Juni zum zentralen internationalen Gedenktag für Flüchtlinge ausgerufen. Dieser Tag wird in vielen Ländern von Aktivitäten und Aktionen begleitet, um auf die besondere Situation und die Not von Millionen Menschen auf der Flucht aufmerksam zu machen.

Weltweit sind mehr als 65 Millionen Menschen auf der Flucht, davon 41 Millionen in ihrem Heimatland. „Noch nie zuvor wurde die Marke von 60 Millionen Geflüchteten und Vertriebenen überschritten.“

Und nun liegt es vor mir, das Buch, das dies alles schon vor einer Generation zeigte und niemand kann sagen, er hätte es nicht früher wissen können.

„Denn der Band handelt eigentlich nicht von Einwanderern, sondern von Menschen auf der Flucht. Er wolle »die Geschichte einer in Bewegung geratenen Menschheit» erzählen, meint Salgado in seinem Vorwort. Seit Anfang der Neunziger hat er daher »Armutsflüchtlinge» an den Grenzen von USA und EU fotografiert, ethnische Flüchtlinge in Ex-Jugoslawien oder Ruanda sowie Menschen auf der »Landflucht» in den Metropolen Asiens und Lateinamerikas. Er selbst sei vor der Militärdiktatur in Brasilien nach Europa geflohen, betont der heute in Paris lebende Salgado. Daher könne er sich mit Flüchtlingen identifizieren. Seine Bilder sollen die Sensibilität für das zunehmende Elend verstärken.“

Diese Worte aus der Wochenzeitung freitag erschienen im Jahr 2000 als das Buch zum ersten Mal erschien.

Heute schreiben wir das Jahr 2016.

Die Neuausgabe heißt auf Deutsch Exodus, das bedeutet u.a. Auswanderung und Flucht.

Es ist ein Glücksfall, daß dieses Buch noch einmal aufgelegt wurde. Denn es war nur noch unter Sammlern zu hohen Preisen erhältlich. Damals kritisierte der Freitag das Buch wegen der Art wie Salgado fotografiert: „Wenn der westliche Betrachter den aufwendigen Bildband zur Hand nimmt, dann wird ihm in erster Linie ein hochästhetisches Panorama geboten. Nur selten fangen Salgados Bilder tatsächlich Situationen ein; es gibt kaum Dynamik. Im Mittelpunkt der Bilder stehen häufig charaktervolle Gesichter. Der überwiegende Teil der Fotos ist ganz bewusst inszeniert – eine kunstvolle Mischung aus Antlitz, Ambiente, Natur, Licht. Noch deutlicher wird diese Arbeitsweise bei den Porträts von Kindern, aus denen er einen Zusatzband gemacht hat. Salgado verwandelt das Foto zurück in ein Gemälde.“

Eine solche Kritik ist für mich absolut nicht nachvollziehbar. Und wenn aus einem Foto ein Gemälde werden sollte, welches mit Licht gemalt wurde, dann ändert dies nichts an der Kraft des Fotos sondern geht stattdessen sogar darüber hinaus. Schauen Sie selbst!

Es ist vielmehr geradezu ein fotografischer Glücksfall, daß Salgado mehr zeigt als das nackte Elend.

Seine Art der Fotografie macht das Anschauen erträglich und ermöglicht zu bleiben und sich nicht abzuwenden. Die damaligen Schwarzweiss-Fotografien ermöglichen eine nüchterne Distanz und die Fotos selbst sind dokumentierend und nicht ästhetisierend. Das Foto auf S. 127 mit den schlafenden Flüchtlingen ist eher schockierend. Denn wer sich mit Fotos beschäftigt erinnert sich an die Leichenberge im KZ der vergasten toten Menschen und assoziiert diese eher mit den schlafenden Frauen und Kindern auf diesem Foto. Und damit bin ich noch nicht bei den realen Leichenbergen wie die, die man auf S. 193 sehen kann.

Je mehr ich die Fotos von Salgado betrachte und mit heutigen Fotos vergleiche, desto mehr stört mich die Farbe an vielen Flüchtlingsfotos von heute, die oft den Menschen auf den Fotos ihre dominierende Aussage nehmen und durch Farbenpracht ersetzen.

Das Buch Exodus ist ein prächtiges Buch, das Geschichte und Gegenwart vermengt und zeigt, daß die Gegenwart von heute die Geschichte von morgen ist. Und so ist es auch mit den Fotos. Die Fotos von heute erzählen die Geschichte von morgen.

Salgado war damals (sechs Jahre bis 1999) dort wo Flucht und Vertreibung waren. Er sammelte als Einzelperson weltweit Eindrücke. Das ist noch nicht lange her.  Wir waren 1999 und 2000 alle schon dabei. Aber wenn über Flucht und Vertreibung gesprochen wurde, wen interessierte das? Nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Welt feierte der Neoliberalismus und fraß alle sozialen Strukturen, die er kriegen konnte. Und eine der Folgen in unserer Zeit ist die Zunahme von Flucht und Vertreibung.

Immer mehr Menschen kommen aus „gescheiterten Staaten“ zu uns wie Sebastiao Salgado heute zu Recht erklärt.

Und weil er diesen Weitblick hat, schrieb er schon 1999: „Für mich sind diese weltweiten Völkerwanderungen eine ähnlich historische Zäsur wie der Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Lebensweise, Produktion, Kommunikation, Verstädterung und Reisegewohnheiten sind revolutionären Veränderungen unterworfen.“

Statt damals die Ästhetik von Salgados Fotos zu kritisieren, hätten die Journalisten vom Freitag sich medial mal besser mehr dafür eingesetzt, die Fluchtursachen zu bekämpfen. Das haben sie aber nicht getan wie man heute sieht.

Und deshalb ist das Buch von Salgado ein gutes Buch zur genau richtigen Zeit. Seine Fotografien ordnen die aktuellen Entwicklungen in einen historischen Kontext ein und zeigen, daß in den letzten 20 Jahren nichts besser wurde sondern stattdessen der Neoliberalismus den Verlust der Staatlichkeit ebenso verstärkt hat wie die Zunahme von Krieg, Flucht und Vertreibung.

Salgado erzählt in diesem Buch visuell Geschichte und er liefert zudem eine Ästhetik, die es möglich macht hinzuschauen.

Das Buch ist fotografisch und inhaltlich richtig gut und zeigt Zeitgeschichte mit direkten Verbindungen zur Gegenwart. Bücher können Zusammenhänge über den Tag hinaus aufzeigen. Dieses Buch kann durch seine Neuauflage sogar direkt die Tür zwischen gestern und morgen öffnen.

Insofern ist dieses Buch ein Geschichtsbuch, schreibt selbst Geschichte und fordert uns auf, mit Realismus und Weitblick demokratische und soziale Antworten zu finden auf die menschlichen Tragödien. Dazu gehört aber eben auch die Einsicht, daß die Voraussetzung die Stärkung der demokratischen Staatlichkeit ist und nicht deren Verlust durch offene Grenzen ohne Kontrolle.

Freiheit braucht einen Rahmen wie gute Fotos auch.

Das Buch ist im Taschen Verlag erschienen.

Sebastião Salgados groß angelegte Bilddokumentation Exodus ist mittlerweile ein Klassiker zum Thema Migration und Vertreibung. Mehr als sechs Jahre investierte er in den 1990ern, um auf der ganzen Welt Menschen zu porträtieren, die durch Krieg, Völkermord, Unterdrückung, Elend und Hunger gezwungen waren, ihre Heimat aufzugeben und sich auf eine Reise mit ungewissem Ausgang zu begeben. In Südamerika, auf dem Balkan, in den Slums der Megacitys Asiens, im Nahen Osten und im Herzen Afrikas traf er Menschen, die zu einem Leben verurteilt waren, das sich der kleine glückliche Teil der Menschheit, der in Wohlstand und Frieden lebt, kaum auszumalen vermag.

Weit mehr als ein Jahrzehnt ist vergangen, seit Exodus erstmals veröffentlicht wurde. Zu den größtenteils immer noch virulenten Krisenherden der 1990er sind neue hinzugetreten, zu den Millionen von heimatlosen und unbehausten Menschen von damals weitere Millionen hinzugekommen.
Im Balanceakt zwischen der Dramatik der Situation und den ästhetischen Ansprüchen an Aufbau und Komposition seiner Bilder führt Salgado uns einen Prozess globaler Verelendung vor Augen, aus dem wir uns als Akteure im globalen Zusammenspiel ökonomischer und politischer Prozesse nicht mit voyeuristischer Schaulust entziehen können. Nicht erst seit Flüchtlingsboote an den Mittelmeerküsten anlanden und Ertrunkene an den Stränden liegen.

Sebastião Salgado begann 1973 seine berufliche Karriere als Fotograf in Paris und arbeitete in der Folge für die Fotoagenturen Sygma, Gamma und Magnum Photos. Im Jahr 1994 gründete er gemeinsam mit seiner Frau Lélia die Agentur Amazonas images, die sein Werk exklusiv vertritt. Salgados fotografische Projekte wurden in zahlreichen Ausstellungen und Büchern gezeigt, darunter Other Americas (1986), Sahel, L’Homme en détresse (1986), Arbeiter (1993), Terra (1997), Migranten (2000), Kinder der Migration (2000), Africa (2007) und Genesis (2013).
Lélia Wanick Salgado studierte Architektur und Stadtplanung in Paris. Ihr Interesse für die Fotografie entdeckte sie 1970. In den 1980er-Jahren begann sie, Fotobücher zu konzipieren und zu gestalten und Ausstellungen zu organisieren, u.a. über Sebastião Salgado, darunter Genesis. Seit 1994 ist Lélia Wanick Salgado Geschäftsführerin von Amazonas images.

Leben auf der Flucht
Sebastião Salgados klassische Bildreportage zu Migration und Vertreibung
Sebastião Salgado. Exodus
Sebastião Salgado, Lélia Wanick Salgado
Hardcover mit Begleitheft, 24,8 x 33,0 cm, 432 Seiten

ISBN 978-3-8365-6129-7
(Deutsch)

Veröffentlicht in Essay, Zeitgeschichte

Gewalt – gestern, heute und morgen

Die Bundeszentrale für politische Bildung bietet in ihrer Schriftenreihe immer wieder gute Bücher an, die gegen ein kleines Entgelt, aktuell 4,50€ je Exemplar, bezogen werden können. Aktuell sind dort zwei Bücher zu finden, die thematisch gut zueinander passen.

Ernst Friedrich Krieg dem Kriege liegt in einer Neuausgabe vor. Das Buch mit vielen Fotos und Texten von Kurt Tucholsky ist ein Versuch, mit Fotografien aufzuklären und Gewalt einzudämmen.

Zugleich gibt es aktuell dort ein Buch von Klaus Baberowski zum Thema Räume der Gewalt. Ihm geht es darum, „was Menschen in der Gewalt tun und wie Gewalt Menschen formt.“

Schwerpunkt sind Schilderungen aus der Nazizeit, in denen detailliert dargestellt wird, wie dein Nachbar über Nacht zum Schwein wird. Das Buch ist für mich sehr interessant als Literaturstudie und Versuch einer Antwort auf Ernst Friedrich, zumal es feststellt was wir wissen aber unsere Politik oft völlig ignoriert: „Gewalt – gestern, heute und morgen“ weiterlesen

Veröffentlicht in Bergisches

Remscheid – Aktives Stadtmarketing mit einem Nazisymbol, das u.a. für Massenmord, Judenverfolgung und Auschwitz steht

Ich kenne keine andere Stadt, die aktiv ein Denkmal aus der Nazizeit und Nazisymbol als Symbol und Vorlage für das Stadtmarketing ab 2014 bis heute (2016) nimmt und so völlig den historischen Zusammenhang ignoriert.

Zudem finde ich es bemerkenswert, daß ein Nazisymbol, welches u.a. für Auschwitz steht, einfach so als Vorlage genommen werden darf. Wer sonst Nazisymbole nutzt, bekommt echte Probleme. Berührt hier die Geschichte die Gegenwart?
Man nimmt ein von Nazis gemachtes Symbol als neues lokalpatriotisches Schlüsselsymbol für Remscheid.

remscheid_nazis

2019 weist der Remscheider General Anzeiger darauf hin, daß die Einweihung des Löwen am 1. Mai 1939 zum Dank an den Führer die größte Kundgebung war, die je in Remscheid stattfand.

Veröffentlicht in Neuzeit, Zeitgeschichte

Das Höcker Album – Auschwitz durch die Linse der SS

Ein Fotoalbum zeigt die Banalität des Bösen.

Dieses Originaldokument zeigt auf vielen Fotografien wie der Alltag der Wachmannschaften und Soldaten außerhalb des Konzentrationslagers Auschwitz war. Er war offenbar schön.

Schon die alten Griechen wußten, wir blicken in die Gesichter von Menschen und darunter stecken die Seelen von wilden Tieren oder grausamen Bestien – wenn man sie nur läßt.

Und wenn der berufliche Aufstieg mit Vergasen, Denunzieren und dem Verwalten dieses Quälens und Tötens von Staats wegen verbunden ist, dann macht das vielen nichts wie man in diesem Buch sieht.

Dieses Buch gibt der Banalität des Bösen nicht nur ein Gesicht sondern zeigt die Gesichter vieler Deutscher, die sich ohne Probleme darin wiederfanden. Mengele und andere KZ-Ärzte sehen wir im Bild freundlich beieinander stehen, nachdem sie Menschen schrecklich folterten und ermordeten.

Wir leben heute mit den Folgen und haben mit dem Grundgesetz ein großes Geschenk erhalten. Wer sich über diese Verfassung hinwegsetzt, läßt solche Taten wieder zu.

Wenn man den Anfängen wehren will, bedeutet dies aber, eben nicht alles zuzulassen sondern zuerst dafür zu sorgen, daß die Demokratie als Schutzraum erhalten bleibt.

Wer dann den Sozialstaat abschafft und die Grenzen niederreißt, zerstört die Demokratie und läßt zu, daß diese Verhältnisse  zurückkehren können.

2007 erhielt das United States Holocaust Memorial Museum von einem ehemaligen Lieutenant Colonel der U.S. Army ein Fotoalbum, das dieser 1946 in Frankfurt ›gefunden‹ hatte. Das Album entpuppte sich schnell als Sensation. Denn es gehörte Karl Höcker, Adjutant des letzten Lagerkommandanten von Auschwitz, Richard Baer.
Die 116 Bilder zeigen SS-Personal und Besucher: bei der Jagd, bei Schießübungen, bei Freizeitaktivitäten – parallel zum Massenmord in Auschwitz zwischen Juni 1944 und Januar 1945. Abgebildet sind u. a. Richard Baer, Rudolf Höß, Josef Kramer, Franz Hößler, Otto Moll und Josef Mengele. Die Bilder geben ganz neue Hinweise auf Verbindungen und Seilschaften der SS-Größen. Und sie zeigen Verantwortliche und Ausführende des Massenmords, die hier erstmals identifizierbar werden. Der vorliegende Band publiziert das Höcker-Album vollständig auf Deutsch. Beiträge von neun internationalen Autoren erschließen das Album im Kontext der Zeit wie auch den Fall Höcker.

Die Hälfte des Buches ist mit sehr substanziellen Beiträgen gefüllt, die uns detailliert über das KZ-Leben und die nationalsozialistischen Strukturen informieren.

„Die Menschen sind unterwürfige Wesen“, schrieb Thomas Mann wenige Jahre, bevor die Auschwitzer Gaskammern ihre Tätigkeit aufnahmen, „von dem Bedürfnis geleitet, mit den Verhältnissen und Ereignissen, mit der Macht in innerer Übereinstimmung zu leben.“ Genau das taten die Deportierten in Auschwitz, wenn sie Befehle befolgten und die Selektion über sich ergehen ließen.“

Diese Worte schreibt Robert Jan van Pelt über die verkommene Welt im Vernichtungslager Auschwitz und Birkenau in dem Buch. Und wer sich mit den Texten auf das Fotoalbum „eingestimmt“ hat, spürt beim Anblick dieser Fotos die spezielle Mischung, die hier den Tod und den Alltag vermischen.

Ich empfinde dieses Buch als die andere Hälfte des Auschwitz-Albums von Lili Meier, weil wir hier noch einmal die Mörder privat danach treffen, unsere deutschen Landsleute. So sind ungeschönte Blicke möglich.

Mit Fotos sehen wir hier, wozu wir (Menschen) fähig sind, wenn man uns nur läßt. Macht wird nur durch Gegenmacht begrenzt und Massenmord ist nicht nur bei den Nazis Alltag gewesen sondern zieht sich immer weiter durch die Vergangenheit und Gegenwart.

Die Antwort darauf ist eine wehrhafte Demokratie mit klaren Werten, klaren Forderungen und klaren Grenzen.

Die Ausgestaltung ist bei uns das Grundgesetz mit einem Sozialstaat, weil nur Staatsbürger, die sozial abgesichert sind, auch bereit sind, ihr Land zu verteidigen. Dazu gehören dann auch Grenzen und gelebte Werte. Sonst erleben wir wieder die Umwertung aller Werte und wieder die Vernichtung sog. „unwerten“ Lebens, so wie dies mit religiöser oder weltanschaulicher Begründung schon fast vor unserer Haustür geschieht.

Man kann nach einem solchen Buch nicht einfach ruhig bleiben.

Aber auch rein sachlich betrachtet liefert dieses Buch sehr gutes Anschauungsmaterial über Gesichter von Menschen, die alles tun, wenn man sie nur läßt. Es sind Gesichter, die wir auch heute noch oft genug sehen und die bis heute noch überall zu finden sind, egal ob in der Nachbarschaft, in der Politik oder in der Medizin.

Abschließend empfehle ich zur besseren Einordnung und Bewertung von persönlicher Wahrnehmung und historischer Einordnung diese Verlinkung.

 

Das Buch ist im Theiss Verlag erschienen.

Hrsg. von Christophe Busch, Stefan Hördler und
Robert Jan van Pelt.
Das Höcker-Album
Auschwitz durch die Linse der SS
Mit einem Vorwort von Michael Wildt.
Verlag Philipp von Zabern – WBG
2016. Etwa 336 S. mit ca.150 s/w Abb. Register,
geb. mit SU.
Gebundener Ladenpreis: € 49,95 [D]
ISBN 978-3-8053-4958-1

Veröffentlicht in Zeitgeschichte

Verfolgung zwischen gestern und heute

In dem Buch über das Sonderrecht für Juden im NS-Staat ist folgende Verordnung zu finden von 1939 über den Arbeitseinsatz von Juden:

„Bei der ärztlichen Untersuchung der körperlichen Eignung von Juden für den Arbeitseinsatz ist in einigen Bezirken anscheinend ein zu strenger Maßstab angelegt worden (sein Ergebnis: erheblicher Prozentsatz körperlich ungeeigneter Juden). Die Juden sind deshalb auf ihre Einsatzfähigkeit für körperliche Arbeiten erneut zu überprüfen.“

Das ist auch wissenschaftlich aufgearbeitet und erinnert sehr an mögliche Zusammenhänge mit dem Medizinischen Dienst bei der Arbeitsagentur und dem Jobcenter zur weiteren Verwendung auf dem Arbeitsmarkt und an die Begutachtung bei der Erwerbsminderungsrente.

Verfolgung ist also vielfältig und kann auf verschiedene Weise geschehen.

Wer schon mal mit Sozialversicherungen, Gutachtern oder dem Medizinischen Dienst bei Schwerbehinderung oder Rente zu tun hatte, der versteht wahrscheinlich, was ich meine. Ärzte richten sich nach den Definitionen und Vorgaben (wie im Dritten Reich) und die alte Behördenlogik kommt voll zum Einsatz:

Der abstrakte Verweis in der Rentenversicherung ist so ein Fall:

Die Konsequenz beschreibt Köhler-Rama: „Nach früherem Recht konnte ein Rentenanspruch bereits bei einem kurz unter „vollschichtig“, z. B. sieben Stunden umfassenden Leistungsvermögen entstehen, wenn der Teilzeitarbeitsmarkt verschlossen war (konkrete Betrachtungsweise). Die „Opfergrenze“ ist damit von „vollschichtig“ auf sechs Stunden täglich herabgesenkt worden.“

Es geht hier also darum, Menschen zu Opfern zu machen im Staatsauftrag.

Selbst Naziopfer und Stalingradopfer würden heute wahrscheinlich noch zurück auf den Arbeitsmarkt geschickt, weil die Begutachtungsregelungen im Kopf und auf Papier z.T. immer noch so sind in ihrer Logik wie die Logik damals.

„In keinem anderen Land der OECD werden soviele Menschen mit (aufgrund von familiären Pflichten oder gesundheitlichen Belastungen) eingeschränkter Erwerbsfähigkeit als arbeitsfähig definiert“, schreiben die Autoren Anke Hassel und Christof Schiller in ihrem Buch „Der Fall Hartz IV“,  so die taz in einem Fazit.

Das Sonderrecht für Arbeitssuchende im Hartz 4 – Staat ist auch so ein Fall, der gerade in Deutschland aktuell ist.

Das gipfelt im staatlich gestalteten Altersrassismus bis zum Psychoterror für die geburtenstarken Jahrgänge.

Wenn man den Blick nicht senkt, dann sieht man die Schatten von damals im Handeln von heute.

Paradoxerweise sind die neuen Rechten die Anhänger des Neoliberalismus wie er in der Agenda 2010 zu finden ist (CDU, SPD, Linke, Grüne, FDP).

Veröffentlicht in Zeitgeschichte

Das Sonderrecht für die Juden im NS-Staat, hrsg. von Joseph Walk

Es ist ein wahrer Glücksfall, daß der C.F.Müller Verlag eines der wichtigsten Bücher über die Nazizeit uns wieder zugänglich machte, zumal es auch antiquarisch kaum erhältlich war.

Das Buch ist eines der wichtigsten Bücher über diese Zeit, weil es sich nicht in der Theorie aufhält sondern genau das sammelt, was damals beschlossen, verkündet und umgesetzt wurde.

„Es wird Nationalsozialisten verboten, Lokale zu betreten, in denen Juden verkehren. Das bezieht sich nur auf Cafes und Restaurants, dagegen nicht auf Hotels.“ So fing es am 30.6.33 an.

„Beamte, Angestellte und Arbeiter haben ihre und ihres Ehepartners arische Abstammung sowie ihrer politische Zuverlässigkeit nachzuweisen, wurde am 20.8.34 beschlossen.

Die Handwerkskammer schrieb am 1.11.34: „Wir betrachten es als selbstverständlich, daß das Handwerk Juden als Lehrlinge nicht einstellt.“

Aber auch das historische Gedächtnis wurde per Gesetz gelöscht am 27.4.35: „An die für Deutschland im Weltkrieg gefallenen Juden darf nicht mehr erinnert werden.“

„Jeder Jude – und auch der nichtjüdische Ehegatte eines Juden – hat sein gesamtes in- und ausländisches Vermögen anzumelden und zu bewerten; ausgenommen sind Gegenstände zum persönlichen Gebrauch des Anmeldepflichtigen und Hausrat, der kein Luxusgegenstand ist.“

Das war am 26.4.38.

Besonders bemerkenswert ist eine Verordnung von 1939 über den Arbeitseinsatz von Juden:

„Bei der ärztlichen Untersuchung der körperlichen Eignung von Juden für den Arbeitseinsatz ist in einigen Bezirken anscheinend ein zu strenger Maßstab angelegt worden (sein Ergebnis: erheblicher Prozentsatz körperlich ungeeigneter Juden). Die Juden sind deshalb auf ihre Einsatzfähigkeit für körperliche Arbeiten erneut zu überprüfen.“

Wenn man den Blick nicht senkt, dann sieht man die Schatten von damals im Handeln von heute.

Zurück zum Alltag der entrechteten Juden:

„Anordnungen hinsichtlich des Arbeitslohnes der Juden. Sie erhalten keinerlei Vergünstigungen wie die deutschen Arbeiter, z.B. Lohnzahlungen für feiertage, Lohnzuschlag für Arbeit an Feiertagen …Sterbegelder, Weihnachtsgratifikation.“ Das war am 3.6.40

„Juden sollen in Zukunft keine Zusatzscheine für Seife und keine Rasierseife erhalten. (Dadurch sollen Männer durch Bärte als Juden kenntlich gemacht werden.) Dies ist vom 26.6.41

Robert M.W.Kempner führt in das Buch ein: „Gerade dieses Buch zeigt in hervorragender Weise und erstmalig durch Aufzählung und Charakterisierung von Hunderten von antijüdischen Gesetzen, Verordnungen, Erlassen etc., daß das Dritte Reich kein Doppelstaat war… Die Bedeutung dieser Vorschriften ist um so schwerwiegender, als ihre Auswirkungen weder vor Gerichten, noch in sonstiger Weise mit Rechtsmitteln angefochten werden konnten – abgesehen von seltenen Ausnahmen.“

Und das Buch ist selbst schon ein geschichtliches Dokument.

Adalbert Rückerl war lange der Leiter der zentralen Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen. Er schreibt damals in dem Buch, daß die Mehrheit der Deutschen von den Verbrechen im Osten nichts gewußt hat.

Das ist ja spätestens seit der Wehrmachtsausstellung in ein anderes Licht gerückt worden.

Als ich 18 Jahre war, zeigte mir mein damaliger Mentor Dr. S. Middelhaufe, der von den Nazis verfolgt wurde und nach dem 2. Weltkrieg die Polizei in NRW mit aufbaute, ein Buch. Dieses Buch enthielt fast alle Vorschriften und Gesetze gegen die jüdische Bevölkerung. Er sagte zu mir, Michael, den Geist und den Charakter eines Systems kann man am besten durch seine  Vorschriften und Gesetze zeigen.

Es war das Buch über das ich gerade schreibe in der ersten Auflage, schmaler und mit einem blauen Halbleinenrücken.

Dieses Buch enthält die Gesetze, die es Menschen ermöglichten, aus anderen Menschen Untermenschen zu machen, ihnen ihre Würde zu nehmen, sie zu vernichten und sie völlig aus dem öffentlichen Leben auszuschließen.

Die Vernichtung der sozialen und der physischen Existenz in jeder Beziehung war das Ziel und das ist in diesem Buch besser dokumentiert als irgendwo sonst, weil es die Nazilogik sichtbar macht, die dem Menschen per Gesetz erlaubt mit anderen Menschen alles zu machen – ohne Konsequenzen, wenn nur die Anwendung stimmt.

Wer verstehen will, wie schnell ein Staat verändert werden kann, der sollte dieses Buch lesen. Es zeigt wie „legitimistische Bürokraten“ alles mitmachen – und das gilt bis heute.

Das Buch ist im C.F.Müller Verlag erschienen.

Das Sonderrecht für die Juden im NS-Staat
Eine Sammlung der gesetzlichen Maßnahmen und Richtlinien – Inhalt und Bedeutung
Joseph Walk † (Hrsg.), Daniel Cil Brecher, Robert M. W. Kempner, und weitere

ISBN 978-3-8114-3734-0

Veröffentlicht in Buch

Das visuelle Zeitalter. Punkt und Pixel von Gerhard Paul

Gerhard Paul hat es geschafft.  Sein Buch zur visuellen Geschichtsschreibung ist wunderbar und großartig.

Warum?

Das Buch ist wunderbar, weil es sich einer Sprache bedient, die jeder verstehen kann ohne studiert zu haben und die dennoch fachlich angemessen ist.

Und das Buch ist großartig, weil er einen großen Wurf machte und genau getroffen hat.

Er zeigt wie das Bild den Text als vorherrschendes Medium ablöste und alles veränderte.

Und er zeigt wie sich ein neuer Persönlichkeitstypus entwickelt hat, der visual man. Da hätte ich mir lieber den visuellen Menschen gewünscht, aber das ist ja gemeint.

Alles fing mit Bertha Röntgen an, der Ehefrau von Wilhelm Conrad Röntgen. Paul zeigt uns das Röntgenbild der rechten Hand von Bertha Röntgen und nimmt es als Symbol für die entscheidende Veränderung der Bilderwelt.

Röntgenbilder „verschoben die Grenzen zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren und sie stellten die herkömmlichen Codes wissenschaftlicher und künstlerischer Abbildungstechniken in Frage.“

Von der neuen Sachlichkeit über Fotomontagen bis zu den Surrealisten wie Dali wird vor uns die Geschichte der Bildermacht ausgebreitet, die uns bestimmt, gegen die wir uns wehren, die wir bekämpfen und die uns immer mehr beschäftigt – ob wir wollen oder nicht.

Wir sind mittendrin.

Bilder bestimmen unser Leben.

Das war 1800 noch nicht so. Aber heute ist es so.

Gerhard Paul zitiert Bazon Brock: „Wenn man heute auf einem größeren Flughafen wie etwa München landet, hat man zeitgleich siebenhundert visuelle Impulse zu verarbeiten. Da man die Augen nicht schließen kann, während man auf sein Gepäck wartet, ist man dem Terror von siebenhundert parallel geschalteten Bildbewegungen ausgesetzt. Jeder Wahrnehmungspsychologe kann bestätigen, dass das ungefähr der Belastung von Feuerüberfällen im Schützengraben entspricht.“

„Bildertsunami“ ist also keinesfalls übertrieben.

Aber wer merkt es noch?

Wenn man damit aufgewachsen ist, dann ist dies unsere „Normalität“, die „Norm“ des visuellen Menschen.

Gerhard Paul ist Historiker und zeigt uns daher die Entwicklungen und den jeweiligen visuellen Zeitgeist. Er nutzt dazu „Bildzitate“, das sind viele kleine Fotos von Fotos, Plakaten, Zeichnungen, Malereien etc.

Wie soll man auch sonst Bilder zitieren, wenn man sie nicht zeigen kann?

In diesem Fall eines wissenschaftlichen Werkes scheint es geregelt aber grundsätzlich ist diese Frage bestimmt noch offen, wenn man Journalistenverbände fragen würde. Doch dies gehört  hier nur als Thema der Zeit rein, es ist eine ungelöste Frage im visuellen Zeitalter.

Der visuelle Mensch nimmt seine Zeit, seine Mitmenschen und seine Welt dann anders wahr als es noch zu Gutenbergs Zeiten war. Er kommuniziert auch anders.

Paul gelingt es mit einem großen Schnitt die Zeitachse thematisch sinnvoll aufzuspalten und das Buch in abgeschlossene und sehr klar strukturierte Kapitel zu unterteilen von 1839 bis 1919, 1918 bis 1933, 1933 bis 1945, 1945 bis 1949, 1949 bis 1989 jeweils BRD und DDR, ab 1989/90.

Daraus wird ersichtlich, daß er sich an den politischen Ereignissen orientiert. Und es wird auch deutlich, daß Politik und Bilder untrennbar zusammengehören. Was zu sehen ist, ist da und kann wirken. Was nicht da ist, kann nicht in die Köpfe. Ob und wie es dann in die Köpfe kommt war in jedem Zeitabschnitt anders. Da lohnt sich jedes einzelne Kapitel.

Er hat überall die nötige intellektuelle Distanz und läuft meiner Meinung nach zur Höchstform auf je mehr er sich der Gegenwart nähert. Er zeigt Zusammenhänge auf, die bis in die aktuelle Politik reichen und berührt oft eher ungewollt die Gegenwart, wenn er zeitgeschichtliche Entwicklungen anspricht.

Im Kapitel über die DDR weist er auf eine Medienkompetenz hin, die westdeutschen Blicken fehlt:

„Nicht zuletzt Eduard von Schnitzler und sein Schwarzer Kanal hatten den Visual Man in der DDR gelehrt, dass die televisuellen Bilder nichts als bloßer Schein und böse Propaganda waren. Die beständig in konträren Bildwelten lebenden DDR-Bürger entwickelten im Laufe der Jahrzehnte daher einen kritischen Blick (Karin Hartewig), eine Art Bildkompetenz, die sie sowohl den westlichen als auch den östlichen Bildwelten gegenüber grundsätzlich skeptisch hatte werden lassen.“

Dieser Gedanke endet natürlich mitten im aktuellen politischen Geschehen und wird dort je nach Interesse ausgeschlachtet werden. Deshalb erspare ich mir jeden weiteren Kommentar.

Die Verankerung von Technik in der Alltagskultur ist mit entscheidend für die soziale Ausgestaltung einer Gesellschaft und sehr entscheidend für die Kommunikation der Menschen und der Mächtigen.

Paul schildert den Siegeszug des Fernsehens in Deutschland, der symbolisch bei der Olympiade 1972 zu sehen war.

Und er beschreibt wie Facebook seit der Gründung 2004 in zehn Jahren Kommunikationsplattform von mehr als einer Milliarde Menschen wurde mit monatlichen Fotouploads in Milliardenhöhe. Diese gigantischen Zahlen zeigen aber auch, daß visuelle Kommunikation heute ohne Technik undenkbar ist. Da würde der Schelm in mir fragen, was passiert eigentlich, wenn der Strom ausfällt für lange Zeit? Der Historiker würde dann vielleicht an die Höhlenmalereien als Einstieg und das geschriebene Wort als Aufstieg denken. Aber das ist hier kein Thema.

Gerhard Paul schildert neben den Bilderfluten auch den parallelen Aufstieg der Piktogramme und der Schilder. Je komplexer die Welt desto aussagekräftiger und unverseller mußten Symbole und Piktogramme werden.

Verkehrsschilder mussten genau so universell sein wie die Piktogramme auf den Handys. Das setzte sich fort bis in die Fotografie wie er sehr differenziert darstellt. Verkaufsfähige Fotos sind daher heute oft so abstrakt, daß sie als stockphotos universell einsetzbar sind aber jeder konkreten Aussage entbehren.

Zur Höchstform läuft er in meinen Augen im letzten Kapitel auf. Dort zeigt er die Mechanismen der Bilderwelt von heute aus ihren historischen Entstehungsbedingungen – einfach großartig wie er die Dinge offenlegt und uns die Gedanken schenkt, die unseren analytischen Blick schulen können.

„Der Golfkrieg von 1991 und der Kosovokrieg von 1999 markieren gewissermaßen den pictorial turn in der bisherigen Kriegsführung. Mit beiden Kriegen setzte sich das Bild als smart weapon (Nicholas Mirzoeff) und damit als vierte Waffengattung neben Heer, Luftwaffe und Marine durch. Es wurde integraler Bestanteil der Kriegsführung, so dass zu Recht von einem military visual complex gesprochen wurde.“

Früher wurden die Gegner getötet und dem Feind die Köpfe der Getöteten überbracht. Heute tötest du meine Freunde und dafür töte ich deine Freunde mit dem Ergebnis, daß die Bilder des Einen dann zu den Bildern des Anderen führen, die über die Netzwerke privater Konzerne dann weltweit gezeigt werden,  auch mit Werbung, als vierte Waffengattung.

Das endet außerhalb seines Buches aktuell bei Edward Snowden, der uns gezeigt hat, daß alles, was digital vorstellbar ist, auch gemacht wird, um eigene Interessen durchzusetzen.

Detailliert geht Paul auf Deutschland ein und zeigt wie aus einer Demokratie der Transparenz eine Demokratie der Medien wurde. Früher versuchte man zu zeigen wie es war, heute wird es so gezeigt wie es in die Struktur der Medien passt.

„Fakt jedenfalls ist, das sich Kanzler Schröder zwecks Mobilisierung von Aufmerksamkeit weitestgehend den Logiken der Medien anpasste, während seine Amtsnachfolgerin Angela Merkel sehr viel präziser die Bildmedien für ihre Form einer nüchternen Politikdarstellung nutzte.“

Das hat er geschrieben, bevor Merkel letztes Jahr mit Selfies die Welt nach Deutschland lockte. Aber es belegt auch, daß sie genau wußte, was sie tat oder zumindest ihre Berater.

So ist in dem Buch immer die Grenze zu spüren zwischen historischer Analyse und dem, was wir uns dann denken können, weil genau da der Historiker Paul seriöserweise aufhört.

Die genaueste Rezension ist natürlich die, die so dick ist wie das Buch oder noch dicker. Das wären in diesem Fall mindestens  750 Seiten. Meine Rezension dient daher dazu, ein besonderes Buch vorzustellen, das sich inhaltlich und äußerlich 5 Sterne verdient hat.

Das ist hier der Fall.

Ansonsten gäbe es über dieses Buch noch so viel zu schreiben, daß es besser ist, wenn Sie es einfach selber lesen. Die vielen Bildzitate darin ermöglichen stundenlanges Verweilen und die Texte laden überall zum Lesen ein.

Das Buch ist im Wallstein-Verlag erschienen.

Gerhard Paul
Das visuelle Zeitalter
Punkt und Pixel

Reihe: Visual History. Bilder und Bildpraxen in der Geschichte (Hg. von Jürgen Danyel, Gerhard Paul und Annette Vowinckel); Bd. 01

ISBN: 978-3-8353-1675-1

 

Veröffentlicht in Buch

Deutsche Geschichte in Bildern und Zeugnissen

Wenn es ein „offizielles“ Geschichtsbuch über Zeugnisse deutscher Geschichte gibt, dann ist es dieses Buch. Aktuell in der 3. Auflage ist im Theiss-Verlag bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft ein großformatiges und prächtiges Bilderbuch zur deutschen Geschichte erschienen.

Es zeigt viele Ausstellungstücke aus dem Deutschen Historischen Museum in Berlin.

Dieses Buch enthält einen Kernbestand deutscher Kulturgüter aus den verschiedenen Zeiten der deutschen Geschichte.

Es ist unter vielen Gesichtspunkten interessant. Ich möchte ganz kurz das Augenmerk auf das Visuelle legen.

Alle Zeugnisse deutscher Geschichte in diesem Buch sind abfotografiert und auf Fotos zu sehen.

Es sind aber kaum Fotos als Zeugnisse zu sehen.

Wir sehen neben Gegenständen vor allem gemalte Bilder.

Wenn wir bei Fotos oft von Bildern sprechen und dies begrifflich gleichsetzen, so ist dies hier völlig falsch.

„Deutsche Geschichte in Bildern und Zeugnissen“ bedeutet hier, daß es sich um abfotografierte Malerei bei den Bildern handelt und Fotografien als Zeugnisse einer bestimmten Zeitepoche nur sehr gering zu sehen sind.

So ist dieses Buch gefüllt mit Fotografien, die Bilder und Zeugnisse aus der deutschen Geschichte zeigen.

dhminhalt

Der Inhalt des Buches entspricht der Ausstellung. Da diese nur in Berlin zu sehen ist, bietet dieses Buch auch denen, die nicht nach Berlin kommen können, einen Einblick in Zeugnisse und Bilder deutscher Geschichte.

Es ist auch von der Aufteilung gut gemacht und macht sogar beim reinen Durchblättern Spaß.

Wenn Geschichte visuell erfahrbar gemacht werden soll, dann ist dies ein guter Ansatz.

Weil Geschichte ja auch immer von den Mächtigen geschrieben wird, ist dieses Buch natürlich auch Ausdruck vergangener Macht und vergangener Mächtiger. Weil das Volk sogar in Zeitungen nicht vorkam, ist auch die Auswahl eine Widerspiegelung damaliger und heutiger Machtverhältnisse.

Und wenn man genau hinschaut und die Frage stellt, was denn aus den letzten dreißig Jahren als Zeugnisse im Buch zu finden ist, dann wird es besonders spannend.

Ich sehe fast nur Konsumprodukte.

Insofern ist das Buch noch viel mehr als eine Sammlung von Zeugnissen und Dokumenten. Es ist auch Ausdruck des „offiziellen“ Geschichtsbewußtseins und damit in einigen Jahren selbst ein Zeugnis unserer Zeit.

Super!

Das Buch ist im Theiss-Verlag erschienen.

Deutsches Historisches Museum (Hrsg.)
Deutsche Geschichte in Bildern und Zeugnissen
ISBN: 9783806233025

Veröffentlicht in Buch, Zeitgeschichte

Von großen Brüder und falschen Freunden von Silke Betscher

In Unterhaltungsmedien funktioniert die Manipulation besonders gut. Dies zeigt uns Silke Betscher in ihrem Buch über illustrierte Zeitschriften im Nachkriegsdeutschland. Es sind allerdings nur vier Zeitschriften.

Der vollständige Titel des Buches lautet „Von großen Brüdern und falschen Freunden. Visuelle Kalte-Kriegs-Diskurse in deutschen Nachkriegsillustrierten“.

Ist Textlogik argumentativ und Bildlogik assoziativ? Daraus ergibt sich bei der Autorin die „visuelle Diskursanalyse“ als Methode des Buches.

Daniel Krause meint dazu: „Visuelle Diskursanalyse“ wirft zahlreiche Fragen auf, und Betscher bringt wertvolle Klärungen an. Ein eigenständiges Kapitel ist „methodologischen Reflexionen“ gewidmet. Glücklicherweise erspart es dem Leser jene Grundsatzdebatten, die Dunkelheit des Ausdrucks als Tiefe des Gedankens missdeuten. Betschers methodische Betrachtungen sind bodenständiger Natur, wenngleich sie modischen Jargon um „Intermedialität“ zumindest zitieren.“

Und auch andere Rezensenten mögen dieses Buch.

Und es stimmt. Wenn man wissen will, was medial versucht wurde, in die Köpfe der Menschen zu schütten, dann ist dies ein Beitrag dazu. Weil es aber viel mehr Zeitungen und Medien gab, wäre die Frage zu stellen, welche Medien waren dominant und erzeugten die wichtigsten Bilder in den Köpfen? Das kann erst beantwortet werden, wenn alle Medien untersucht worden sind und in einer gemeinsamen Methodik dann das gesamte Forschungsfeld unter dieser Fragestellung mit eindeutigen Kriterien untersucht wird.

Ob das jemals geschehen wird steht in den Sternen.

Insofern ist der hier erstellte Ausschnitt das, was wir haben und wissen – nicht mehr und nicht weniger.

Das Buch ist im Klartext-Verlag erschienen.

Silke Betscher
Von großen Brüdern und falschen Freunden
Visuelle Kalte-Kriegs-Diskurse in deutschen Nachkriegsillustrierten
lieferbar, erschienen am 13.11.2013
420 Seiten, zahlr. Abb., Broschur, 39,95 €
ISBN: 978-3-8375-0736-2

 

Veröffentlicht in Buch, Zeitgeschichte

Bildermacht, Studien zur Visual History des 20. und 21. Jahrhunderts von Gerhard Paul

„Absicht des Buches ist es, an ausgewählten Bildbeispielen aus dem vergangenen und dem begonnenen 21. Jahrhundert den Prozess des Aufstiegs der Bildmedien und dessen komplexe Folgen für Politik und Kultur, für Wahrnehmung und Erinnerung zu beleuchten.“

So nähert sich der Historiker Gerhard Paul mit gelungenen Einzelfallbetrachtungen seinem Thema.

Welche Bedeutung hat die neue „eigenständige Realität des Visuellen“ und wie verhält sie sich zur ersten „physischen Realität der Ereignisse“?

Das Buch wird zum Teil sehr gelobt in Rezensionen und ist sehr speziell und sehr tief in der Analyse.

Während man Texte zitieren kann, kann man Bilder eigentlich nicht „zitieren“. Und einfach darstellen ohne die Bildrechte erworben zu haben geht bei uns auch nicht.

Was tun?

Lucia Halder hat in ihrer Rezension Pauls Weg durch sein Buch und dieses Problem so zusammengefaßt: „Dem Autor ist es gelungen, eine beeindruckende Fülle von meist farbigen Abbildungen darzubieten und überzeugend zu strukturieren; ein jeweils ganzseitiger Abdruck wird dem im Folgenden analysierten Bild vorangestellt. Es folgt jeweils ein zirka einseitiges Abstract des Kapitels, bevor der Autor mit seiner detailreichen Analyse beginnt. Die ikonografischen Bildreihungen sind ebenso nachvollziehbar wie die Auswahl der Abbildungen. Paul reagiert damit äußerst geschickt auf das Problem der Rechteerwerbung, mit dem Bildhistoriker bei Ihren Publikationen stets zu kämpfen haben. Dabei bedient er sich der eleganten Argumentationsfigur, dass es sich bei den gezeigten Bildern mitnichten um Illustrationen, sondern um Zitate und Belege handle und verweist in zahlreichen Fußnoten auf weitere Abbildungen im Internet (S. 12). Die Kontextualisierungspraxis lässt für ein Buch, das sich mit visueller Quellenkritik befasst, jedoch ein wenig zu wünschen übrig. Fehlende Angaben zu Originalgrößen und Provenienz werden dem Anspruch Gerhard Pauls an „Bildkritik als Aufklärung“ (S. 653) nicht gerecht. Die Lektüre von Pauls Werk macht ebenfalls deutlich, dass die Rezeptionsforschung noch immer einen blinden Fleck auf der Forschungslandkarte der Visual History darstellt. “

Das Buch ist also mitten aus dem Leben und der sozialen Praxis zwischen Recht und Kommunikation. Jede einzelne Studie ist es wert gelesen zu werden und kann im Rahmen eines solchen Artikels nur als Hinweis genannt werden.

Zu welchem Ergebnis kommt Gerhard Paul, wenn er seine Einzelfälle zusammenfaßt?

„Bilder machen etwas mit uns, ihren Betrachtern… Wenn Macht nach Max Weber die Chance, die potentia, bezeichnet, auf das Denken und Verhalten von Personen und Gruppen auch gegen deren Willen einzuwirken, dann besteht BilderMACHT darin, via Bilder, etwas mit uns, mit ihren Betrachtern, notfalls auch gegen unseren Willen zu machen.“

Das Buch ist mit Geld von der Gerda-Henkel-Stiftung und der Volkswagenstiftung gemacht worden.

Offenkundig war das Thema Bildermacht dort von Interesse. Es ist also ein Thema aus der Mitte der Gesellschaft und der Mächtigen. Das macht das Buch besonders interessant und wichtig.

Es ist im Wallstein-Verlag erschienen.

Gerhard Paul

BilderMACHT

Studien zur Visual History des 20. und 21. Jahrhunderts

ISBN: 978-3-8353-1212-8 (2013)

Wer mehr über das Thema Visual History wissen will, kann einen Aufsatz dazu von Gerhard Paul auch online finden.

 

Veröffentlicht in Bergisches

Von der Liberationroute zur Naziroute zwischen Midden-Limburg und Remscheid

Wie unterschiedlich doch der Umgang mit Geschichte sein kann!

In Midden-Limburg in den Niederlanden wird aktiv Geschichte gezeigt und darüber gesprochen, was vor ein paar Jahrzehnten passiert ist.

Foto: Michael Mahlke
Foto: Michael Mahlke

Ganz anders in Remscheid in Deutschland, nicht einmal eine Autostunde entfernt. Dort wird das größte Nazidenkmal der Stadt genutzt, um aktive Stadtwerbung zu betreiben. Die Geschichte wird von offizieller Seite nicht einmal erwähnt geschweige denn ordentlich aufgearbeitet und so am Denkmal kenntlich gemacht wie in den Niederlanden.

Daher habe ich nun eine Tafel gemacht, die mit wenigen Worten erklärt wie beschämend Remscheid mit diesem Teil seiner Geschichte umgeht und wie ahistorisch dieser Akt der politischen Klasse dieser Stadt ist.

remscheid_germany_nazi_history_1939_2016_remember

So werden hoffentlich direkt die Zusammenhänge und die Versäumnisse klar. Remscheid wirbt mit einem Nazidenkmal als Vorlage und überall in der Stadt. So berührt die Vergangenheit die Gegenwart – und dies im Angesicht von Projekten wie der Liberation Route Europe. Aber alle öffentlich geäußerten Vorschläge, dieses Thema hier ebenso sachlich und instruktiv anzupacken, wurden ignoriert.

Deutschland vor Ort 2016.

Veröffentlicht in Bergisches

Wenn Geschichte die Gegenwart berührt und das Recht die Kraft verliert

Der Remscheider Nazilöwe (das Denkmal aus der Nazizeit als Symbol für den Führerkult), welcher zentrale Vorlage der aktuellen Kampagne des Stadtmarketings für Remscheid ist, wurde nun schon vielfach beschrieben und aufgearbeitet.

Die Tatsachen sind klar.

Dennoch werden sie z.T. bestritten wie man in Kommentaren zu diesem Thema lesen kann. Und es wird weiter so getan als ob dies alles keine Rolle spielt. Auch Kommentare z.B. von mir werden nicht publiziert, wenn sie nicht passen. Aber da jeder das Recht hat, auf seinem Blog oder Forum zu tun, was man will mit den Beiträgen anderer, ist dies eben so. Man muß es nur im Hinterkopf behalten!

Man kann dies alles dokumentieren. um zu zeigen, wie hier die Geschichte die Gegenwart berührt und wie damit umgegangen wird.

Ein Nazidenkmal das „die Bewohner unserer Stadt allezeit an die Großtaten des Führers und Reichskanzlers Adolf Hitler“ erinnern soll, so die Worte im rga zur Einweihung 1939,  darf in Remscheid angemalt aktuell hundertfach(?) verbreitet werden?

Bedeutet dies, daß Denkmäler der Nazis nun also wieder nachgemacht und verbreitet werden dürfen?

So haben die Nazis von damals es geschafft, daß dieses Denkmal heute überall verbreitet wird und an zentralen Stellen von Remscheid zu sehen ist.

Der Zyniker würde vielleicht denken, was lange währt wird endlich gut. Ich denke da lieber nicht dran.

Bei Hakenkreuzschmierereien schreit man in Remscheid, hier macht man mit?

Da kann man sich nur wundern.

Nur ein paar Kilometer von hier hinter der niederländischen Grenze unterrichtet man die Bevölkerung bis heute darüber, wie blutig und aufopferungsvoll die Kämpfe waren, um Europa und die Niederlande von diesen Massenmördern zu befreien. Und hier wird ein Denkmal dieser Massenmörder vervielfältigt und verteilt.

(Und Aufklärung findet überhaupt nicht statt. Man stelle sich vor der Stadtrat von Remscheid hätte beschlossen auf einer Tafel (wie in den Niederlanden) mit Fotos zu zeigen, daß dieses Denkmal 1939 gebaut und eingeweiht wurde, um an die Großtaten des Führers zu erinnern. Und dann wäre der Vorschlag gekommen, dieses Denkmal nun hundertfach zu vervielfältigen und überall in Remscheid aufzustellen – es wäre sehr interessant sich vorzustellen, was dann passiert (oder auch nicht) passiert wäre…)

Nun denn.

Ich möchte dieses Thema für mich hier nicht weiter verfolgen.

Ich habe im Rahmen der Meinungsfreiheit mehrfach meine Meinung gesagt.

Ich halte es mit Martin Niemöller.

Und ich denke weiter, weil Diktaturen kein Monopol von Nazis sind sondern auch links und in der neoliberalen Mitte entstehen:

Denn eine neue Art der Diktatur kann auch aus Parteien erwachsen,

Was hält sie davon ab auch gegen andere Gesetze zu verstoßen?